
© A. Klaer
Von Josefine Schummeck: Ohne vorgeplanten Film im Kopf
Tina Wolff hat ihr Leben noch einmal neu begonnen: Sie legte eine Pause ein und begann zu malen und zu schreiben
Stand:
Eine Plage des modernen Menschen ist der Zwang. Der Zwang, gewisse Dinge tun zu müssen und andere zu lassen. Wessen Terminplaner platzt nicht vor Aufgaben und Pflichten, wessen To-do-Listen werden nicht immer länger? Wäre da nicht der subtile, unterschwellige Drang nach Freiheit, der einen manchmal packt. Mal eine Auszeit für Herz und Seele nehmen, mal pausieren und einfach nur da sein.
Einfach sein, leben, ohne den Grund des Daseins zu hinterfragen. Nicht nachdenken, das Leben fließen lassen und Dinge so geschehen lassen, wie sie geschehen. „Just Be“, so der Titel der letzten Ausstellung der Potsdamer Künstlerin Tina Wolff. Sie hat den Mut aufgebracht, ihr Leben einmal auf „Stop“ gesetzt und neu begonnen. Danach machte die Künstlerin und Autorin ihre Hobbys zum Beruf. Ihre Gedichte handeln vom Mensch sein, vom Mut, zu leben. Auch ihre Gemälde haben eine ganz eigene Lebendigkeit: auf den Leinwänden sind neben Acryl verschiedene Materialien wie Draht, Faden und Perlen verarbeitet. Die Bilder wirken dadurch räumlich und sind fühlbar. Auch Naturmaterialien wie Holz und Blattgold zieren die Leinwände.
Mit bürgerlichem Namen heißt Tina Wolff Christine Seibert. Wolff ist der Familienname ihrer Eltern. Mit Vornamen sollte Christine eigentlich Christina heißen, doch ein Schreibfehler machte das „a’ zum ,e’. Ihre Eltern riefen sie trotzdem Tina. Aufgewachsen ist sie in Berlin-Charlottenburg in einem politischen Umfeld. Ihr Vater leitete eine eigene Zeitung. Sie sagt, sie habe damals vor allem zwei Dinge gelernt: „Teile alles, was du hast; und: Hinterfrage alles, glaube nichts!“ Neben der Politik gehörte zu ihrer Kindheit aber immer auch die Kunst. Schon als junges Mädchen habe sie immer gern gezeichnet und gemalt, habe sie auch schon geschrieben, vorrangig Gedichte. Ihr Studium war dann wenig künstlerisch: Wirtschaftswissenschaften. Danach arbeitete sie in verschiedenen Jobs, machte eine Ausbildung zur Yoga-Lehrerin, heiratete und bekam eine Tochter. Viele Jahre ging das gut. Denn sie lebte ein Programm, von dem sie glaubte, das es aufging.
Doch dann verlor die 35-Jährige den Boden unter den Füßen. Jahrelang war sie auf der Suche gewesen und erkannte plötzlich, dass sie in der Sackgasse steckte. „Ich war einfach nur geschockt von dem Wahnsinn, Mensch zu sein“. Auf einmal war es nicht mehr so leicht, einfach zu sein. Eine persönliche Lebenskrise brachte sie zum Umdenken und zu einem konsequenten Entschluss: 2009 sollte das Jahr ihrer Auszeit sein.
Christine Seibert zog sich zurück, schränkte den Kontakt nach außen stark ein. Neun Monate lang wollte sie nur für sich und ihre kleine Tochter da sein. Um herauszufinden, wer sie ist, was sie vom Leben will. Sie wollte sich nicht mehr nach den Programmen im Leben richten, die wie der Plot eines Films vorgeschrieben sind. In dieser Zeit widmete sie sich auch intensiv ihrer Malerei und Kunst. „Ich habe die Stille genossen“, sagt sie. Stille ist in diesem Fall wörtlich zu nehmen. Christine Seibert stellte ihr Telefon lautlos, schaltete nicht den Fernseher ein und genoss die Ruhe des Landlebens in Groß Glienicke. Aber einfach war es nicht. In manchen Momenten kamen ihr Zweifel, Tränen flossen und an diesen Tagen fühlte sich die selbst gewählte Isolation wie ein Horrortrip an. „Die Einsamkeit war nicht das Schlimme. Aber wenn man keine Ablenkung hat, ist es grauslich, was sich einem für Themen zeigen.“
Ihr Umfeld reagierte unterschiedlich auf den Ausstieg. Viele waren interessiert und neugierig, einige waren verunsichert oder sogar enttäuscht. Für Christine Seibert ging es in dieser Zeit aber um Größeres, Existenzielles. Und man ist geschockt, wenn sie sagt, es ging um die Entscheidung: „Sterben oder leben“. Am Ende hat sie sich für das Leben entschieden. Für Leben pur.
Christine Seibert sagt, jetzt habe sie zu sich gefunden, neue Energien frei gemacht. Ihre aktuelle Ausstellung trägt den Titel „Just Do“. Man erkennt den Wandel: das Leben nicht nur fließen lassen, sondern auch etwas tun. Einfach machen. Ohne groß nachzudenken, das tun, worauf man Lust hat und was einem gut tut.
Nach der Stille der Isolation folgte also das Sprudeln neuer Kreativität. Tina Wolff liebt dieses Gefühl des „Flows“: wenn einfach alles läuft. Diesen Zustand erreicht sie beim Malen. Und während sie so über diesen Flow spricht, spürt man tatsächlich diese Energie und die innere Zufriedenheit, die sie damit erreicht. Sie wirbt mit einer eigenen Seite im Internet und hat durch private Ausstellungen schon das ein oder andere Gemälde verkauft. Neben der Malerei möchte sie sich auch als Autorin verwirklichen. Sie schickte ihre Gedichte an Verlage und bekam mehrere Zusagen. Im März wird ihr erstes Buch im Fischerverlag erscheinen, ein Lyrikband mit dem Titel „Just Be“. Sie ist davon überzeugt, dass „wenn man mutig ist, auch etwas zurück kommt“.
Ihre von Kindesbeinen anerzogene Skepsis, alles zu hinterfragen, hat ihr letztendlich neuen Lebensmut verschafft. „Alles in Frage zu stellen, ist nie angenehm, aber es macht frei. Die Erkenntnis, dass alles eine Illusion ist, alles Programm. Das macht das Sein hier auf Erden für mich wieder spannend.“ Tina Wolff will mit ihrer Kunst zeigen, dass nichts wichtiger ist, als sich frei zu machen von den Programmen im Leben. Sie findet, dass Dinge nur dann schön sind, wenn man sie für sich selbst tut und nicht für andere. „Dann spürt man das Leben pur und die Freude zu sein, ohne den vorgeplanten Film im Kopf.“
Tina Wolff öffnet jeden Sonntag ihr Atelier in Groß Glienicke. Anmeldung erwünscht unter Tel.: 0178 669 14 99. Weitere Informationen unter www.kunst-wolff.de.
Josefine Schummeck
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