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Kultur: „Schlagt ihn tot, den Hund “

Ingeborg Pietzsch und Ralf Schenk befragten Film- und Theaterkritiker und führen in DDR-Enge zurück

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Ingeborg Pietzsch und Ralf Schenk befragten Film- und Theaterkritiker und führen in DDR-Enge zurück Es ist schon ein etwas blutrünstiger Titel, den die Sammlung von Interviews mit Film- und Theaterkritikern „schmückt". Doch „Schlagt ihn tot, den Hund" ist nichts anderes als ein Zitat vom Dichterfürsten Goethe, der sich damit offensichtlich seinen Zorn gegenüber den böswilligen Rezensenten vom Herze schrieb. Ist sie nun wirklich so feindselig die schreibende Zunft, die allabendlich kostenlos in den Theater- und Konzertreihen lümmelt, und mit spitzer Feder jeden Patzer, jede Langatmigkeit, jedes Klischee haarklein notiert und anschließend den Lesern blumig serviert? Die Film- und Theaterkenner Ingeborg Pietsch und Ralf Schenk brechen mit ihren unterhaltsamen und geschichtsträchtigen Gesprächen eine Lanze für diese notorischen Nörgler, die sich oft auch selbst zerfleischen, bevor sie ihre „Kritteleien" in die Welt posaunen. Zwölf Rezensenten, die die Kunstkritik der DDR maßgeblich mitschrieben, befragten sie nach ihren Bedrängnissen, nach der aufoktroyierten „Sklavensprache" oder nach der oft auch einengenden Nähe zu Künstlern. „Die Eule im Kino", Renate Holland-Moritz, ist erwartungsgemäß besonders erfrischend zu lesen. Ihre heißblütigen Verrisse in dem beliebten Satireblatt „Eulenspiegel" waren zu DDR-Zeiten in aller Munde. Und natürlich erhielt sie auch oft böse Briefe von Leuten, die die von ihr verrissenen Filme gemacht hatten. „Die gingen oft gleich an die Abteilung Agitation und Propaganda im ZK. Das waren reine Denunziantenbriefe, denn die beleidigten Leberwürste teilten ihrer Parteiführung mit, nun hätte ich mich endgültig als Feind des sozialistischen Staates und seiner Kulturpolitik entlarvt. Als Werner Lamberz Leiter der genannten Abteilung war, teilte er den Briefeschreibern mit, dass der Beruf des Filmemachers nun einmal öffentliche Kritik nach sich zöge. Gewiss sei das schmerzhaft, aber wer das nicht aushalte, habe offenbar den falschen Beruf ergriffen." Die Wut der Betroffenen sei mitunter geradezu explodiert, so ihre Erfahrung. Ein Regisseur wollte sie sogar einmal verhauen. „Aber ein anderer Regisseur hat mich im entscheidenden Moment gerettet." Auf die Frage von Ralf Schenk, ob sie keinen Respekt vor großen Namen gehabt hätte, entgegnete Renate Holland-Moritz: „Nein, nur vor großen Leistungen". Und so bekam selbst Nationalpreisträger Kurt Maetzig für seine „Septemberliebe" einen gehörigen „Watschen". Aber ein souveräner und kultivierter Mann wie Maetzig habe Kritiken stets respektiert. Auch vor befreundeten Regisseuren machten ihre Attacken keinen Bogen. Als Kameramann Werner Bergmann nach eigenem Drehbuch den Film „Nachtspiele" drehte, und er misslang, habe sie entsetzlich gelitten. „Niemand hätte mich zwingen können, darüber zu schreiben, aber in Babelsberg hätten alle gesagt: Mit der musst du dich anfreunden, dann hält sie wenigstens die Klappe." Renate Holland-Moritz hielt ihre Klappe nicht. Der Freund war natürlich traurig, aber er sagte auch: „Was wäre Freundschaft, wenn sie Aufrichtigkeit nicht vertrüge.“ Selbst einem Bestechungsversuch sei sie einmal ausgesetzt gewesen: von Dean Read, der gerade durch seinen Abschiedsbrief wieder in aller Munde ist. Er schenkte Renate Holland-Moritz eine riesengroße Eule für ihre Sammlung, mit der Bitte für seinen Film „Sing Cowboy, sing“ die Werbung für den Verleih zu schreiben. „Ich gab zu bedenken, dass mir der Film eventuell nicht gefallen könnte. Das hielt er für ausgeschlossen. Und wenn doch? Darauf Dean: ,Dann mußt du mir geben die schöne Eule zurück.