Kultur: Nachts in der fabrik
Überraschungen bei der 2. Potsdamer Tanznacht
Stand:
Überraschungen bei der 2. Potsdamer Tanznacht Draußen war es kühl und regnerisch, Griechenland spielte gegen Frankreich. Nur halb voll war der Saal in der fabrik, wo die 2. Potsdamer Tanznacht begann. Auf der Bühne fünf Gestalten, einen Arm ausgestreckt, als gäbe es etwas zu fühlen im leeren Raum. Die Stimme eines Mannes, der aus seinem Alltag erzählt. Manchmal wolle er die Hand der Verkäuferin, die ihm das Wechselgeld gibt, greifen oder sich einfach an fremde Menschen lehnen. „Touch I - work in progress“, eine Choreographie von Jess Curtis, die im Juni nächsten Jahres ihre Premiere haben wird. Ein Ausschnitt der bisherigen Arbeit, die sich um Arten des Berührens und Berührtwerdens dreht, war zum Auftakt der Tanznacht zu sehen. Körper und eine Zunge strichen über den Boden, Kopf- und Barthaare rieben sich an nackter Haut. Zwei Kinder und Tiere im Zoo zeigte das nächste Tanztheaterstück: „Schweine im See - pop-art in development“ von und mit Julia Tokareva und Sascha Bondarev (Russland). Der kahl geschorene Tänzer im kurzen rosa-weißen Babyhosenanzug mit Spaghettiträgern als kleiner Bruder. In der Hocke raste er von rechts nach links über die Bühne, der älteren Schwester hinterher. Zwischendrin irgendwelche Tiere, mal hüpfend, mal steifbeinig vorbeiwackelnd. Getragen von treibender Musik mit eingängigen Beats und Melodien, zeigten die Tanzenden eine schnelle clowneske Tanzkomödie. Mit kindlichen Bewegungsmustern, Spiel- und Streitsituationen, die höchst humorvoll in den flüssigen exakten Tanz integriert wurden. Dann durfte das Publikum sich an verschiedene Aufführungsorte begeben. Man musste sich entscheiden, ob man Bea Kruschke ins Damen- oder Lea Martini ins Herren-WC folgen wollte. Und zu welchem der vier Choreographen es mit der Eieruhr gehen sollte, um ein zehnminütiges Gespräch über seine Arbeit zu führen. Sabine Chwalisz, Jess Curtis, Martin Nachbar und Christoph Winkler saßen jeweils in einem der Gästezimmer der fabrik und warteten auf „Kundschaft“. In einer Ecke der Bühne tanzte Jenny Haack mit sich selbst, ihrem Videobild: „Das Auge am Körper No. 1“ Eine Videokamera filmte die Tänzerin und warf das Bild um 90 Grad gedreht an die Wand. Lag die Tänzerin auf dem Boden, so stand sie im Bild an der Wand. Machte sie am Boden die Bewegung eines Saltos, sah es im Bild so aus, als geschehe der Salto in der Luft. Unglaublich. Plötzlich klebte die Tänzerin an der Wand. Und zum Schluss sprang sie in den Himmel. Tatsächlich robbte sie nur schnell aus dem Blickwinkel der Kamera heraus. Das Publikum war begeistert. Im Studio 3 wollte das Publikum gar nicht mehr aufhören zu klatschen, nachdem es fast eine Viertelstunde lang gelacht hatte. In schwarzem Hemd und Hose mit lilarosa breiter Krawatte betrat Susanne Martin die Bühne. Dann verschwand sie völlig und nur das schwere Atmen unter der Maske erinnerte hin und wieder daran, dass sie noch da war. Doch auf der Bühne stand nun ein älterer Herr, Herr Müh. Mit ernstem etwas traurigem Gesichtsausdruck hielt er die Lippen aufeinander gepresst und wirkte stets so, als sei ihm irgendetwas unverständlich. Rührend steif machte er seine Aufwärmübungen. Der anschließende Tanz im roten Licht zur Liebesschnulze ließ seine Bewegungen flüssiger werden. Plötzlich wirkte dieselbe Maske wie ein junger Latinlover. Danach hielt er ein Blatt hoch, auf dem stand: „Her name was Claudia“, seine Verflossene. „I''m full of dreams, I changed my life“. Ließ Herr Müh das Publikum per Zettel wissen, nachdem er eine spontane Improvisation zum Besten gegeben hatte, während er streng genommen nur am hinteren Bühnenbegrenzungsvorhang entlang gegangen war. Und: „You can do that too!“ Zum Abschluss auf der großen Bühne: „Ame to Ame“, choreographiert und getanzt von Shinichi MOMO Koga und Yuko Kaseki. Ein Paar, in dem besonders die Frau darum zu kämpfen schien, den Mann zu erreichen, was nicht gelang. Beeindruckend der ausdrucksstarke Tanz der japanischen Tänzerin, ihre stummen Schreie, die Beweglichkeit des kleinen Körpers, dessen Kopf und Hände so groß wirkten. Eine vielfältige Nacht war es, die Einblick in derzeitige Arbeiten unterschiedlichster Tanzender gab, die alle über den Tanz hinaus gehen. Einiges wird schnell vergessen sein, anderes möchte man unbedingt wieder sehen, wenn es seine endgültige Form erhalten haben wird.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: