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Schlichtes Gedenken auf dem Friedhof in Uetz.

© Manfred Thomas

Von Klaus Büstrin: Sonntagsfein

Begegnungen mit Toten und Lebenden auf dem Dorffriedhof in Uetz / Ein ganz persönlicher Spaziergang

Stand:

Ein Fall von Vandalismus gab den Ausschlag. Kurz nachdem die Engelsstatue auf dem Grab der Familie Joop in Bornstedt beschädigt wurde, machten sich die PNN auf die Suche nach dem Besonderen auf Potsdamer Friedhöfen und den Geschichten, die sie noch heute von den Menschen erzählen. Nach dem Bornstedter Friedhof (26. Juli), dem Alten Friedhof in Bornim (5. August) und dem Goethe-Friedhof in Babelsberg (15. September) folgt nun der Dorffriedhof in Uetz.

Die Autos fahren durch den Ort. Es scheint, dass man hier nicht anhält, gar den Wagen verlässt und sogar spazieren geht. Nein, allein Paretz ist und war das Ziel. Dort, wo man Königin Luise und ihren entstaubten Kleidern huldigt. Dabei geht durch Uetz der ehemalige Königsweg. Von Potsdam kommend, über Marquardt und Uetz führend, haben sich die königlichen Herrschaften, Luise und ihr Mann Friedrich Wilhelm III., in ihr Schloss-Still-im-Land ins nahegelegene Paretz begeben. Der König erwarb jedoch auch das Gut Uetz. Das war 1836. Bis 1945 war es noch königliches Privatgut. In der DDR wurde es volkseigener Besitz. Heute gehört der Ort zu Potsdam.

Als Luise und ihr Mann Anfang des 19. Jahrhunderts den sogenannten Königsweg passierten, war die Architektur der Dorfkirche noch gotisch. Doch 1870 baute man eine neue, im neugotischen Stil. Damals wie heute ist sie zu groß für die kleine Gemeinde. Sie wird von den notwendigen Sanierungen, die nach wie vor anstehen, überfordert. Um die Kirche, auf einem Hügel, befindet sich der überschaubare Gottesacker.

An einem von warmer Sonne durchstrahlten Samstagnachmittag mache ich mich nach Uetz auf. Kein Mensch auf der Straße. Nur hier und da machen sich Hunde durch ihr Bellen bemerkbar. Auf dem Friedhof sieht man ebenfalls keinen Menschen. Hier versteht man, dass Theodor Fontane in seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ Uetz als den stillsten Ort im ganzen Havelland bezeichnete. Der Fahrländer Pfarrerssohn und Poet Schmidt von Werneuchen, dessen schriftstellerisches Werk von Goethe verhöhnt wurde, rief einige Jahrzehnte vor Fontane aus: „Du schönster Ort im ganzen Havelland, / Wer könnte je dich ungerührt verlassen!“

Die Frauen, zumeist ältere, die sich nacheinander auf dem Friedhof einfinden, lassen sich auf freundliche Nachfrage von solch poetischen Worten nicht berühren. „Ist uns egal“ ist die Antwort, die fast bockig klingt. Sie kommen, um sich der Pflege der Gräber ihrer Angehörigen zu widmen. Zuerst ein kleiner Schwatz, dann werden die Blumensträuße, die man kurz zuvor im eigenen Garten zusammenstellte, in die Vasen verteilt. Astern, Dahlien, Gladiolen. Das Wasser dafür holt man heute nicht mehr wie vor Jahren von der Pumpe an der Kirche. Sie muss schon seit langem einsam und verlassen ihr Dasein fristen, ohne zu Diensten zu stehen. Eine ans Netz angeschlossene Wasserleitung macht die Arbeit auf dem Friedhof jedenfalls leichter. Dann schwingen die Frauen die Harke und die Gräber werden sonntagsfein hergerichtet. Noch ein Blick auf die Nachbargräber, dann versammeln sie sich zum gemeinsamen Verlassen des Friedhofs. Dem Fremdling schaut man noch von ferne neugierig auf die Füße. Die Gesichter der Frauen machen dabei den Eindruck, als ob sie sagen wollen: Wehe, du zerstörst mit deinen Fußtritten die Spuren unserer Harken.

