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Kultur: Schwimmen bis zum Horizont

Wenn Krankheit in den Kinderalltag bricht / Premiere von „am Horizont“ am Donnerstag

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Ausgerechnet Delfinschwimmen möchte der Opa seinem Enkel Janek beibringen. Der schwierigste Schwimm-Stil, obwohl er den schönsten Namen hat. „Das klingt so leicht, ist aber schwer, eine wunderbare Metapher“, sagt Regisseur Jens Heuwinkel. Mit dem Großvater, der einst Leistungsschwimmer war, verbringt der zehnjährige Janek viel Zeit, die berufstätige Mutter muss sich seit der Trennung vom Vater allein um ihn kümmern. Janek liebt seinen Opa, das Rollenvorbild, vielleicht ein klein wenig Vaterersatz. Aber dann das: „Immer mehr verschwindet. Manchmal sind es Gegenstände, manchmal Regeln, Verabredungen. Sie verschwinden einfach. Ich kann sie nicht mehr finden. Egal, wo ich suche, sie sind weg. Als gäbe es ein schwarzes Loch, das, sobald ich mich umdrehe, alles verschlingt“, sagt dieser zu seinem Enkel. Opa ist am Alzheimer-Syndrom erkrankt.

Das Drei-Personen-Stück „Am Horizont“ für Kinder ab neun Jahren von Petra Wüllenweber, das Jens Heuwinkel am Donnerstag auf die Bühne des Hans Otto Theaters bringt, dreht sich aber nicht ausschließlich um die Last dieser Realität, die sich mit all ihren Konsequenzen auf die Beziehung Opa-Enkel legt. Das Stück ist vollgepackt mit Schreckensszenarien, die einen Zehnjährigen ereilen können, sich auf seine Schultern legen, ihn zu erdrücken drohen. Die Trennung der Eltern, Schulprobleme, Herausforderungen an der eigenen Beziehungsfront. Der neuen Schülerin Anna (Nora Wiel) fällt es in der Klasse schwer, Anschluss zu finden, auch Janek findet sie anfangs doof. Bis sie ihm eines Tagen bei einer Englisch-Arbeit abschreiben lässt und Janek spürt: Da ist jemand, der ihm helfen kann, der für ihn da ist. Nicht nur in der Schule.

„Es ist ein Stück über das Erwachsenwerden, über Verantwortung“, sagt Heuwinkel. Auch Erwachsene könnten von dem Theaterbesuch profitieren. „Wie knüpfe ich Kontakte nach einem Umzug, mit neuen Nachbarn und Kollegen, anstatt mich zu Hause mit Facebook zu vergraben“, meint er. Anna und Janek nehmen immer wieder Anlauf, sich anzunähern, nehmen dabei auch Rückschläge in Kauf. Es klappt nicht immer alles sofort, aber irgendwann. Dem Gewinn der neuen Beziehung steht der langsame Verlust des geliebten Opas gegenüber. Regisseur und Schauspieler haben sich informiert, wie das ist mit dieser Krankheit, wie man das am besten spielt. Erst letzte Woche war eine Ärztin zu Gast, die Alzheimerpatienten betreut. Auch ein Glücksfall: Janek-Darsteller Felix Steinhardt (25) arbeitete als Zivi mit Demenzkranken, weiß, wie es ist, wenn das Gedächtnis verschwindet. Hanns-Jörn Weber (69) spielt nicht zum ersten Mal einen Alzheimer-Kranken, auch das sei hilfreich gewesen, findet Heuwinkel, der mit dieser Regie-Arbeit seine Regie-Assistenz am Hans-Otto-Theater abschließt und ab der kommenden Spielzeit als freier Regisseur tätig sein möchte.

Sensibel führt er in die Thematik Demenz ein, mit möglichst realistischen Bildern: Statt eines Wintermantels zieht sich der Opa einen Bademantel über, als er mit Janek ins Kino will. Was dieser zuerst für einen Scherz hält, nimmt bald ernsthaftere Züge an. Im Schwimmbad erkennt sich Opa nicht mehr selbst im Spiegel und vermutet einen perversen Spanner. Immer wieder ist es nun das Kind, das den Großvater an die Hand nimmt und betreut, beruhigt, bewacht. Sogar nachts, damit dieser nicht wieder die Wohnung in Brand setzt. Bis es nicht mehr geht und Opa doch in ein Heim kommt.

Auch Delfine kennen wir als beziehungsorientierte, soziale Tiere, wenn es sein muss, kümmern sie sich sogar um verletzte oder kranke Artgenossen. Wegen ihres guten Gedächtnisses, exzellentem Hör- und Geruchssinn und der Fähigkeit, sogar ihr eigenes Spiegelbild zu erkennen, werden sie zu den intelligentesten Kreaturen gezählt. So zu schwimmen wie diese schönen Tiere hat Janek von seinem Opa gelernt, doch als dieser langsam aus seinem Leben verschwindet, stellt Janek die Teilnahme am Schwimmwettbewerb infrage. Aber da ist ja noch Anna.

Das Aufweichen der Problematik, weg vom bloßen Krankheitsverlauf, zeigt auch, dass Einigeln nicht weiterhilft, dass man Freunde braucht und es gut tut, sich auf deren Hilfe verlassen zu können. Heuwinkel empfiehlt das Stück nicht nur Schulklassen, sondern auch Ärzten oder betroffenen Familien. „Vielleicht findet ein Opa mit seinem Enkel den Weg in die Vorstellung und kann dem Kind auf diese Weise zeigen, was mit ihm passiert.“ Für Lehrer ist eine Materialmappe erhältlich, begleitende Gespräche mit Theaterpädagogen oder einem Gast vom Team werden auf Wunsch vermittelt. Dann wird vielleicht auch erklärt, wie man aus einem 25-Jährigen mit Brustbehaarung und Dreitagebart einen Zehnjährigen Jungen bastelt und welche Probleme das nasse Bühnenbild, eine Wasserlandschaft mit drei Inseln, den Technikern bereitete.

Premiere am kommenden Donnerstag um 10 Uhr in der Reithalle

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