zum Hauptinhalt

Kultur: Nach dem Mord

Ein Film über Potzlow läuft ab heute im Thalia

Stand:

Das Dorf liegt trügerisch friedlich da. Die Kirche, die Straße, die kleinen Häuser, der weite Acker dahinter. Irgendwo bellen Hunde. Doch schon bald weiß man, dass diese Ruhe keine entspannte Ruhe ist. Man spürt sehr schnell den herannahenden, drohenden Sturm, der über den Ort fegen wird . Dabei ist er schon da gewesen, der Sturm. Zumindest ein erster.

Ein schwarzer Tag in dem Nest Potzlow in Brandenburg: In der Nacht zum 13. Juli 2002 misshandeln die Brüder Marco (23) und Marcel (17) mit ihrem Freund Sebastian den 16-jährigen Marinus, ermorden ihn und vergraben ihn in einer Jauchegrube. Vier Monate später wird Marinus von seinem Freund Matthias entdeckt.

Mit dem ausgezeichneten Film „Zur falschen Zeit am falschen Ort“, der heute bundesweit Premiere hat und in dieser Woche im Thalia in einer Vorveranstaltung für Lehrer gezeigt wurde, begibt sich Regisseurin Tamara Milosevic auf Recherche in das Dorf. Dabei geht es ihr nicht darum, den Mord und seinen Ursachen nachzuspüren. Wenigstens nicht direkt. Sie zeichnet vielmehr ein Porträt von Matthias, dokumentiert das Leben der Jugendlichen in einer Welt des Rumhängens, der Bierflaschen, der Oberflächlichkeiten und des Kiffens.

Man hätte bei dem Thema damit rechnen können, dass der Film auf großes Interesse stößt. Aber nur fünf Zuschauer, Pädagogen und Sozialarbeiter, folgten der Einladung des Kinos, das mit dieser Vorführung eine neue Reihe startete: Mit Filmpräsentationen sollen Schulklassen ins Kino geholt werden. „Der misslungene Auftakt lag an Kommunikationsschwierigkeiten“, folgerte Daniela Zuklic vom Thalia. Mangelndes Interesse will sie den Ferngebliebenen nicht vorwerfen. Weil der Film „harter Tobak“ sei, habe man ihn zunächst Lehrern zeigen wollen, bevor sie sich ihn dann mit Schülern ansehen.

Und wirklich. „Zur falschen Zeit am falschen Ort“ ist nicht leicht zu ertragen. Die kleine Publikumsrunde sitzt wie erschlagen in den Sesseln. Immer wieder wünscht man sich weit weg aus dem Saal, aus diesen quälenden, unangenehmen Szenen, in denen Menschen so völlig respektlos und kalt mit ihrem Gegenüber umgehen. Und sich dessen nicht bewusst sind. Die Erwachsenen an vorderster Front machen vor der Kamera das, was sie immer machen. Warum auch nicht? Was ist schon dabei, den angetrunkenen Miki mit Jacke und Hose ins Wasser zu werfen und sich über ihn lustig zu machen? Was ist dabei, wenn die Mutter in die Kamera lacht und sich darüber freut, dass Matthias, ihr 16-Jähriger Sohn, endlich weg ist: Das Jugendamt hat ihm einen Heimplatz für Auszubildende vermittelt.

Potzlow ist ein skrupelloses Dorf, in dem es ums relativ erträgliche Überleben geht – im Sinne von Augen zu und durch. Als Zuschauer würde man am liebsten auch die Augen schließen, nicht wahrhaben, dass der Film Dokument ist, die Interviews echt sind. Zum Glück ist da noch Matthias, der das Ganze einigermaßen zumutbar macht. Er denkt nach, will etwas aus seinem Leben machen.

Harter Tobak, das ist „Zur falschen Zeit...“ ganz sicher. Aber Augen zu, das hilft wohl nicht. Marion Hartig

Thalia, heute um 19 Uhr, anschließendes Filmgespräch mit der Regisseurin

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })