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Kultur: Natur statt Moloch

„Einfach. Natürlich. Leben.“ Das Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte zeigt eine Ausstellung zur Lebensreform

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Appetitlich sieht es aus, was auf dem bunten Plakat aufgebaut ist. Diverse Gemüsesorten – aber kein Fleisch. Stattdessen: „Eden-Kraftnahrung, rein pflanzlich.“ Das Ersatzprodukt kam aus Karton oder Büchse und war ein Gemisch aus Hülsenfrüchten, Getreide und Kräutern. Hergestellt 1908. „Anfangs kam es als Pulver, das man zu Hause anrühren konnte und daraus Frikadellen formte“, sagt Christiane Barz. Die Literaturwissenschaftlerin ist Kuratorin der Ausstellung „Einfach. Natürlich. Leben. Lebensreform in Brandenburg 1890–1939“. Die Ausstellung, die ab heute im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte gezeigt wird, macht deutlich: Bio, Öko und Wellness sind bei weitem keine Erfindungen der 2000er-Jahre.

Der Beginn der bewussten Neuorientierung wird in Deutschland auf das Jahr 1890 gelegt. Damals gründete sich in Berlin der „Friedrichshagener Dichterkreis“. Den Literaten und Intellektuellen ging es darum, Kunst und Natur in Einklang zu bringen. Einige Mitglieder editierten die erste Schwulenzeitung weltweit: „Der Eigene. Ein Blatt für männliche Kultur“. Dem Kreis der Bohème entsprangen auch Ideen für Gartenstädte und genossenschaftliche landwirtschaftliche Gemeinschaften – was zur Gründung der Obstbau-Genossenschaft Eden führte.

In ganz Deutschland gründeten sich um die Jahrhundertwende Vereine, Initiativen, Gemeinschaften und Reformschulen, die nach dem Einklang von Natur, Körper und Geist suchten und sich vom Ballast bürgerlicher Konventionen befreien wollten. Das war ganz praktisch zu sehen, so Barz: Etwa 15 Kilogramm wog damals das, was die Dame Tag für Tag am Leib trug. Sexuelle Aufklärung gab es so gut wie keine. Und Berlin, das war im Zeitalter der Industrialisierung ein krank machender, schwarzer Moloch, aus dem die Menschen heraus drängten – in die Natur.

Die Ausstellung in Potsdam zeigt, was damals in Brandenburg los war. Insgesamt 15 Initiativen oder Einzelpersonen werden vorgestellt, Originalfotos, Magazine, Zeichnungen, Tagebücher; Keramik, Möbel und Textilien der Kunsthandwerkergenossenschaft Gildenhall, ein Rucksack der Wandervögel, Sportgeräte wie Medizinbälle und Hanteln, dazu ein Schnittmuster „für meinen Nacktschurz“. In Schwarz-Weiß-Stummfilmen wird nackt am Strand geturnt und getanzt.

Diese freie Reformbewegung war mit der Gleichschaltung der Nazis natürlich nicht vereinbar. „Vegetarier mit ihrer Liebe zu allen Kreaturen passten den Nazis nicht“, sagt Barz. Dass sich manches Gedankengut auch für die Nazi-Ideologie instrumentalisieren ließ, ist nicht das Thema der Ausstellung. Sie endet mit dem Jahr 1939, als die Reformschule von Adolf Reichwein in Tiefensee, heute Werneuchen, geschlossen werden musste.

Die Kuratorin legt den Fokus darauf, wie verblüffend vielfältig sich die „Lebensreform“-Bewegung offenbarte.

Da gab es einzelne Wanderpropheten wie Gustav Nagel, der sich wie Jesus kleidete und am Arendsee einen Paradiesgarten mit Wellnessangeboten wie Kneippbädern schuf – 1942 wurde er von den Nazis ins KZ und in der DDR in die Irrenanstalt gesteckt, wo er auch starb. Dann natürlich die großen Gemeinschaftshöfe – überlebt hat davon lediglich der erste Demeterhof Marienhöhe bei Bad Saarow, und auch das nur aus Zufall. Weil der Erbe mit einer Österreicherin verheiratet war, konnte er zu DDR-Zeiten nicht enteignet werden. Überlebt hat auch die Nacktbadeszene am Motzener See. Der Nacktkultur-Verein – Motto: „Wir sind nackt und nennen uns Du“ – lud hierher nicht nur zum Baden, man trieb Sport und bildete sich weiter in Sachen Ernährung und Sexualkunde, und man praktizierte Freiland-Aktfotografie. Vielen Bildern ist der Spaß, den man dabei hatte, deutlich anzusehen.

Erst mit der Nazizeit wurde aus der Leichtigkeit Ernst, dann ging es nicht mehr um Spiel und Sport, sondern das Stählen des Volkskörpers, sagt Barz. Manche Projekte wurden vor den Nazis ins Ausland verlegt, andere scheiterten aus ganz praktischen Gründen. Die Siedlung Heimland bei Rheinsberg etwa existierte nur von 1909 bis 1926: Der Boden dort war zu karg, die Entfernung von Berlin zu groß, es herrschte Frauenmangel in der Siedlung. Vor allem aber waren die Aussteiger, die meist aus dem intellektuellem Milieu stammten, in ökonomischen und landwirtschaftlichen Dingen unerfahren.

Was gut klappte, war die Vernetzung der Vereine und Initiativen. Durch Werbeblätter, Flugblätter und Magazine wurden Ideen verbreitet, dort warb man auch um neue Mitstreiter. Es entwickelte sich eine ausgeprägte Ratgeberliteratur. Viele Original-Broschüren und Bücher hat Barz zusammengetragen. Allein das Lesen der Buchtitel ist ein Genuss: „Frottierübungen in Wort und“ Bild, „Sei schön durch Nacktkultur“, „Der Geschlechtsverkehr der Ledigen“, „Der Spiritismus und seine Phänomene“, „Die Kunst des Geldverdienens“, „Die Morgentoilette der Berufstätigen“ – um nur einige Beispiele zu nennen. Das Anliegen dahinter war ein ernstes: gesundheitliche Aufklärung. Der Chirurg August Bier setzte sich mit Homöopathie und den Effekten von Heilgymnastik auseinander – und machte sich auf seinem zwischen Beeskow und Fürstenwalde gelegenen Waldgut „Sauen“ für eine nachhaltige, reformierte Forstwirtschaft stark. Dieses breite, vielseitige Engagement war typisch für Biografien der Bewegung.

Erst nach dem Nationalsozialismus und den verklemmten Nachkriegsfünfzigern griff die Generation der 68er die Ideen wieder auf. „Das hatte auch etwas mit der Dynamik zwischen den Generationen zu tun. Die Kinder der Reformer wollten nicht mehr ständig nackig rumlaufen. Und die 68er alles anders machen als ihre Eltern“, sagt Barz.

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