Kultur: Mit dem Schirm zur Schirmherrschaft
Potsdamer Herzen für Kulturhauptstadt gefragt / Treff: 27. März
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Potsdamer Herzen für Kulturhauptstadt gefragt / Treff: 27. März Es war ein Abend des freundlichen Miteinanders. Die männlich ausgerichtete Podiumsrunde zeigte sich unisono, was nicht verwundert bei einem Thema, das Kulturmachern aus dem Herzen sprechen muss. Man traf zusammen, um die Bewerbung Potsdams zur Kulturhauptstadt 2010 verbal zu unterstützen. Dazu hatte der einladende Kulturhauptstadt-Verein den designierten Intendanten des Hans Otto Theaters, Uwe Eric Laufenberg, den Leiter des Hauses der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte, Gert Streidt, Wieland Eschenburg vom Pfingstberg-Verein, Rainer Ehrt vom Verband Bildender Künstler sowie Moritz van Dülmen, Projektleiter der Kulturhauptstadt GmbH, vor die gut gefüllten Zuschauerplätze im Alten Rathaus aufgereiht. Brav gaben die Herren ihre Statements pro Potsdam ab. 27. März: Tag der offenen Tür Van Dülmen lud erst einmal alle Einwohner der Stadt zum 27. März um 15 Uhr in die Schiffbauergasse ein. Dort sollen die Potsdamer persönlich die Schirmherrschaft für das ehrgeizige Projekt Kulturhauptstadt übernehmen. „Beim Tag der offenen Tür erfahren Sie alles zum Stand der Bewerbung. Die ersten 300 Besucher erhalten exklusiv den ,stell dir vor“-Schirm. Bringen Sie aber auf jeden Fall ihren eigenen Schirm mit. Jeder Schirm zählt“, buhlt der erste „stell dir vor“-Flyer, den die GmbH unters Volk streute, nun um die Gunst der Potsdamer. Dass die GmbH nicht ans Volk vorbei denkt, dafür steht als kritischer Begleiter der Verein Kulturhauptstadt ein. „Da es unsere Gelder sind, die bei der Bewerbung eingesetzt werden, schauen wir ganz genau, ob sich die Bürger in der Konzeption wiederfinden und ob das Geld so eingesetzt wird, dass es nachhaltig für die Bevölkerung Sinn macht“, so Fides Mahrla, der einzige weibliche Farbtupfer in der Männerdomäne. Noch allerdings ist ihr Verein mit 20 Mitgliedern ein recht überschaubarer Kreis. Dennoch hätten sie schon einiges angeschoben, wie den am Wochenende beginnenden Foto- und Malwettbewerb unter dem Titel „Potsdam ist Kult“, so Fides Mahrla, die auf kleine, überschaubare Schritte setzt. Wieland Eschenburg, der wisse, wie man Bürger auf die Beine bringt - so Moderator Dieter Schneider von Antenne Brandenburg – zeigte sich „total optimistisch. Nicht Zahlen zählen, Herzen brauchen wir. Dann läuft das Ding.“ Beharrlich müsse man mit verrückten Ideen ans Werk gehen und sich nicht zuviel vornehmen, sonst verzweifele man unterwegs. Wichtig sei es, dass Potsdam als Region wahrgenommen werde, denn auch die EU denke in solchen Förderkriterien, betonte Eschenburg. „Wir dürfen nicht in Potsdamer Begrenztheit denken, und unseren Kreis nur um Treffpunkt Freizeit, Lindenpark und das Theater ziehen.“ Gert Streidt verwies auf Potsdams Bonus als Weltkulturerbe. „Aber das ist nur der Türöffner. Wir müssen schauen, was das Unverwechselbare der Stadt ist und das sind auch die Standorte Holländisches Viertel, Schiffbauergasse oder Neuer Markt.“ Gerade mit der Ansammlung der geistigen Kompetenz auf dem Neuen Markt – einer einmaligen Mischung – könne man intelligente Konzepte machen. Ganz wichtig sei aber auch die Wiederbelebung von Potsdams Mitte. „Das muss nicht unbedingt das Stadtschloss sein. Aber es muss an dem Ort etwas passieren und sei es eine Baustelle, die zur Schaustelle wird.“ Auch Laufenberg verwies auf das Besondere der Schiffbauergasse, wo inmitten von Soziokultur und Industrie 2006 das neue Theater eröffnet wird. Er ging auch auf ernst zu nehmende Konkurrenten wie Bremen ein. „Selbst wenn wir nicht gewinnen, können wir viel für uns erreichen: dass aus Potsdam eine Kulturstadt wird.“ Auf die aktuelle Finanzdiskussion eingehend, sagte Laufenberg, dass es bei der avisierten Kürzung um 200000 Euro beim HOT sehr arm um das Musiktheater werden würde. Er appellierte stark dafür, das Musiktheater für das Land in Potsdam zu belassen. Rainer Ehrt wiederum brach eine Lanze für die arg gebeutelte Bildende Kunst in der Stadt, der es noch immer an einer Kunsthalle fehlt. Er hob auch hervor, dass man keine blinden Flecken zulassen dürfe. „Wir müssen schauen, was jetzt passiert, aber auch was in den vergangenen 50 Jahren geschah, und wir dürfen auch den Blick auf die internationale Kunst nicht vergessen.“ Viele der Künstler stünden am Existenzminimum, deshalb sei für sie die Kulturhauptstadt Chance und Zumutung zugleich. In der anschließenden Diskussion erinnerte Karin Schröter (PDS) daran, dass in der Schiffbauergasse ein neues Gebäude für die Bildende Kunst vorgesehen sei. „Ob man sie als Kunsthalle ansprechen kann, möchte ich bezweifeln, aber sie ist ein Schritt in die richtige Richtung“. Aus Defiziten Projekte entwickeln – gerade das sei es, was eine Kulturhauptstadt interessant mache, so die Strategie van Dülmens. „Potsdam steht dabei für ganz Brandenburg und auch mit Berlin wollen wir einen klaren Verbund eingehen, uns der vielen Vorteile ihrer Nähe bedienen.“ Studenten bemängeln Toleranz Die einzige Dissonanz im harmonischen Pro-Kulturhauptstadt-Kanon brachten die Studenten ein, dessen 27-köpfiges Parlament eine Unterstützung der Bewerbung abgelehnt habe, gab AStA-Mitglied Jürgen Stelter bekannt. „Wo Toleranz drauf steht, muss auch Toleranz drin stecken“, so die Kritik. Bemängelt wurde, dass das gute Miteinander zwischen Asylbewerbern und Anwohnern in der Kirschallee wieder aufgerissen werden solle und dass die alternative Szene bei Großveranstaltungen, wie schon zur Buga, als Störfaktor meist ausgegrenzt bleibe. Doch gerade auf die hochinteressanten Aspekte, die die jungen Leute in die Kultur einbringen, verwies die Rektorin der Fachhochschule Helene Kleine. Vielleicht könnte man gerade in der Auseinandersetzung mit den Heranwachsenden, die sich bis 2010 noch stark wandeln werden, die Streitkultur üben, wie es bei diesem 1. Kulturhauptstadt-Gespräch so nachdrücklich postuliert wurde. Auf jeden Fall ist die Bewerbungsschrift nur der theoretische Teil des Konzepts, der nun praktisch untersetzt und fortgeschrieben werden muss. Und dabei kann die Mischung der „Autoren“ gar nicht bunt genug sein. Heidi Jäger
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