Pardon, liebe Uetzerinnen. Aber ich muss Ihre nicht gerade sehr formschönen Hark-Künste ignorieren. Mit langen und sanften Schritten versuche ich die Grabstellen zu erreichen. Wertvolle alte Gedenksteine sind hier nicht zu finden. Nur einer möchte, wenn er könnte, erzählen. Erzählen aus der Geschichte des Ortes. Doch die Sandsteinplatten, die in die Stele eingefügt wurden, befinden sich derzeit in der Restaurierungswerkstatt eines Steinmetzen. Rund 8000 Euro kostet die Wiederherstellung des Gedenksteins. Die Kirchengemeinde, die Eigentümerin des Friedhofs ist, hofft in den kommenden Jahren das Geld für eine umfassende Restaurierung zusammen zu bekommen.

In der Zwischenzeit informieren Fotografien, um wen hier einst getrauert wurde, nämlich um Luisa Dorothea Christiane von Goetzen, gestorben 1783. Sie war die Frau des Friedrich Wilhelm Graf von Goetzen, der in ihrem Todesjahr Besitzer des Gutes von Uetz wurde. Goetzen war ein ruhmreicher Berufssoldat in der Armee Friedrichs des Großen. Nachdem er an der Schlacht von Leuthen erfolgreich teilgenommen hatte, ernannte ihn der König zu seinem Flügeladjutanten. Der frühklassizistische Gedenkstein, der stark von Verwitterungserscheinungen geprägt war, wurde von einer Amphore gekrönt. Sie soll angeblich gestohlen worden sein. Von ihr existiert nur noch ein Foto. Die beiden Schriftplatten geben den Namen und die Lebensdaten der Verstorbenen preis. Auch mit einem trauernden und trostvollen Vers wurde, wie damals üblich, der Verstorbenen gedacht. Auf einer der beiden Reliefplatten wird die Gedenk-Stele bildlich dargestellt, um die sich Trauernde versammeln. Schmerz und Hoffnung sind in Wort und Bild ganz plastisch benannt.

Die Gutsarbeiter beispielsweise konnten sich solche kostspieligen Prestige-Denkmäler nicht leisten. Mancher, der im Orte jedoch etwas bedeuten wollte und sollte, dem wurde von seinen Angehörigen um sein Grab ein gusseiserner Zaun gezogen. Auf dem eigenen Grundstück sollte der Dahingegangene auch im Tod liegen.

Heute stehen viele dieser Zäune vom Rost zerfressen an der Kirchenwand und niemand denkt wohl mehr an die, die man hier einst beweinte. Nur eine Marmortafel hat sich von dem Zaunstück bislang nicht gelöst. Sie gedenkt des 1946 gestorbenen Brandmeisters Otto Walter. „Auf Wiedersehen“, riefen ihm die Angehörigen auf dem Stein zu.

Die derzeit meisten Grabsteine auf dem Gottesacker von Uetz stammen aus den Jahrzehnten nach 1945. Sie berichten nicht darüber, was die Verstorbenen, zumeist wohl Bauern (Familie Euen), Fischer (Familie Kagel), Landarbeiter und auch Handwerker, besonders individualisierte. Kurz und knapp wird informiert. Hier und da liest man noch von Arbeitseifer und Pflichterfüllung: „Mühe und Arbeit war ihr Leben, / Ruhe hat ihr Gott gegeben“.

Vor einem Grab verweilt der Fremde länger. Es wurde liebevoll von Uetzer Einwohnern mit Blumen geschmückt, auch schon zu DDR-Zeiten. Es nahm die Gebeine von zwei deutschen Soldaten auf. Sie fanden in den sinnlosen Kämpfen um Potsdam 1945 den Tod. Die kleine Gedenktafel gibt Bericht, dass man die Namen dieser Männer nicht kennt: Unbekannte Soldaten. Bei anderen Soldaten, die ebenfalls 1945 ihr junges Leben lassen mussten und denen hier gedacht wird, sind die Namen bekannt: Paul Kinzel, Richard Bischoff, Wilhelm Sattler oder Rudolf Hamlischer. An sie wird ebenfalls mit einfachen Grabplatten erinnert. Dieses schlichte Gedenken an Kriegstote in Uetz berührt mehr als so manch gigantisches und pathetisches Denkmal für gefallene Soldaten auf dem Potsdamer Bassinplatz oder in Berlin-Treptow.

Und die Gräber der Gefallenen in Uetz werden an jedem Samstagnachmittag von den Frauen des Ortes sonntagsfein hergerichtet.

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