Kultur: „Sollen sie uns doch sehen“
Eine in Polen umstrittene Fotoausstellung wird nun in Potsdam gezeigt
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Eine in Polen umstrittene Fotoausstellung wird nun in Potsdam gezeigt Es sind Fotos von polnischen Paaren, die händchenhaltend nebeneinander stehen. Sie tragen Winterjacken, Schals und Mützen, im Hintergrund verschwommene Stadtkulissen ohne Menschen. Die meisten lächeln freundlich, es gibt jüngere und ältere Paare, schicke und legere. Sie wirken sympathisch und ziemlich alltäglich. Es sind homosexuelle Paare. Hier in Potsdam und Berlin nicht gerade das, was einen älteren Bürger zu folgender Äußerung hinreißen könnte: „Es mag ja sein, dass es so etwas gibt. Aber dass so etwas auch noch öffentlich gezeigt wird, das ist nicht normal. Und das darf nicht sein, dass wir Bürger so provoziert werden.“ In dieser Weise reagierte ein Krakauer Bürger auf die Ausstellungseröffnung im März 2003, die unter Polizeischutz stattfand und abgebrochen werden musste, um Eskalationen zwischen rechten Nationalkatholiken und Vertretern der Toleranz zu verhindern. Die 25-jährige polnische Fotografin Karolina Bregula hat sich zur Aufgabe gemacht, für Toleranz zu fotografieren. Sie wendete sich an die polnische Organisation „Kampagne gegen Homophobie“ und so kam die Fotoausstellung „Sollen sie uns doch sehen“ zustande. Nun sind die Bilder, Dank des Engagements von Carsten Bock und seiner Kollegen (Arbeitskreis Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender, ver.di Berlin-Brandenburg) auch im Land Brandenburg zu sehen. Die Tour durch verschiedene Städte beginnt in Potsdam, wo die 30 Bilder zwischen der Landesbibliothek, dem Café La Leander in der Kurfürsten-/Ecke Benkertstraße und dem AOK-Servicecenter in der Friedrich-Ebert-Straße aufgeteilt wurden. Die Gesichter bekommen eine andere Dimension, wenn man weiß, dass diese Menschen sich in ihrer Heimatstadt kaum händchenhaltend zeigen: „Nie würde ich hier in Polen dazu stehen, dass ich schwul bin. Einfach, weil ich das nicht durchhalten würde.“ In Polen tourte die Ausstellung durch die großen Städte und es gab eine Plakataktion, die dafür warb. Die Plakate wurden heruntergerissen und mit Farbe beworfen, die Galerien, welche die Bilder zeigten, bekamen Schwierigkeiten. Und als im April 2004 ungefähr 1000 Menschen in Krakau für Toleranz demonstrierten, flogen Steine, Beutel mit Salzsäure und Eier. Und ein Priester sagte: „Dass solche öffentliche Propaganda jetzt möglich ist, das liegt an dem gefährlichen Einfluss Westeuropas. Und deswegen sind wir auch gegen den EU-Beitritt, aus der Sorge heraus, dass diese Perversionen dann hier toleriert werden sollen.“ Nun ja, seit dem 1. Mai 2004 gehört Polen zur „gefährlichen“ EU. Doch Toleranz? Juni 2004 wurde der 4. Christopher-Street-Day (CSD) vom Bürgermeister in Warschau verboten: „Gefährdung der öffentlichen Moral.“ Bei der Podiumsdiskussion „Macht Diskriminierung allein vor Gesetzen halt?“ in der Fachhochschule, im Anschluss an die Ausstellungseröffnung, wurde deutlich, dass in Deutschland zwar solche Bilder veröffentlicht werden können (und sich kaum jemand dafür interessiert), aber Themen wie Toleranz und Diskriminierung ebenfalls brisant sind. Das zeigt die Diskussion um das Antidiskriminierungsgesetz, die in Verharmlosung oder (diskriminierende) Instrumentalisierung des Themas abzurutschen droht. Mit Vertreterinnen von PDS und SPD sprachen unter anderen Harald Petzold (AIDS-Hilfe Potsdam/ Verband AndersARTIG) und André Stephan (Verband AndersARTIG). Wie Harald Petzold schilderte, wurde in den 90er Jahren auch in Neuruppin und Wittstock der CSD behindert und wohl überall gibt es zum Beispiel HIV-positive Menschen, die nicht wagen, sich zu outen und von Ärzten nicht behandelt werden. Er appellierte an die Landespolitik, Gesetze nicht nur einzuführen, sondern durchzuführen. Und das bedeutet, sich in allen gesellschaftlichen Bereichen und besonders in der Erziehung dafür einzusetzen, dass Toleranz gelehrt und gedruckt wird. Und zwar schleunigst, denn bis die Auswirkungen eines Gesetzes diejenigen, die es schützen soll, erreicht, sind jene vielleicht schon tot.Dagmar Schnürer Die Ausstellung ist noch bis zum 16. April 2005 zu sehen. Mit dem Erwerb eines Fotos unterstützen Sie die polnische Kampagne gegen Homophobie.
Dagmar Schnürer
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