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Kultur: „Trugen Sie freiwillig kurze Hosen?“ DEFA-Klassiker „Berlin – Ecke Schönhauser“ zur Eröffnung der SchulKinoWochen

Sicher, dieser Film hat schon Moos auf dem Rücken. Darf er auch, denn er ist 50 Jahre alt.

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Sicher, dieser Film hat schon Moos auf dem Rücken. Darf er auch, denn er ist 50 Jahre alt. Wie damals üblich, ist er in Schwarz-Weiß gedreht, arbeitet mit langen Einstellungen und greift am Ende auch zu recht pathetischen Worten. Und doch atmet er Leben. So wie es damals war, sich aber auch heute noch ähnlich abspielt – abgesehen von den politischen Gegebenheiten. Die Mehrzahl der 14- bis 16-Jährigen im vollbesetzten Kinosaal des Filmmuseums sind gestern Vormittag während der gesamten achtzig Minuten dicht dran am Geschehen, lassen sich gefangen nehmen von dieser Clique in dem DEFA-Klassiker „Berlin – Ecke Schönhauser“, die sich von den Erwachsenen gegängelt fühlt und mit Mutproben gegen alles Vorgefertigte rebelliert. Vor allem interessieren sich die Schüler von der Potsdamer Fontane-Schule wohl auch für die Liebesgeschichte von Dieter und Daniela (Ilse Pagés und Ekkehard Schalls erste Rolle), für ihre ersten unbeholfenen Annäherungsversuche, den ersten Kuss und schließlich die ungewollte Schwangerschaft. Das lässt das Herz puckern: auch bei den jungen Leuten heute. Das jedenfalls glaubt Ernst-Georg Schwill gespürt zu haben, als er zur Eröffnung der SchulKinoWochen Brandenburgs mitten unter den Jugendlichen sitzt und noch einmal mit anschaut, wie er in dem Film einen Halbwüchsigen spielt, den Kumpeltyp mit Herz, der am liebsten Abenteuerfilme im Kino des Westsektors guckt, für eine Westmark eine Straßenlaterne einschlägt, kurze Hosen trägt und auf den Zuhause ein prügelnder Stiefvater wartet. Dass Kinder ab und an mal einen „Arsch voll kriegen“, findet der Schauspieler bis heute richtig, „schließlich ist das ein kleiner Denkanstoß“, so seine unverblümte Meinung über Erziehung, über die er in der Diskussion noch weitere Patentrezepte zum Besten gibt. Allerdings erntet er von Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase die Entgegnung, dass Prügel auch schon damals nichts half.

Die Fragen der Schüler – immerhin gab es trotz des großen Forums welche – hielten sich vor allem an Äußerlichkeiten fest. Trug Schill freiwillig diese kurze enge Hose, traf er die Laterne gleich auf Anhieb und wurde früher wirklich so schnell die Polizei gerufen? Der politische Hintergrund der Zeit, als Berlin noch in Sektoren eingeteilt war, man zwischen Ost- und Westberlin hin- und herspazieren konnte und die FDJ wenig zu bieten hatte gegen Westgeld und Westfilme am Kudamm – blieb ausgeblendet. Kein Wunder: „Die meisten von Euch können sich ja kaum mehr an die Mauer erinnern, und unser Film spielt noch vor dem Mauerbau“, sagt Wolfgang Kohlhaase zu den Schülern.

Ilse Pagé war damals im gleichen Alter wie sie, gerade 16, als sie von Kameramann Wolf Göthe auf der Straße angesprochen wurde, ob sie in einem Film mitspielen wolle. Unter 1000 Bewerberinnen wurde sie bei den Probeaufnahmen ausgewählt, obwohl sie im amerikanischen Sektor wohnte. Ihr Vater war gegen die Filmerei. „Erst nach dem fünften Vorstoß wurde er weich, sicher wegen des einzigartigen Vertrages: Ich bekam Mathe-Nachhilfe, eine Schreibmaschine, einen Gutschein für ,Exklusiv“-Moden und 5000 Westmark. Mein Vater drängte zudem darauf, dass in dem Film keine Tendenz gegen den Westen drin sein dürfe. Alles wurde vertraglich unterschrieben.“

Gerhard Kleins bewegender Film lebt ohnehin von den ehrlichen Tönen, auch wenn heute manches etwas propagandistisch erscheint. „Wir erzählten Geschichten, die wir uns zutrauten“, sagt Kohlhaase, der Sätze ins Drehbuch schrieb, wie „Nicht jeder, der was Krummes macht, ist krumm“. Die Leute rannten dafür ins Kino – auch im Osten. Gedreht haben sie, die damals Jungen, auf der Straße, um nicht in den Ateliers zu müssen: „wo die ganzen Profis waren, die alles besser wissen.“ Ihre Ikonen hießen Marlon Brando und James Dean und die Filme der Neorealisten waren ihre Richtschnur.

Nach 50 Jahren habe der Film inzwischen den Charakter eines Dokuments, der selbst in San Francisco, wo er vorige Woche im Museum of Modern Art lief, auf Interesse stieß. „Auch, weil alles, was mit DDR zu tun hat, ein abgeschlossenes Sammelgebiet ist, es kommt nichts mehr dazu“, findet Kohlhaase einen Vergleich in der Numismatik.

Während Schnittmeisterin Evelyn Carow während der Vorstellung an der Langsamkeit litt und am liebsten mit der Schere dazwischen gegangen wäre, hielt es die Schüler sehr wohl in den Sesseln, und sie hörten auch den Filmemachern interessiert zu. Der Versuch von Filmernst und Vision Kino, auch mit DEFA-Filmen bei den diesjährigen SchulKinoWochen zu punkten, ging auf. Unter den 25 Filmen, die bis Dezember laufen, befinden sich drei weitere aus dem Babelsberger „Sammelgebiet“: „Das Schulgespenst“ und „Ein Schneemann für Afrika“ von Rolf Losansky sowie „Sieben Sommersprossen“ von Herrmann Zschoche, zu dem die Potsdamer Autorin Christa Kozik das Drehbuch schrieb. Auch sie und Rolf Losansky werden den Schülern Rede und Antwort stehen und mit ihren Filmen vielleicht etwas Staub aufwirbeln.

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