Kultur: Lebens-Blues
Literaturclub für Behinderte brachte ein Buch mit Lyrik und Prosa heraus
Stand:
„Mein Leben ist bunt, weil ich es will“. In diesem Satz steckt Trotz und Zuversicht. Keinesfalls Selbstmitleid und Resignation. Und so sind auch die Gedichte und Geschichten, die dieses Buch mit dem selbstbewussten Titel vereint. Aufgeschrieben wurden sie von Menschen mit und ohne Behinderung und sie ziehen den Leser hinein in Lebensläufe, die sich durch Krankheit und Einsamkeit, Ein- und Ausgegrenztsein manövrieren, aber auch immer wieder von Hoffnung, Liebe und dem Miteinander erzählen.
Für viele ist die Welt kleiner geworden, weil der Körper den Aktionsradius beschnitt. Doch auch in diesem begrenzten Sichtfeld gibt es erstaunlich viel zu entdecken, spiegelt sich das Kleine oft sehr genau im Großen.
Rolf Gutsche schreibt vom „Pflegemarathon“: über Frau Gut von der Sozialstation. In sechs Stunden fährt sie zu elf Patienten und darf keine Müdigkeit zeigen. Und ist sie mit der eigenen Kraft am Ende und will zum Arzt gehen, fürchtet sie, dass ihr gekündigt wird. Und er erzählt von Hans, der sich in seinem Elektrorollstuhl auf den mühsamen Weg zum Potsdamer Luisenplatz macht, um an einer Demonstration gegen Rechtsextremismus teilzunehmen. Drei Stunden sitzt er frierend in dem Rolli und Gedanken an seine Kindheit kommen hoch. Wie er mit seiner Mutter durch den Ort ging und eine ältere Frau sagen hört: „Wäre es nicht besser, wenn man ihm eine Spritze gebe?“ Die Mutter erklärt dem Jungen, dass in der Nazizeit Behinderte umgebracht worden sind. Für Hans brannten sich die Worte der fremden Frau ein. Als er nach der Kundgebung gegen die neuen Nazis aus dem Radio erfährt, dass bei der Kundgebung die autonomen Linken mit Gewalt die Sperre durchbrechen wollten, ärgert es ihn. Es sollte eine gewaltfreie Demonstration sein.
Für die einstige Schäferin Sabine Pfeiffer, die nach der Wende in Töplitz einen eigenen Bio-Bauernhof bewirtschaftete, ist das erst kurze Leben im Rollstuhl eine kaum zu bewältigende Herausforderung: „Nur langsam fügen sich die Worte aufs Papier, nichts geht mehr schnell von der Hand oder aus dem Kopf, nur Tränen manchmal schneller als gewollt, vergess ich nun oft, was ich schreiben wollte, während ich nach dem Stift Ausschau halte. Habe zwei Füße gegen vier Räder vertauscht, die schneller sind als meine Augen und der Kopf.“
Und doch bringt gerade dieser Kopf wundersame, feingesponnene Märchen hervor, die sich festsetzen. Wie das vom einsamen Zaunkönig, der schon das Totenglöckchen hört und doch wieder ins Leben zurückfindet. Weil jemand seine schwache Stimme wahrnimmt. Oder das vergnügliche „Katze im Sack“-Rätsel über Prinzessin Kokopelli. „Das Leben in mir wünscht sich Erfüllung im Tun. Dafür kämpfe ich,“ schreibt Sabine Pfeiffer. Sie hat ihren Lebens-Blues wieder gefunden.
Ein anderes Menschenleben ist indes gegangen: zwischen dem Schreiben der Verse und der Veröffentlichung in diesem kleinen Büchlein des Literaturclubs für Behinderte. Horst Jeck war selbst Gründungsmitglied dieses Clubs, der seit Jahren von dem Schriftsteller Walter Flegel betreut wird. Kurz vor seinem Tod im August 2005 schrieb Horst Jeck seinen „Epilog“: „Nun haltet mir die Worte vor, ist längst erloschen mein Humor, und bin schon lange stumm. Ich merke sonst, was so geschieht, es wird noch sein das ,alte Lied“ - man hält uns stets für dumm.“
Die zwölf Brandenburger Autorinnen und Autoren öffnen mit ihren Texten manche Tür, die ein neues Licht auf den so normalen Alltag, die gedankenlos hingenommenen Selbstverständlichkeiten werfen. Manchen spürt man das mühsame Ringen um die richtigen Worte an, andere sind federleicht und voller Poesie. Jeder steht für sich. Mit voller Berechtigung. „Man kann alles verändern. Pech ist nur ein Wort“, schreibt Elke Hübener. Mit Zuversicht, die jeder braucht.
Heidi Jäger
„Mein Leben ist bunt, weil ich es will“, Literaturclub für Behinderte, docupoint Verlag Magdeburg
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