Kultur: „Plötzlich wird die Angst ganz real“
Isabell Gerschke spielt an der Seite von Sandra Hüller und Nina Hoss in dem Kinofilm „Anonyma“
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Sie hat in dem Film nur wenige Sätze zu sprechen und doch gehört „Anonyma“ zu ihren bislang wichtigsten Arbeiten. Ein steifer Nacken, der Isabell Gerschke derzeit zu schaffen macht, ist wohl der körperliche Nachklang dieser aufwühlenden Dreharbeiten. Max Färberböcks Verfilmung des Buches „Eine Frau in Berlin“ von Marta Hiller führt zurück in die letzten Kriegstage 1945. Die Russen marschieren ein und viele Frauen müssen Vergewaltigungen und grausame Demütigungen über sich ergehen lassen.
„Zum Glück musste ich keine Vergewaltigungsszene drehen, so wie Nina Hoss, die die Hauptrolle spielt. Dennoch hat mich die ganze Situation mitgenommen. Du sitzt im Originalkostüm über mehrere Stunden in einem stickigen Keller, der Tonmann spielt Panzergeräusche ein – irgendwann wird die Situation ganz real und man fängt plötzlich an zu weinen. Auch wenn man die Zeit nicht miterlebt hat.“ Die Potsdamer Schauspielerin, die bereits mit 12 Jahren das erste Mal vor der Kamera stand, gibt eine hysterische junge Frau, die völlig fertig ist: „Ein zartes aufgeregtes Wesen, das aus lauter Angst, dass die Russen wieder kommen, fast vergeht. Lisbeth ist immer an der Seite von Steffi zu sehen, mit der sie wohl eine lesbische Beziehung verbindet.“ Die Rolle der stärkeren Partnerin gibt Sandra Hüller. „Ich hatte mir erst vor kurzem ihren Film ,Requiem“ angeschaut und dachte: ,Mit der möchte ich mal arbeiten“.“ Kurz darauf bekam Isabell Gerschke die Einladung zum Casting – und wurde genommen. „Es war ein sehr ungewöhnliches Vorspielen. Max Färberböck sagte nur: ,Stell dir vor, du sitzt im Keller und kriegst Panik“. Ich hatte beim Warten hinter einer Stoffwand bereits mitbekommen, wie sich andere Bewerberinnen auf den Boden wälzten und sich sehr verausgabten. Für mich war klar: Ich mache es anders, spiele eher eine innere Verkrampfung. Und es hat gepasst.“
Nun durfte sie an der Seite namhafter Schauspielerinnen wie Juliane Köhler, Ulrike Krumbiegel, Jördis Triebel oder Erni Mangold, Österreichs große Theaterdame, dieses Drama mit gestalten. „Die meisten hatten wie ich nur kurze Textpassagen, mussten aber sehr unterschiedliche Charaktere geben. Wir hatten mehr zu spielen, als zu sagen.“ Und da Isabell auch Tänzerin ist, konnte sie in Gestik und Körpersprache auf ein reiches „Vokabular“ zurückgreifen. Auch während der langen anstrengenden Drehtage half ihr der Tanz. „Wir haben in unseren Kriegsklamotten Yoga gemacht und ich habe meinen Kollegen eine kleine Choreografie beigebracht, um wieder Energie zu bekommen.“ Für sie war es vor allem eine große Bereicherung, mit Nina Hoss gemeinsam arbeiten zu dürfen. „Hut ab vor dieser Frau, die überhaupt kein Brimborium um sich macht, immer nahe bei sich ist und die Kollegen sehr ernst nimmt.“
Es ist der zweite Kinofilm, in dem die sympathische Potsdamerin mitwirkt. „Dominik Grafs ,Hotte im Paradies“ fand allerdings keinen Verleih, wurde aber im Fernsehen mehrfach ausgestrahlt.“ Auch am 22. September ist sie wieder auf dem Bildschirm zu sehen: An der Seite von Felicitas Woll spielt sie in der Pro7-Produktion „Zwei Wochen Chef“ eine romantische Verwechslungskomödie, „die sich neben ,Anonyma“ allerdings etwas banal ausnimmt. Ich sehe mich auch eher in der dramatischen Ecke, wo es um etwas geht, wo man in Abgründe eintauchen kann. Lustig zu sein, ist indes viel schwieriger zu spielen.“ Keineswegs würde sie in einer Telenovela mitwirken, wie es ihr bereits angeboten wurde. „Auch wenn man dadurch viel schneller bekannt wird. Aber Arbeitszeit ist Lebenszeit. Und ich habe keine Lust, ein Jahr lang in einer Pappkulisse zu agieren. Da verbringe ich die Zeit viel lieber mit meinem Kind. Ich bin jetzt 28 und da besinnt man sich immer mehr auf sich selbst.“ Durch ihre vierjährige Tochter ist es für Isabell Gerschke unmöglich geworden, an eine Tanzkarriere mit großen Tourneen zu denken. „Ein Kind braucht den relativ strukturierten Alltag. Aber ich habe jetzt mein erste eigene, kleine Choreografie zum Thema Trennung erarbeitet und sie mit einem Kollegen im T-Werk getanzt. Ich könnte mir vorstellen, in dieser Richtung weiter zu machen.“ Ihr Traum wäre es indes, in einem Tanzfilm eine größere Rolle zu bekommen, um ihre beiden Berufe miteinander zu verbinden. „Ich traue mich langsam zu sagen, dass ich Schauspielerin bin, obwohl ich es nicht wie den Tanz studiert habe.“
Und es scheint weiter zu gehen in der Filmbranche: „Gerade hatte ich ein Casting zu einem Thriller, der in Rumänien gedreht werden soll. Das würde mich total reizen, zumal mein Großvater dort lebte, bevor er vertrieben wurde. Jetzt heißt es aber wieder mal abwarten, ob der ersehnte Anruf kommt.“ Die Tage sind dennoch ausgefüllt: mit dem Tanzunterricht für Kinder am Offizze, dem eigenen Tanztraining und natürlich mit Tochter Renée Carlotta. „Außerdem fange ich etwas ganz Neues an: Kung fu. Denn ich stehe auf Kampfsport.“ Vorher muss sich aber der Nacken wieder aus seiner Verkrampfung lösen.
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