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Kunstraum in Potsdam: Unangenehm
Im Kunstraum geht es um befremdliche Nähe. Amy Howden-Chapman thematisiert den Klimawandel.
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Anstößig könnte man manches nennen, was da im Kunstraum hängt. Körper beim Geschlechtsakt aus seltsamer Perspektive. Körperteile, Ausschnitte, so nah fotografiert, dass man Poren und Härchen zählen kann. Dass man länger hinschauen muss, um zu identifizieren, was es ist. Ein Mensch, zwei Menschen, Beine und das dazwischen. So sehr menschlich, aber fremd, weil man es so eben nie sieht. Oder jedenfalls nicht hier. Und manches auch nicht sehen will. Peter Kaden hat es trotzdem fotografiert, hat das Vertraute wie aus seiner Schale geschält und bloß gelegt.
Jetzt zeigt der Kunstraum seine Bilder – als Teil der Gemeinschaftsausstellung anlässlich des Europäischen Monats der Fotografie, bei dem im Oktober in Berlin und Potsdam zahlreiche Fotoausstellungen gezeigt werden. Die Werkschau im Kunstraum in der Schiffbauergasse heißt „Die unspezifische Vermessung von Distanz“. Auch die Serie „Naaked“ von Peter Kaden legt nahe, dass Distanz eben immer eine Sache von Definition ist.
Der Berliner Fotograf Rainer Sioda hat, ähnlich wie Kaden, die Nacktheit Brandenburgs abgebildet. Hat die dröge menschenleere Mittelmäßigkeit der Kleinstädte fotografiert, Brachen und Autowracks zwischen Häuserblöcken, leere abgehalfterte Vergnügungsorte, dummes Graffiti als letzter Hinweis auf etwas Lebendes. Sioda, geboren in der Brandenburger Provinz, in Treuenbrietzen, wurde für seine Arbeiten „Fack“ Nestbeschmutzung vorgeworfen. Er zeige nur die dunkle Seite des Landes. Das stimmt und berührt natürlich unangenehm. Denn während man sonst weggucken kann, wird man hier drauf gestoßen. Auch auf den Wohnblock aus DDR-Zeiten, dessen brav-spießige Spitzengardinen in den Fenstern wie eine menschenleere Kulisse wirken und mit den beiden gepimpten Nazi-Autos, vor dem Haus hübsch parallel geparkt, lächerlich kollidieren. „Provokation“ und „Wotans Sturm“ liest man auf den Aufklebern auf der Frontscheibe, auf der Motorhaube prangt ein Eisernes Kreuz.
Dass es noch düsterer geht, sieht man an Miron Zownirs Bildwelt. Der „Poet der radikalen Fotografie“, wie man ihn bisweilen nennt, bevorzugt eine drastische und düstere fotografische Sprache, er zeigt Parallelwelten von Außenseitern in einer scheinbar zeitlosen Schattenwelt. Menschen, irgendwie Kreaturen, die mit den elementarsten Dingen beschäftigt sind, Verdauung, Sex und Schlafen. Ein Wartesaal in einem Bahnhof, in dem auf Plastikstühlen zusammengesackte übermüdete, schlafende Reisende oder vielmehr Gestrandete liegen, ist noch das harmloseste Motiv.
Boris Becker fotografiert Architektur. Verlassene Orte zwischen den Zeiten, losgelöst zwischen Vergangenheit und Zukunft. Häuser, Brücken, Strukturen, die aus dem Kontext gerissen auf neue Einordnung warten. Marina Richters Bilder sehen bisweilen aus wie Zufallswerke, wie falsch belichtet oder aus Versehen abgedrückt. So entsteht ein wirrer Kosmos aus Pflanzenteilen und Körpern, Nebel, Licht und Schatten.
Wenn am Samstag die Ausstellung im Kunstraum eröffnet wird, ist eine Etage darüber Amy Howden-Chapman mit ihrem Projekt noch lange nicht fertig. Die 32-jährige Gastkünstlerin aus Neuseeland, die sich hauptsächlich mit Film- und Videoprojekten beschäftigt, ist seit einem Monat in Potsdam und wird bis November hier arbeiten. Sie wurde über das „Artists in Residenten am PIK“-Programm ausgewählt, eine Kooperation zwischen dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung(PIK), dem Berliner Künstlerprogramm des DAAD und der Stadt Potsdam. Der DAAD zahlt das Stipendium, Potsdam einen Teil der Reisekosten, zudem vermittelte die Stadt den Kunstraum als Ausstellungsort.
Arbeiten wird die Neuseeländerin aber hauptsächlich in den Einrichtungen des PIK auf dem Telegrafenberg. Das Thema ihres Gastaufenthalts: eine künstlerische Auseinandersetzung mit dem Thema Klima. „Wir wollen einen Dialog zwischen Kunst und Wissenschaft“, sagt Birgit-Katharine Seemann, Fachbereichsleiterin Kultur und Museum.
Praktisch wird es so aussehen: Amy Howden-Chapman wird Veranstaltungen und Tagungen des PIK besuchen, mit Wissenschaftlern ins Gespräch kommen und relevante Themen aufgreifen. Manchmal reicht ihr bereits ein Begriff, den sie dann in seiner herkömmlichen Definition hinterfragt, aufbricht und eine neue Definition erarbeitet. So soll eine Art alternatives Klimafolgen-Wörterbuch entstehen. Dabei werden die Wörter mit Bildern kombiniert.
Im Kunstraum sind bisher nur Arbeiten zu sehen, die nicht hier entstanden sind. Aber das Potsdamer Wörterbuch – leider komplett in Englisch – ist in Arbeit, so hat sie den Begriff „Elongated Government“ interpretiert als Notwendigkeit, die politischen Verhältnisse zu ändern. „We need to change“, sagt sie. Und stellte neben den Text ein Bild vom runden Tisch des Potsdamer Abkommens. „Ich suchte etwas, was die Potsdamer kennen und was den Begriff Regierung symbolisiert. Das schien mir ganz passend.“ Ihre Arbeiten sind auch online einsehbar unter www.thedistanceplan.org.
Außerdem zeigt sie Videoarbeiten wie einen Film über den berühmten kleinen See in Massachusetts, den der amerikanische Schriftsteller und Philosoph Henry David Thoreau als Mittelpunkt seines Romans „Life in the Woods“ auswählte. Amy Howden-Chapman nähert sich diesem symbolträchtigen Ort unter den ganz neuen Umständen einer veränderten Welt – mitten im Klimawandel.
Vernissage „Die unspezifische Vermessung von Distanz“ am Samstag, 2. 10. um 19 Uhr. Am kommenden Mittwoch, dem 5. 10., spricht Amy Howden-Chapman mit Anders Levermann vom PIK über Klimawandel, Kunst und Wissenschaft, um 19 Uhr, jeweils im Kunstraum, Schiffbauergasse
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