Von Jana Haase: Schuhgeschäfte
Norbert Sauer holte einst DEFA-Künstler in den Westen. Am Montag wird der UFA-Produzent 60
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Ganz legal war das nicht. In dem einen Schuh steckten 500-Mark-Scheine, im anderen die zusammengefalteten Verträge. Norbert Sauer lächelt, wenn er sich an die Touren nach Ost-Berlin erinnert: „Die haben den Wagen an der Grenze zwar jedesmal auseinandergenommen, aber nie die Schuhe kontrolliert.“ An Zufall, Glück oder schlampige Grenzbeamte glaubt er heute jedoch nicht mehr. Dann schon eher an ein nachsichtiges OK von oben. „Die DDR-Funktionäre waren doch froh darüber, dass ihre unzufriedenen Intellektuellen im Westen arbeiten konnten.“
Es war diese einfache Idee, die dem gebürtigen Leverkusener erst die Stelle bei der UFA sicherte und ihn dann innerhalb weniger Jahre zur zentralen Figur in der Fernsehproduktionsfirma machte. Für seine Projekte holte er regelmäßig Ost-Stars in den Westen. Sauer arbeitete seit 1978 mit DEFA-Größen wie Regisseur Frank Beyer, Autor Klaus Poche und den Schauspielern Angelica Domröse, Hilmar Thate, Armin Mueller-Stahl oder Jutta Hoffmann. Es waren die Künstler, die wegen ihrer Unterstützung für den 1976 ausgebürgerten Liedermacher Wolf Biermann in Ungnade gefallen waren und zum Teil später die DDR verließen.
Heute sitzt Norbert Sauer selbst im Osten. Von seinem Büro im Dachgeschoss des UFA-Hauptsitzes in Babelsberg hat er das Studiogelände gegenüber im Blick. Mehr als sein halbes Leben hat er für die UFA gearbeitet. Am Montag wird Norbert Sauer 60 Jahre alt.
Die Liste seiner Fernsehfilme und Serien überschreitet längst die 300, sie enthält Titel wie „Die schöne Wilhelmine“, „Der Sandmann“, „Abgehauen“, „Die Frau vom Checkpoint Charlie“ oder „Die Gustloff“. Seit 1991 ist Sauer Chef der UFA Fernsehproduktion und Filmproduktion, einem von acht Tochterfirmen des Traditionsunternehmens, in dessen Geschäftsführung er außerdem sitzt.
Mit 60 Pfennigen hat die Filmleidenschaft während seiner Jugend in Westfalen begonnen. Soviel kostete der Eintritt ins Adi-Kino im Bahnhof. Gezeigt wurden Sportberichte, die Wochenschau, ein Comic, ein Kurzfilm – in Endlosschleife, eine Art Fernsehprogramm auf Leinwand. Für 60 Pfennige konnte man bleiben, solange man wollte. „Das war herrlich, ich habe viel Zeit da verbracht.“ Nur Fußball konnte konkurrieren. Bis heute: Sauer sitzt im Präsidium von Hertha BSC.
Dass er nicht im Kinogeschäft, sondern beim Fernsehen gelandet ist, ärgert ihn nicht. Anders als in Frankreich oder den USA, wo Kino und TV zwei Bereiche mit verschiedenen Regisseuren und Darstellern sind, verschwimmen in Deutschland die Grenzen, erklärt Sauer. So arbeitete er zum Beispiel mit dem Regisseur Andreas Dresen fürs Fernsehen – beim WDR-Film „Die Polizistin“ – und fürs Kino, mit „Willenbrock“.
Seine ersten Produzenten-Schritte machte Sauer als Praktikant beim Sender Freies Berlin und beim Westdeutschen Rundfunk. „Da entstanden Literaturverfilmungen ohne Ende.“ Die Meinung des studierten Germanisten und Theaterwissenschaftlers war bei allen Studioproduktionen gefragt. Sauer las und bewertete Drehbücher, nahm an redaktionellen Gesprächen teil. In einer dieser Runden muss der Praktikant dem damaligen Ufa-Chef Werner Mietzner aufgefallen sein. Der bot ihm an, bei der Ufa anzufangen. Der Haken: Die Stelle war befristet auf ein halbes Jahr. Wenn Sauer in dieser Zeit einen Auftrag klar machen könnte, wäre das sein Ticket für die Fortsetzung.
In dieser Situation kam er auf die Idee mit den DDR-Künstlern. Dass sie gut waren, stand für Sauer außer Frage. „Die Schauspieler waren sicher keine bekannten Gesichter im Westen, aber sie waren exzellent ausgebildet.“ Mit der Theaterszene jenseits der Mauer hatte er sich als Student in Berlin vertraut gemacht: „Wir waren zeitweise mehr an den Theatern im Osten, Deutsches Theater und Berliner Ensemble, als im Westen.“
Nun kam er als junger Produzent nach Ost-Berlin zurück. Sein erster Besuch galt dem Autor Klaus Poche, auf den er nach dem Fernsehfilm „Geschlossene Gesellschaft“ von Regisseur Frank Beyer aufmerksam geworden war. „Ich bin einfach rübergefahren und habe bei ihm geklingelt“, erzählt Sauer. Die Rechnung ging auf. Wenig später standen Angelica Domröse und Hilmar Thate für die UFA vor der Kamera. „Die zweite Haut“ war der Auftakt zu einer Reihe von Ost-West-Kooperationen. Die offizielle Arbeitserlaubnis sei kein Problem gewesen, erinnert sich Sauer. Die Bezahlung in „Devisen“ schon. So kam es zum besagten Geldschmuggel im Schuh.
Nach dem Fall der Mauer, den Sauer in Berlin und an der Glienicker Brücke miterlebte, bestand zu Schmuggeltouren kein Anlass mehr. Im Fernsehgeschäft habe die Wiedervereinigung jedoch kaum Spuren hinterlassen, sagt Sauer. Dass die UFA wieder nach Babelsberg zurückging, sei eine Selbstverständlichkeit gewesen – auch wenn Sauer nach wie vor aus Berlin pendelt, wo der Fußballfan in Rufweite zum Olympiastadion wohnt.
Heute hält er die rasante Entwicklung des Internets für die größte Herausforderung der Filmbranche: „Wir arbeiten für ganz andere Plattformen, müssen unsere Aufgabengebiete verändern. Das ist eine Riesenherausforderung, von der noch niemand wirklich weiß, wohin die Reise geht.“ Eine zeitlang will Norbert Sauer noch mit dabei sein.
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