Kultur: Mark und Metropole
Ausstellung im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte zum Verhältnis von Berlin und Brandenburg 1871 bis heute
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Ein Bahnhof irgendwo in Berlin. Die Vorortbahn will zum Baumblütenfest nach Werder fahren. Nur zwei Fahrgäste - ein Ehepaar im mittleren Alter – haben vor, sich auf den Weg in die Stadt an der Havel zu machen. Der Bahnbeamte langweilt sich bei der Fahrkartenkontrolle. Nichts los heute, denkt er wohl. Dabei wird doch in der Reichshauptstadt mit dem Spruch „Ein Paradies bist du, mein schönes Werder“ für das Fest geworben. Das Plakat aus den ersten Jahren des vergangenen Jahrhunderts zeigt, wie gemütlich es auf der Bahnstrecke Berlin–Potsdam-Werder wohl noch zugegangen ist. Ganz im Gegenteil zu heute, wo man während der Baumblütenfestttage den Eindruck gewinnt, eine Massenflucht findet von Berlin in Richtung Werder statt.
„Die Mark ist Mode geworden“ resümierte Theodor Fontane im Jahre 1864. Dabei waren nach seiner Ansicht sogar die Berliner Märker. Sie wohnen nur zufällig in Berlin. Von der Mark und der Metropole erzählt die gleichnamige Ausstellung, die gestern Abend im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte (HBPG) eröffnet wurde. Sie ist die zentrale Schau des Themenjahres des Kulturlandes Brandenburg „Provinz und Metropole – Metropole und Provinz“. Sie betreibe „Aufklärung im besten Sinne“ und weise nach, wie die Region „von je her“ zusammenwachse, sagte Brandenburgs Kulturministerin Johanna Wanka.
Mit 500 Exponaten von 40 Leihgebern wurde die die Ausstellung bestückt. „Viele Schatzkammern in Berlin und im Land Brandenburg taten sich auf“, sagte Andreas Bernhardt, Kurator der Ausstellung. „Ein Füllhorn von Ausstellungsstücken wurde nur so ausgeschüttet“. In der Tat, aber die große Vielzahl von Exponaten macht sie auch ein wenig unübersichtlich. Und Berlinlastig. Die wichtigste Leihgeberin wurde die Stiftung Stadtmuseum Berlin, die außerdem in puncto „Gefühlte Geschichte“, eine Ausstellung zu 100 Jahre Märkisches Museum Berlin, mit dem Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte eine Projektpartnerschaft einging.
Die Potsdamer Ausstellung „Mark und Metropole“ thematisiert erstmals das Verhältnis zwischen Berlin und Brandenburg im Zeitraum von 1871 bis heute und kommt zum Ergebnis, dass der Aufstieg Berlins zur Metropole niemals ohne den Beitrag der Provinz möglich gewesen wäre.Wie gegensätzlich das Verhältnis bis heute ist, machen Ölbilder deutlich: Da präsentiert sich am Spreeufer eine riesige, aus roten Ziegeln gebaute Fabrik(Die Wäscherei Spindler bei Köpenick, Paul Andorff, 1881), während daneben eine Dampflokomotive samt Bahnwagen an Mietskasernen vorbeihastet (Die Stadtbahn, Th. W. Schäkel, 1929). In wunderbarem Kontrast dazu steht die Schlachtensee-Idylle (Walter Leistikow, 1885) für Ruhe und Abgeschiedenheit. Das Gemälde „Die Spree“ von Max Fabian aus dem Jahre 1919 zeigt einen Mann auf einem Kahn, der ein Kind auf dem Arm hat. Auch dieser Schiffer gehörte wohl zum „Proletariat der Brandenburger Gewässer“.
„Berlin ist aus dem Kahn gebaut“, so heißt ein geflügeltes Wort. Es verweist auf eine starke Verbindung auch zwischen den heute benachbarten Bundesländern. Spätestens nach der Patentierung von Eduard Hoffmanns Ziegelringofen 1859 nahm die Herstellung von Mauersteinen und anderen keramischen Produkten mit Hilfe brandenburgischer Tonvorkommen einen unerhörten Aufschwung. Glindow wurde dabei zum Synonym für gelbe, Rathenow für rote Ziegel. Ebenfalls sozial ganz unten angesiedelt und weitgehend rechtlos waren die zumeist aus dem Berliner Umland kommenden Dienstboten, die zum Statussymbol bürgerlicher Stadthaushalte wurden. Einen gehobeneren Status hatten die Spreewälder Ammen, die ihren „Herrschaften“ in sorbischer Tracht zur Hand gingen.
Berlin wuchs im 19. und im 20. Jahrhundert in einem unerhörten Tempo.Um die 1,5 Millionen kamen in die Stadt, die meisten aus der preußischen Provinz Brandenburg. 1920 wurden die Dörfer des Speckgürtels Berlin – Reinickendorf, Zehlendorf, Dahlem u.a. – in die Hauptstadt eingemeindet.
Zwischen 1890 und 1910 expandierten viele Industriebetriebe ins steuerlich begünstigte Umland. Es war die Zeit großer Namen wie Borsig, Siemens, Orenstein & Koppel und AEG. Die umliegende Provinz lieferte derweil frisches Gemüse, Obst und Milch in die Stadt, an deren Rändern auch so manche Villenkolonie entstand. Natürlich wird auch die Zeit des Nationalsozialismus gestreift. Es sind die Jahre, in der Berlin verwaltungsrechtlich endgültig aus der Provinz Brandenburg herausgelöst wurde. Konzentrationslager und andere Terroreinrichtungen entstanden in der Mark und in der Metropole. Es folgten nach dem Zweiten Weltkrieg die Vier-Mächte-Stadt Berlin mit ihrer aufgezwungenen Abschottung zum Umland und die Entwicklung des Verhältnisses zur DDR, wo der Westteil von 1972 an Müll entsorgen konnte. Im Heute angekommen, scheint der rege Wohnungsbau Priorität zu haben.
Im Mittelpunkt der in zwölf Kapiteln gefassten Ausstellung steht der Alltag der Menschen. Höfische Kunst ist nicht zu sehen. Bedeutende Kunstwerke sollte man nicht erwarten. Doch liebenswerte und informative Bilder, Dokumente, Bücher, Realien, auch sakrale Kunst aus dem Mittelalter. Sie geben Bericht von einer spannenden Entwicklung Berlins udn Brandenburgs. Sie macht auch deutlich, dass die Metropole sowie die Mark bei allen Gegensätzen in gutem Sinne von einander abhängig waren und sind. Theodor Fontanes Meinung, dass für die Berliner die Mark wieder in Mode gekommen sei, ist auch heute vor allem an Wochenenden zu beobachten. Und die Märker machen sich zum Einkauf oder zum Konzert in die Metropole auf. Nach wie vor.
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