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Kultur: Postkartenunschuld

oder politische Absicht? Der Kulturarbeiter Mathias Paselk stellt DDR-Postkarten aus

Sie wirkt ganz unschuldig, zeigt schöne Idyllen, Landschaften, Stadtbilder, Architekturdenkmäler oder blumige Blicke in den Park: die Postkarte, der nette, fotografische Gruß von Ort zu Ort, das harmlos schöne Dokument im Sinne von „Hier sieht es so aus“. Die Bilder sind meist, bei blauem Himmel aufgenommen, ein bisschen schöner als die Wirklichkeit, schließlich sollen sie auch so etwas wie Werbung sein. Aber manipulierte Postkarten? Absichtlich verfälschte Bilder?

Zumindest lohnt es sich, auch bei Postkarten über die Glaubwürdigkeit der Bilder nachzudenken, sagt Mathias Paselk, dem es sehr viel Spaß macht, solche Dinge zu hinterfragen. Der gebürtige Brandenburger, der vor ein paar Jahren nach Potsdam zog, ist 32 und Sammler von Postkarten aus Brandenburg. Er hat Kulturarbeit an der Fachhochschule Potsdam studiert und sich nach dem Diplom an der Universität Potsdam in Philosophie und Geschichte eingeschrieben. Daneben arbeitet er als Koordinator für das kürzlich an den Start gegangene brandenburgische Jugendkulturnetz für Musiker. Auf die Idee mit der Postkarten-Manipulation ist er gekommen, als er in seiner Sammlung stöberte und ein seltsames Phänomen entdeckte. Das gab den Anstoß zu der Ausstellung im Lapiz Lazuli in der Benkertstraße. 14 zu DDR-Zeiten aufgenommene Postkartenmotive hängen nun im Großformat an den Wänden des kleinen Cafés.

Das seltsame Phänomen ist der P70, ein DDR-Auto, mit dem Kennzeichen DK 45-38, und seine plötzliche Allgegenwärtigkeit in der Paselkschen Postkartenlandschaft. Der Sammler entdeckte ihn erst auf einer, dann auf weiteren Stadtbildern, dann auf Ansichten aus Brück, Lehnin, Nauen und Rathenow. Hat der Fotograf das Auto zufällig aufs Bild gebracht? Oder ist es ganz absichtlicher Teil einer Komposition, die ihm ein Auftraggeber vorgab? Der P70, ein Symbol für die Mobilität und Fortschrittlichkeit der DDR?

Es sieht nach Absicht aus. Die typischen DDR-Vorzeigemotive sprechen dafür: die Werner-Seelenbinder-Straße als erfolgreiches Projekt des modernen Wohnungsbaus im Neubaugebiet Nord von Brandenburg, die städtische Einkaufsmeile mit der Straßenbahn, die aus den Boden sprießenden, modernen Hochhauslandschaften.

Paselk ging auf Recherche, hat versucht, etwas über den Fotografen der Bilder herauszufinden. Ohne Erfolg. Aber eigentlich geht es ihm sowieso weniger um die DDR und ihre machtpolitischen Interessen. Er stellt mit den Bildern vielmehr eine ganz allgemeine, heutige Rezeption in Frage, die nicht erst bei Medienbildern anfange. Skandale, wie manipulierte Fotos und Videos aus dem Irakkrieg, haben immerhin Fernseh- und Pressebilder von ihrem Wahrhaftigkeitssockel geholt, sagt er: „Wer einmal fälscht, dem glaubt man nicht“. Aber streng genommen sei jede fotografierte Wirklichkeit in gewisser Weise manipuliert, zeige nur einen bestimmten Ausschnitt, ein bestimmtes Interesse: nämlich das des Fotografen oder seines Auftraggebers. Wie kann es auch anders sein? Nur sollte man sich genau das immer wieder bewusst machen, sagt der Postkartensammler.

Für den Kulturarbeiter haben Bilder schon lange keinen Absolutheitsanspruch mehr. Auch Postkarten nicht. Er hat mittlerweile 1000 verschiedene Motive gesammelt. Die älteste Karte ist von 1896, die jüngsten dokumentieren die Wende. Wahrscheinlich will er aber die künstliche Grenze „1990“ aufheben. Vielleicht bereut er es sonst irgendwann, nicht weiter gesammelt zu haben. Denn schneller als ihm lieb ist, könnte sein Hobby vorbei sein: Nur insgesamt 5000 Brandenburg-Motive soll es bis zur Wende geben, schätzen Profisammler. Aber gerade die Unendlichkeit macht für Paselk den Reiz aus. Seine erste Postkarte? Eigentlich hat er schon immer gesammelt. Als Kind bewahrte er Ansichten auf, die er im Müll gefunden hatte. Von Brandenburg. Immer mussten es Stadtbilder aus Brandenburg sein, die Karten aus dem Land sind ihm eher zufällig in die Hände gefallen. Er hat ein Faible für seine Stadt und ihre Geschichte, sagt er. 1998 gab er ein Buch über Sagen in Brandenburg heraus. Auf der Suche nach neuen Motiven geht Paselk in spezielle Läden, in Antiquariate und er steigert bei Ebay.

Postkarten sind für ihn wie Zeitreisen in andere Welten, sagt er, die ein Lebensgefühl transportieren. Ein Brandenburger Lebensgefühl. Ein subjektives, versteht sich. Aber was ist schon objektiv? Marion Hartig

bis 15. März im Café Lapiz Lazuli

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