Kultur: Maskentheater
„Molino“ gastierte in Sacrow mit „Der Kreidekreis“
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„Molino“ gastierte in Sacrow mit „Der Kreidekreis“ Das im 18. Jahrhundert erbaute Guts haus Sacrow, einst Sitz des Grafen von Hardt, ist noch immer in einem beklagenswerten Zustand. Außen eingerüstet, ruft es auch innen, wo eben die Ausstellung „Fluchtlinien“ zu sehen ist, nach sämtlichen Gewerken. Seewärts steht die alte Platane in ihrer Majestät. Man hat vier Sichtachsen gen Potsdam eingeschlagen, Buchen, Ulmen, Eichen zwischen schilfbewachsenen Weihern, ein Idyll. Da sich die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten auf wenigstens zehn Jahre nicht in der Lage sieht, dem urchigen Park ein schönes „Schloss“ zu rekonstruieren, ergriff auch hier ein Verein die Initiative, behufs Konzert, Theater und Lesung am Kamin ein paar Mittelchen fürs Gut zu sammeln, denn sein Dasein soll sich ja im Sosein nicht erschöpfen. Freitagabend war nun die „Ur-Premiere“ dieser fabelhaften Idee. Mit der Berliner Theatergruppe „Molino“, multinational an der Volkshochschule Tempelhof-Schöneberg angesiedelt, erlebten dutzende Gäste an den Wirtschaftsgelassen der überschaubaren Anlage eine chinoise Vorstellung von ganz besonderen Güte: Der kolumbianische Regisseur Jaime Tadeo Mikán inszenierte ein Stück nach Klabund (1890-1928) über ein chinesisches Thema, den Brechts halber hochberühmten „Kreidekreis“. Doch sieht man es mit Abstand, so ist die mit viel Weisheit und Tugend geschmückte Fassung von Alfred Henschke alias Klabund (summiert Klabautermann und Vagabund), 1925 nach dem Werk von Li Xindao im 13. Jahrhundert adaptiert, weitaus tragfähiger als jene des Augsburgers, welcher selbigen Stoff erst 1948 bearbeitete. Jener braucht die „Kollektivierung“ des Kaukasus nicht. Man hat es mit einer epischen Parabel lehrhafter Art zu tun, einem literarischen Geniestreich aus Alt-China: Nachdem der feiste Steuereintreiber Ma (Elli La-tour und andere) Vater Tschang ob hoher Abgaben in Ruin und Selbstmord trieb, muss seine Frau die 16-jährige Protagonistin Haitang (Debora Förster, mit allen Vorzügen eines lieblichen Weibes und guter Darstellerin ausgestattet) in eine Art Teehaus verkaufen, wo sie sich in den Prinzen Pao (Björn Müller) und späteren Kaiser verliebt. Ma aber, der Mandarin, erkürt sie zu seiner Nebenfrau. Sie schenkt ihm einen Sohn, doch seine Erste (Ines Brand), die unfruchtbar geblieben ist, vergiftet ihn und behauptet keck, selbst den Knaben geboren zu haben. Nachdem sie alles bestochen hat, wird Hai-tang zum Tode verurteilt, indes just der Kaiser von China stirbt. Sein Erbe, Pao, zelebriert nun jene Szene, die sich auch bei Brecht findet: Der Knabe wird in einen magischen Kreidekreis gestellt, die Mütter aufgefordert, ihn herauszuziehen, was die echte aus Rücksicht auf dessen Gesundheit unterlässt. Dank Tugend, guter Kräfte des Himmels und eines Deus-ex-machina-Effektes sind Gerechtigkeit und Glück bei Molino (Motto „Das Dasein erschöpft sich nicht im Sosein“) gerettet. Sehenswertes Happy-End-Theater – eine Rarität. Auch die theatralischen Mittel waren beim Wochenend-Gastspiel für hiesige Breiten ungewöhnlich. Gabriel Hermida stattete die Personage mit schwerstoffenen chinesischen Kostümen aus - ob Phantasie oder Original, sie waren einfach prachtvoll. Klar arrangierte Szenen und der Einsatz von Halbmasken auf der eher kleinen Guckkastenbühne ermöglichten den Amateuren eine gestisch-lesbare Spielweise. Alles, bis auf die arg pressierte Sprache von Richter (Magdalena Gotkiewicz) und Kuppler (Judith Moser) war des Lobens wert, und selbst hartgesottenen Preußen-Fans wurde bald klar, dass „Friederizianische Tugenden“ wohl schon im alten China wuchsen. Mithin ein gelungener Auftakt für die Sacrower, das alte Forsthaus im dunklen Märchen- oder Räuberwald zu einem kulturellen Anziehungspunkt für Potsdam und Berlin zu machen, auch wenn es dauern muss ... Gerold Paul
Gerold Paul
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