““ Renate Holland-Moritz fand den Film schauderhaft, an Werbung war nicht zu denken. Dafür an eine saftige Kino-Eulen-Kritik. Mit einem Trick konnte sie die Eule dennoch behalten. Die Frage, ob sie gezwungen wurde, in einer bestimmten Weise über einen Film zu schreiben, verneinte Renate Holland-Moritz rigoros. „Niemand konnte mich zwingen, etwas anderes als meine Meinung zu schreiben.“ Als sie von der Agitprop-Abteilung genötigt werden sollte, den misslungenen Clara-Zetkin-Film „Wo andere schweigen“ zu loben, weigerte sie sich, ebenso als sie den mutigen Film „Erscheinen Pflicht“ hart kritisieren sollte. „Folglich erschien über beide Filme kein Wort von mir.“ Allerdings war die Autorin auch mit einem Eulenspiegel-Exklusivvertrag ausgestattet, der besagte, dass kein Text ohne Absprache mit ihr, geändert werden durfte. Andere Kritiker kannten da ganz andere Bedrängnisse. So erhielt die Kritikerin Irene Böhme nach der Biermann-Ausbürgerung Berufsverbot, obwohl sie nicht einmal den Protestbrief unterschrieben hatte. Aber sie wurde für ihren Mann, den Schriftsteller Kurt Bartsch, in Sippenhaft genommen. Dabei begann sie ihre journalistische Laufbahn geradezu dunkelrot, auch für schlechteste Stücke fand sie lobende, der Parteiideologie verpflichtende Worte, „Hauptsache, es atmete den Geist des Sozialismus. Ich war überzeugt, nach 1961 werden wir nur wenige Jahre brauchen und eine bessere Gesellschaftsordnung ist geschaffen So wie Ernst Busch sang, so mitreißend wollte ich schreiben.“ Ab 1970 kam sie zu einer anderen Schreibe, weg von den politischen Schlagworten, stellte Ingeborg Pietzsch fest. Das Jahr 1968 habe sie ins Nachdenken gebacht, so Irene Böhme. „Auf den Sozialismus mit menschlichem Antlitz war nach den Ereignissen in der CSSR nicht mehr zu hoffen.“ Noch habe sie aber an die aufklärerische Wirkung des Wortes geglaubt. „Wenn ich die Fehler aufzeige und jeder merkt, dass ich kein Feind bin, nur Verbesserungen anstrebe, wird man es begreifen.“ Sie wurde zunehmend kritischer, und irgendwann wurde es schwierig, ihre Fernsehkritiken zu veröffentlichen. „Der Fernsehkritiker war in der DDR in einer besonderen Situation. Er kritisierte das größte Propagandainstrument der SED. Paßte diesem Apparat etwas nicht, „wurde man regelrecht ,zusammengeschissen“. Oder man wurde fertig gemacht mit bestellten Leserbriefen. Manchmal, um den ,Schaden“ abzufangen, durfte man diese Leserbriefe als Bußleistung selbst erfinden.“ Ihr politischer Knackpunkt sei aber der Einmarsch der Russen in Afghanistan 1979 gewesen. Ich trat aus der SED aus. Das hatte Konsequenzen. Mir wurde die freie Mitarbeit im ,Sonntag“ aufgekündigt.“ Niemand von den Kollegen habe nach 17 Jahren Zusammenarbeit ein gutes Wort für sie eingelegt. 1980 verließ Irene Böhme mit ihrem Mann die DDR. In einem Nachwort zu den spannend zu lesenden und mit viel Sachkenntnis geführten Interviews schreibt Regisseur Egon Günther: „Ich denke, mein Verhältnis zur Filmkritik war überhaupt keines. Ich hielt Kritiker manchmal für ärmere Hunde, als wir arme Hunde waren, oft genug. Wie wir, waren sie Freiheitsbeschränkungen ausgeliefert. Vom Rausschmiss bedroht, von Nötigung zur Selbstkritik Auf jeden Leim gingen sie nicht. Dass es auch die nackte Gemeinheit gab, wen wundert das. Da sie nicht frei waren, musste man ihnen misstrauen. Da wir nicht frei waren, mussten sie auch uns misstrauen Ein Scheißspiel.“ Heidi Jäger Schlagt ihn tot, den Hund Film- und Theaterkritiker erinnern sich, Herausgegeben von Ingeborg Pietzsch und Ralf Schenk. Parthas Verlag, 19, 80 Euro.

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