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Kultur: Luftschlösser und Wölfe

Mit ihrem Projekt „Faszination und Fassade“ wollen Künstler für mehr Moderne in Potsdam werben

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Kunst im öffentlichen Raum ist den Wetterelementen ausgesetzt. Birgit Cauer würde sich über ein wenig Regen am Wochenende freuen. Die Künstlerin nimmt am Projekt „Faszination und Fassade“ teil, eine Kunstaktion des Neuen Atelierhauses Panzerhalle in Groß Glienicke. In Potsdams Mitte hat Birgit Cauer ihre Installation „Wasser“ aufgebaut, die einen Wasserkreislauf inmitten dieser versiegelten Stadtflächen darstellen soll. Falls es regnet, funktioniert das auch. Dann füllen sich 21 Eimer mit Wasser, welches durch 21 Schläuche in 21 Pflanzschalen läuft und dort Gartenkräuter und Salat wachsen lassen soll. 21 – weil in der Wand zwischen Fachhochschule und Nikolaikirche, wo diese Installation steht, noch die 21 Stutzen zu erkennen sind, aus denen einst Wasser in eine Brunnenanlage floss. Diese Wasserspiele des Potsdamer Künstlers Christian Roehl sind längst aus dem Stadtbild verschwunden, auch die Fachhochschule und der benachbarte Staudenhof-Wohnblock sollen weichen. „Ist es nur noch tote Fassade, der man hier begegnet?“, fragt Birgit Cauer.

Mit „Faszination und Fassade“ wollen die 15 Künstlerinnen und Künstler darauf aufmerksam machen, dass immer mehr Architektur der DDR-Moderne verschwindet. Architektur, der zwar eine gewisse Faszination innewohnt, die aber durch eine barocke, fassadenhafte Architektur ersetzt wird. „Das ist einerseits Geschmackssache – hat aber auch eine politische Dimension“, sagt Künstler-Sprecherin Nora Kronemeyer. Ebenso verschwinden immer mehr Räume für Künstler der Gegenwart und die Kreativwirtschaft. Auch darum geht es den Akteuren: „Wir haben unsere Ateliers da draußen in Groß Glienicke, aber wir wollen auch mal woanders ausstellen. Kunst braucht Öffentlichkeit“, sagt Nora Kronemeyer. Noch immer habe Potsdam keine Kunsthalle der Moderne. Folglich werden nun öffentliche Plätze, Straßen und Fassaden bespielt. Noch bis Sonntagabend sind an zwölf Orten zwischen Staudenhof und Brauhausberg die Werke zu sehen.

Einige allerdings sind nur zeitweilig zu erleben: Noch bis zwölf Uhr am heutigen Samstag kampiert Beret Hamann für das Projekt „Tell me your story“ im Staudenhofgarten und wartet auf Besucher, die ihr ihre Geschichte erzählen. Seit Freitagmittag ist sie draußen, schläft im Freien unter dem Blätterdach einer Pergola. „Da muss es nicht unbedingt regnen“, sagt Beret Hamann. Sie wünscht sich Geschichten von alten und neuen Potsdamern, die ihr erzählen, was sie von der neuen Entwicklung ihrer Heimatstadt halten.

Am heutigen Samstag wird sogar das Hotel Mercure von 16.30 Uhr bis 20.30 Uhr in die Kunstaktion einbezogen. Carsten Hensel hat dort – völlig prolemlos – einen Konferenzraum in der 17. Etage für eine Performance angemietet. Die Künstler könnten sich sogar vorstellen, in dem umstrittenen Hotel, das einst für eine neue Kunsthalle abgerissen werden sollte, eine Galerie einzurichten. Die Sehnsucht nach einem Ausstellungsort zeigt sich auch deutlich in Silvia Klara Breitweisers Installation. In einem Karree aus metallenen Baustellenzäunen zwischen Tramhaltestelle Alter Markt und Landtag steht ein Wegweiser ins Nirgendwo: „Kunsthalle Potsdam 1996. 0331/00000“. Die Künstlerin hat einen Blumenstrauß zu Füßen des Schildes abgelegt. „Es könnte auch eine Grabstelle sein“, sagt sie.

Um verloren Gegangenes geht es Ilse Winckler. Sie hat drei Bilder, die sie zum Thema „Verlorene Wünsche“ für Frankfurt (Oder) fertigte – „auch so ein problematischer Sehnsuchtsort“ – stark vergrößert und diese Papierabzüge an der Ruine des Café Minsk angebracht. Etwa 2,50 mal 5 Meter groß sind die Bilder zu Zerstörung, Glücksversprechen und Verlust und füllen jetzt Nischen aus, die einst aus dem Gebäude, jahrzehntelang Ort der Geselligkeit, auf die Terrasse führten. Bettina Semmer zeigt inmitten dieses Verfalls „Broken Graffiti“, das sie mit Bröckchen der Berliner Mauer ergänzt hat.

Eine Spannung von Hoffnung und vergeblichem Bemühen schwebt über dem gesamten Kunstprojekt. Der „Faszination und Fassade“-Spaziergang in seiner Gänze mit den zwölf Stationen will aber auch zeigen, dass etwas passiert, dass sich die Künstler nicht verstecken – andererseits aber auch unsicher sind, wie es weitergehen soll, mit ihnen und ganz allgemein in Potsdams Mitte. Auf der Langen Brücke, gleich neben dem halbfertigen Neubau des alten Humboldt-Quartiers, spielt Bettina Schilling mit dieser Unsicherheit. Sie hat aus Linoleum und Styropor Wolfsbilder gebastelt, ein kleines Rudel, das am Brückengeländer lehnt. „Die kommen aus dem Osten und durchstreifen jetzt Potsdam“, sagt Bettina Schilling. Und fragt: „Aber was wollen diese Tiere hier in der Stadt?“

Am Wochenende sind die Künstler in Potsdams Mitte präsent, eine Invasion Fragender. „Sind es möglicherweise doch nur Fassaden, Luftschlösser und barocke Ersatzbebauung, die den Potsdamern hier hingesetzt werden?“, fragt Frauke Danzer. Sie hat kleine weiße Papierfaltobjekte an 97 weiße Helium-Luftballons geknotet. Zunächst haben die Ballons noch Bodenhaftung mittels kleiner Gewichte, schweben vor dem Fortunaportal verteilt in Hüfthöhe. Sonntagabend sollen sie dann abgeschnitten werden und wegfliegen dürfen. „Es bleibt nur eine Erinnerung – das ist doch ein schönes poetisches Bild“, sagt Frauke Danzer.

Kuratorenführungen am heutigen Samstag, 13 Uhr, Treffpunkt vor der Fachhochschule Am Alten Markt, und Sonntag, 14 Uhr, Treffpunkt Bad am Brauhausberg. Weitere Infos unter

www.faszinationundfassade.tumblr.com

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