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Kultur: „Uns fehlt der Zugang zum Meer“

Der Kabarettist Viktor Giacobbo will Deutschland zum größten Kanton der Schweiz machen

Stand:

Herr Giacobbo, ganz ehrlich: Was haben die Deutschen, was die Schweizer nicht haben?

Nun, wir haben zum Beispiel keine wirklich großen Städte wie Berlin oder Hamburg – und auch keinen Zugang zum Meer. Wenn wir beide Länder, wie ich es in meinem neuen Film vorschlage, zusammenlegen würden, könnte, so denke ich, ein große wirtschaftliche Macht entstehen. Deren Zentrum, das schlägt Cem Özdemir im Film vor, sollte im süddeutschen Raum liegen. Das ist ja klar, der kommt selbst dort her – und Süddeutsche und Schweizer sind sich recht ähnlich.

In Ihrem neuen Film „Der grosse Kanton“, den Sie am Freitag in Potsdam vorstellen, diskutieren Wirtschaftsbosse und hochrangige Politiker darüber, die Schweiz und Deutschland zu vereinen. Denen war doch aber klar, dass das ein Witz ist, oder?

Es wussten ja alle, dass ich Komiker bin und in der Schweiz eine satirische Late-Night-Show moderiere. Deshalb konnte ich auch problemlos Doris Leuthard gewinnen – unsere Verkehrsministerin und eines der wichtigsten Regierungsmitglieder bei uns.

Wie sind Sie an Politiker wie Frank-Walter Steinmeier, Gregor Gysi, Joschka Fischer oder Roger de Weck herangekommen – hatten die keine Angst, sich bei dem Gedankenexperiment zu blamieren?

Viele habe ich einfach angeschrieben und angefragt. Das hat natürlich nicht bei allen geklappt. Ich hätte natürlich sehr gerne Angela Merkel dabeigehabt – von deren Sprecher Steffen Seibert bekam ich aber nicht einmal eine Absage. Anders als von einem Mitarbeiter von Wolfgang Schäuble, der mich sehr nett angerufen und erklärt hat, dass der Finanzminister sich in der aktuellen Debatte um Steuersünder nicht satirisch zu einer schweizerisch-deutschen Zukunft äußern will, was ich schon verstehen kann. An Frank-Walter Steinmeier kam ich über meinen Freund Gerhard Polt, der ja auch im Film zu Wort kommt. Und Roger de Weck ist beim Schweizer Fernsehen mein Chef – der hatte gar keine Wahl.

Gab es denn bei den Gesprächen etwas, das Sie überrascht hat?

Ja, ganz grundsätzlich, dass viele deutsche Politiker großen Respekt vor unserer direkten Demokratie haben. Gerade wenn man sich deutsche Großprojekte wie den Berliner Flughafen BER oder Stuttgart 21 ansieht, liegt der Nutzen natürlich auf der Hand. Gleichzeitig muss ich natürlich auch sagen: Die direkte Demokratie hat für jeden, der nicht zu den Gewinnern gehört, auch Schattenseiten, da muss man nur an unsere Abstimmung zur Masseneinwanderung denken – für deren Ergebnis ich mich persönlich schäme. Aber so ist das eben in der direkten Demokratie, das muss man dann akzeptieren.

Glauben Sie denn, die Deutschen und die Schweizer würden sich verstehen?

Natürlich, wir sind uns ja in vieler Hinsicht sehr ähnlich, haben die gleiche Muttersprache – zumindest wenn wir von den Deutsch-Schweizern reden, auch wenn man das nicht immer hört und viele Deutsche uns oft nicht verstehen und wir uns untereinander auch manchmal nicht. Aber dann gibt es auch ähnliche Tugenden, eine ähnliche Kultur: Wir legen Wert auf Pünktlichkeit, auf Fleiß.

Aber es gibt auch Unterschiede.

Der größte Unterschied lässt sich mit dem aktuellen Thema Fußball erklären: Die Schweizer haben in den letzten Minuten gegen Argentinien verloren – die Deutschen haben in den letzten Minuten gegen sie gewonnen.

Fehlt den Schweizern der langen Atem?

Nicht unbedingt, aber wenn jetzt Deutschland Kanton würde, wären natürlich die Schweizer Fußballweltmeister.

Brannte Ihnen das Thema Deutsche und Schweizer schon lange auf den Nägeln?

Ganz ehrlich war die Idee, eine satirische Dokumentation – oder Mockumentary, wie es heute heißt – zu drehen, zuerst da. Keinen Klamauk, sondern erwas absurdes mit einem ernsthaften Kern. Dann habe ich ein Thema gesucht, eine irrwitzige These, die tatsächlich ernste Probleme beinhaltet – wie eben die Steuerflüchtlinge, das Schweizer Bankgeheimnis, deutsche Immigranten in der Schweiz oder Schweizer Fluglärm über Süddeutschland. Klar, der Vorschlag, Deutschland zum größten Schweizer Kanton zu machen, ist so was von absurd – lässt sich vor dem ernsten Hintergrund dann aber auch witzig herunterbrechen.

Glauben Sie, dass der Witz überall funktioniert? Süddeutsche und Schweizer mögen sich ja ähnlich sein, aber am Freitag kommen Sie mit dem Film nach Preußen, nach Potsdam.

In erster Linie habe ich den Film natürlich für die Schweiz gedreht, dort haben sich die Leute ziemlich vergnügt – am allermeisten die in der Schweiz lebenden Deutschen. Ich bin gespannt, wie es in Deutschland läuft. Dem deutschen Botschafter in der Schweiz hat er aber immerhin schon gefallen.

Welche Haltung haben die Politiker, die Intellektuellen, die Sie interviewt haben?

Ganz unterschiedlich. Joschka Fischer war überzeugt: Mit Bayern würde es gar nicht funktionieren, die seien zu eigenbrötlerisch. Der bayerische Kabarettist Gerhard Polt sieht es genau andersherum: Das würde gerade zwischen Bayern und Schweizern klappen – schließlich hätten beide mit Österreich denselben Erzfeind.

Gab es auch Kritik?

Die gibt’s bei Satire immer. Das ist normal. „Der grosse Kanton“ ist ja kein filmisches Kunstwerk, ich habe wahnsinnig viel mit Archivaufnahmen gearbeitet, die qualitativ nicht hochwertig sind, oder ich bin mit dem Chef der Schweizer Bundesbahn im Zug durch die Alpentunnel gefahren und habe unser Gespräch dabei mit dem Handy gefilmt. Und dann gibt es eine Szene, in der Joschka Fischer unwillig reagiert, weil die Kamera schon lief, als er ins Zimmer kam. „Das mag ich nicht“, bellte er da und das habe ich natürlich drin gelassen, das hat ja auch etwa typisch Deutsches und so kommentiere ich das auch.

Das Gespräch führte Ariane Lemme

Viktor Giacobbo spricht über seinen Film „Der grosse Kanton“ am Freitag, dem 18. Juli, um 18.45 Uhr im Thalia Filmtheater in der Rudolf-Breitscheid-Straße 50. Der Eintritt kostet 9, ermäßigt 7 Euro

Viktor Giacobbo, geboren 1952, machte zunächst eine Lehre als Schriftsetzer und Lektor und ist heute Autor, Kabarettist, Moderator, Produzent und Filmemacher. Er lebt in Winterthur.

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