Von Barbara Wiesener: Orte im „Jahrhundert der Extreme“ Erinnerungskultur von 1933 bis 1990 diskutiert
Bereits vor Beginn der offiziellen Diskussionsrunde wogten die engagierten Gespräche der geladenen Zuhörerschaft durch den dicht gefüllten Veranstaltungsraum der Landeszentrale für politische Bildung. Kulturministerin Johanna Wanka, Insa Eschebach von der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück und Anna Kaminsky von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur diskutierten das Entwurfspapier der Landesregierung „Geschichte vor Ort: Erinnerungskultur im Land Brandenburg für die Zeit von 1933 bis 1990“.
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Bereits vor Beginn der offiziellen Diskussionsrunde wogten die engagierten Gespräche der geladenen Zuhörerschaft durch den dicht gefüllten Veranstaltungsraum der Landeszentrale für politische Bildung. Kulturministerin Johanna Wanka, Insa Eschebach von der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück und Anna Kaminsky von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur diskutierten das Entwurfspapier der Landesregierung „Geschichte vor Ort: Erinnerungskultur im Land Brandenburg für die Zeit von 1933 bis 1990“.
Etwa 100 Exemplare dieses Entwurfs waren an Museen, Gedenkstätten, Vereine und Freundeskreise zur Begutachtung und Kommentierung verschickt worden. Auch die allgemeine Öffentlichkeit konnte das Entwurfspapier im Internet nachlesen und war ebenfalls zur Mitarbeit aufgerufen.
Johanna Wanka verwies darauf, dass das Land Brandenburg als Umland von Berlin besonders reich an geschichtsträchtigen Orten des „Jahrhunderts der Extreme“ sei. Die Bundesregierung habe bereits im Juni 2008 unter dem Titel „Verantwortung wahrnehmen, Aufarbeitung verstärken, Gedenken vertiefen“ die Fortsetzung der Gedenkstättenkonzeption aus dem Jahr 1999 beschlossen, was der Landesregierung eine weitere Kofinanzierung verspricht. An allen bestehenden und zu erfassenden Erinnerungsorten sollte sowohl die Repressionsgeschichte als auch die Alltagsgeschichte lesbar gemacht werden. Das vorgelegte Konzept sollte das Vorhandene bilanzieren und das noch Fehlende aufklären.
Zu den noch aufzuarbeitenden Themen und Orten, auf die bereits kritische Leser hingewiesen hatten, zählte die Ministerin die KZ-Außenlager, die Orte der deutsch-deutschen Teilung, die Rolle der christlichen Kirchen in den Diktaturen.
Insa Eschebach mahnte die „Nichtgleichsetzung“ beider Diktaturen an und forderte die Herausarbeitung der besonderen Merkmale der NS-Zeit: Durchführung der Feldzüge, rassistische Neuordnung Europas, Deportationspraxis, Verfolgung von Menschen mit sozialen Abweichungen, die Internationalität der Opfer. Sie bemängelte eine fehlende geschlechtshistorische Fragestellung und verwies darauf, dass bereits in der DDR-Zeit die beiden „männlichen“ Konzentrationslager Buchenwald und Sachsenhausen in der DDR- Öffentlichkeit im Gegensatz zu dem Frauenkonzentrationslager Ravensbrück ungleich präsent gewesen wären. Auch bestünde die Gefahr, dass bei zu viel „staatlichem“ Einsatz ein staatliches Geschichtsbild konstruiert werden könnte. Um einer Geschichtsbemächtigung entgegenzuwirken, sollte weiterhin eine differenzierte historische Aufarbeitung gefördert werden. Die Erforschung der Gedenkstätten sollte nicht als abgeschlossener Prozess betrachtet werden, sondern ein fortwährender Vorgang sein, der in die Gegenwart hineinwirkt.
Anna Kaminsky bezeichnete das vorgelegte Konzept als ein umfangreiches Abbild der Erinnerungslandschaften und einer demokratischen Diskurskultur. Im Gegensatz zu Insa Eschebach plädierte sie für die Herausarbeitung der Gemeinsamkeiten beider Diktaturen. Sie verwies darauf, dass die doppelte Diktaturerfahrung erst seit 1989 thematisiert wird, und dass es dennoch schon sehr ausgereifte Forschungsansätze gäbe. Sie benannte die Gefahr der Marginalisierung für die nicht in der Stiftung aufgenommenen Gedenkstätten und zählte dringende Defizite bei der Aufarbeitung auf: das Militärgefängnis in Schwedt, das Lager Mühlberg, das Gefängnis Brandenburg. Auch wäre die Geschichte der Zivilcourage beider Diktaturen noch ebenso wenig erforscht wie die Geschichte von Teilung, Flucht und Vertreibung. Die lokalen Alltagsgeschichten könnten ihrer Meinung nach eine wichtige Bereicherung der regionalgeschichtlichen Museen werden.
Die zahlreichen Diskussionsbeiträge der Vertreter der Initiativgruppen, Freundeskreise und Museen konnten kaum ausreichend Platz gewinnen. Zu Worte kamen die Gedenkstätten und Themen, die nicht aus dem Stiftungsfond gefördert wurden und meist nur durch ehrenamtliches Engagement bestehen. Wie das NKWD-Lager Mühlberg, die Seelower Höhen, der Friedhof Halbe, die Arbeitsgemeinschaft Sachsenhausen-NKWD und der Verein Catte e. V. Es wurden die fehlenden finanziellen Mittel und der noch immer ausstehende Forschungsbedarf beklagt und eine stärkere Vernetzung der einzelnen Gedenkstätten angemahnt.
Barbara Wiesener
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