Von Heidi Jäger: Umtriebig
Matthias Brenner bringt das „Aschenputtel“ auf die Bühne des Hans Otto Theaters
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Keineswegs soll diesem „Aschenputtel“ das Märchenhafte ausgetrieben werden. „Es gibt den Prinzen, den Schuh, das Ballkleid, die Tauben. Und der Herd wird auch nicht elektrisch, sondern mit dem Streichholz angezündet. Die Leute dürfen nicht beschissen werden“, sagt Matthias Brenner, der sich selbst als „Kinderseele“ bezeichnet. Zwar trage die Fassung von Susanne Lütje und Corinna Schildt, die morgen am Hans Otto Theater Premiere hat, durchaus gegenwärtige Züge, „aber die Verzauberung wird bleiben“, versichert der Regisseur. „Das Moderne in unserer Inszenierung besteht darin, dass es der Prinz Zuhause nicht aushält und in Aschenputtel auf eine Leidensgefährtin trifft. Die neue Dialogfassung ist eingebettet in den schönsten Verwandlungen und auch in Kostüme zum Augen wund gucken“, begeistert er sich an der eigenen Arbeit und auch an seinem fünfköpfigen, von ihm auserlesenen Gastensemble. „Die Schauspieler haben sich vorher nicht gekannt, jetzt essen sie die Linsen aus einem Topf, auch wenn sie sich diese manchmal um die Ohren werfen. Doch die Proben müssen ein angstfreier Raum sein, erst dann sind die Schauspieler wirklich frei.“
Matthias Brenner weiß es aus eigener Erfahrung, schließlich ist er nicht nur Regisseur, sondern auch selbst Schauspieler. Und das mit Haut und Haar. „Es wäre für mich ein Alptraum, wenn ich mich für eines von beiden entscheiden müsste“, so der 52-jährige gebürtige Meininger, der sich nicht nur als „Theatervieh“ versteht, sondern auch gern mal mit dem Film anbändelt. Meist in kleinen, doch sehr speziellen Rollen, wie in dem oscargekrönten Stasi-Drama „Das Leben der anderen“ von Florian Henckel von Donnersmarck, der ihm die Rolle des Karl Wallner direkt auf den Leib geschrieben hat. „Er wollte mich unbedingt dabei haben, weil er mich aus ,Vaya con dios’ kannte.“ In diesem zu Herze gehenden und heiteren Märchen für Erwachsene brillierte Matthias Brenner als der gutmütige Mönch, der sich mit Ziege Hildegard und seinen Klosterbrüdern auf die Reise nach Italien begibt.
Matthias Brenner sieht auch sein eigenes Leben als große Reise und unterteilt es strikt in Epochen. Die erste führte ihn 1982 ans Theater Annaberg-Buchholz, gemeinsam mit der Hälfte der Absolventen der Schauspielschule „Ernst Busch“. Nach dem Umbau ihres Theaters durfte die kleine thüringische Stadt ihr Ensemble vergrößern und wagte das Experiment mit 13 jungen Leuten aus Berlin und Rostock. „Wir mussten richtig ran. Ich spielte viele tolle Rollen und konnte zugleich inszenieren.“ Schön für ihn, der Stücke gerne weiter denkt.
Nach drei Jahren holte ihn Schauspieldirektor Ekkehard Kiesewetter, dessen Namen Brenner gern in der Zeitung lesen möchte, nach Erfurt an ein größeres Haus. Es sprudelt aus ihm förmlich heraus, wenn er über diese aufregende Vorwendezeit erzählt, wo er unter anderem als Pendant auf die „West Side Story“ eine eigene „ Diesseits-Story oder Wenn Mutti früh zur Arbeit geht“ auf die Bühne brachte: mit bislang unveröffentlichten Texten von Gottfried Benn, Wenzel oder Heiner Müller. „Das war schon ein Stück Freiheit, das 1986 von der Leitung mit durchgesetzt wurde.“ Als er zum Münzer-Jahr „Jenseits von Ehrfur(ch)t“ ausschließlich mit Texten von Münzer und Luther inszenierte, half die Fürsprache nichts mehr. Nach einer Vorstellung war es mit Münzer in Erfurt vorbei.
Trotz der politischen Grenzen sei es für ihn eine gute Zeit gewesen, sich als Regisseur in der DDR entwickeln zu können. „Ich habe an eine reformierbare DDR geglaubt. Aber letztlich gibt es nichts besseres als den historischen Zufall, vor allem wenn er Mord und Totschlag verhindert.“ Jetzt komme es an den Theatern aufs Können an und nicht darauf, wer als Erster seine Meinung sage. „In der DDR wurden auch Fehlleistungen abgesaugt von Vampiren, die hungrig waren aufgrund der Nacht. Ich empfand die Wende als Möglichkeit, die Karten neu zu mischen.“
Brenner wagte sich in die Freiberuflichkeit und spielte unter anderem bei Leander Haußmann den Jean in „Fräulein Julie“ in Frankfurt (Main) oder bei Michael Schindhelm in Nordhausen „Frühlings Erwachen“. Bis ihn das Schillertheater Berlin fest einstellte. Nach der Schließung ging er nach Leipzig, wo er schon zuvor 80 Mal als Baal auf der Bühne stand. „Leipzig war die Epoche von Theater auf ganz hohem Niveau, aber ohne Publikum. Wir haben nie begriffen, warum. Es war eine schwere Zeit. Ständig kämpften wir gegen die Depression des Theaters. Ich bin aber kein depressiver Mensch.“
Also ging es wieder in die Freiberuflichkeit, auch um Anfragen aus Basel, Darmstadt oder Berlin nachkommen zu können. Und so frei hält er es bis heute. Wenn er noch Jahre später Wolfgang Engel in seinem Leipziger Theater besuchte, fand er fast den selben Zustand vor. „Engel leistete hochprofessionelle Arbeit in der Tradition großer Schauspielkunst. Aber das Publikum kam nur, wenn es provokant wurde, der eine Nein sagte, der andere Ja. Dann wurde es auch mal bums voll. Ein bisschen wie derzeit in Potsdam.“
Hier wird er nach Aschenputtel im April die „Trilogie der Sommerfrische“ von Goldoni inszenieren. Tobias Wellemeyer kennt er bereits aus Magdeburg, wo Brenner zehn Stücke inszenierte, u.a. eine neue Bühnenfassung von „Effi Briest“. Seine „Ladies Night“ hielt sich sechs Jahre auf dem Spielplan. Spartenübergreifend führte er auf großer Opernbühne Regie zu den Musicals „Fame“, „Hair“ und „Jesus Crist Superstar“.
Seine musikalische Neigung kann er nun in „Aschenputtel“ ebenfalls ausleben, denn Ludger Nowak komponierte ein maßgeschneidertes Kleid. „Wir haben versucht, den Schülern ins Ohr zu schauen.“ Bislang hat der umtriebige Schauspieler, Regisseur und Autor in Potsdam von der neuen Besatzung noch nichts gesehen, „aber ich weiß, dass in Magdeburg anfangs auch kaum Publikum kam und das Theater dann zum Besuchertempel wurde. Tobias Wellemeyer wird auch den geografisch toten Winkel zwischen Havelland und Berlin zum Leuchten bringen“, ist er fest überzeugt. Matthias Brenner hält dem Ensemble jedenfalls auch in Durststrecken die Treue. Da hält er es wie Aschenputtel: „Das, was das Herz umtreibt, sollte man nicht aufgeben.“
Premiere morgen, 10 Uhr, für Zuschauer ab sechs Jahren.
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