Kultur: NS-Geschichte im Kinosessel
„Der neunte Tag“ von Volker Schlöndorff gab gestern einen Vorgeschmack auf die Schul-Film-Woche Berlin Brandenburg. In diesem Jahr geht es um das Thema Geschichte
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„Der neunte Tag“ von Volker Schlöndorff gab gestern einen Vorgeschmack auf die Schul-Film-Woche Berlin Brandenburg. In diesem Jahr geht es um das Thema Geschichte Verschwommene Filmbilder, die unmittelbar in die Geschichte hineinziehen: Die aus dem Güterzug gedrängte Menschenmasse, die wie Vieh vorwärts getrieben wird. Ein hämisch grinsender Offizier, der sich an einem Priester mit großem schwarzen Hut vergreift, Abbé Henri Kremer. Aus der Perspektive des luxemburgischen Geistlichen erleben Potsdamer Schüler am Donnerstagmorgen im Filmmuseum Gewalt im NS-Alltag. „Der neunte Tag“ läuft über die Leinwand. Im Publikum sitzen auch Regisseur Volker Schlöndorff und die Drehbuchautoren des international sehr erfolgreichen Films. Die Zuschauer erleben Kremers persönliche „Dritte-Reich“- Geschichte, sie begleiten ihn im KZ Dachau und während seines „Urlaubs“ in seiner NS-verseuchten Heimat – und dabei, wie er am Ende zu sich selbst findet. Kino kann, was normaler Unterricht nicht kann, sagt Tobias Kipp vom Brandenburger Landesbüro des Instituts für Kino und Filmkultur, das die außerhalb des regulären Programms laufende Filmvorführung veranstaltet. Es hat diese besondere Atmosphäre, entführt in andere Welten, Zeiten und Gefühle. Das will das Institut schulisch nutzen. In der zum zweiten Mal organisierten Schul-Film- Woche Berlin Brandenburg lockt es unter dem Motto „Geschichte wird gemacht“ Schüler aus den Klassenzimmern vor die Leinwand. Vom 13. bis zum 17. Juni laufen in 83 Kinos der Region vormittags über 90 Filme. Für 2,50 Euro können sich Jugendliche den neuseeländischen Film „Whalrider“, „Sophie Scholl“ oder „Hotel Ruanda“ ansehen. Für die Lehrer gibt es zur Vor- und Nachbereitung kostenlose Begleitmaterialien. Die Filmemacher sind allerdings, anders als bei der Vor-Aufführung im Filmmuseum, gewöhnlich nicht anwesend. Da sind die Schüler im Filmmuseum im Vorteil, denn in den Unterrichtsheften dürfte kaum vermerkt sein, dass der ohnehin magere Ulrich Matthes acht Kilo für sein Rolle abgespeckt hat. Die Drehbuchautoren Andreas Pflüger und Eberhard Görner klären auf, was Fiktion, was wahr ist in der Geschichte, die auf einem autobiografischen Buch eines luxemburgischen Priesters beruht. Der Film konzentriert sich auf ein dort kaum erwähntes Kapitel seiner Lebensgeschichte, die neun Tage seines Hafturlaubs. Mit historischen Dokumenten und realen Erlebnissen anderer NS-Opfer haben die Autoren den Stoff verdichtet. Die Geschichte mit dem Wasser, die Kremer aus seiner Sicht zu einem Schuldigen macht am Tod eines Kameraden, haben die Autoren eingebaut, um „die Fallhöhe des Priesters“ zu vergrößern. Wegen der filmischen Veränderungen gaben sie dem Filmhelden einen neuen Namen. Regisseur Schlöndorff geht es neben dem Inhalt des Films bei der Schul-Initiative noch um etwas ganz anderes: „Wir werden ununterbrochen von Filmsprache manipuliert und beeinflusst. Schule muss Filmsprache verständlich machen, erklären, mit welchen Mitteln Film arbeitet“, fordert er. Wird aus subjektiver Ich-Perspektive oder aus der Vogelperspektive erzählt? Ein Problem hat der Regisseur bei vielen Filmen mit der Tonspur. Geschichten seien mit Musik überfrachtet. „Die Geigen spielen lange, bevor die Liebeserklärung einsetzt“. „Der neunte Tag“ sollte ganz ohne Musik auskommen. Doch das hat nicht funktioniert. Fast 15 Minuten mussten im Nachhinein eingespielt werden – um den Film für den Zuschauer emotional erträglich zu machen. Marion Hartig www.lernort-kino.de
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