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Ein Stahlhelm ist kein Stahlhelm. Jedes Bild, ganz gleich ob figürlich oder nicht, ist abstrakt. Sagt Markus Lüpertz, deutscher Maler-Star, Dandy und lange Direktor der Düsseldorfer Kunstakademie.

© Ralf Hirschberger

Markus Lüpertz in Potsdam: Von der Freiheit, zu malen

Markus Lüpertz ist umstritten. Die Villa Schöningen zeigt eine Werkschau des selbsterklärten Genies - eine Ausstellung, die der Künstler selbst als brutal bezeichnet.

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Potsdam - Riesige, schlammgrüne und rostbraune Ungetüme sind sie. Grob ihre Eingeweide – von Inhalt zu sprechen, das wäre Markus Lüpertz wohl nicht recht. Fragen kann man ihn nicht, er will nichts mehr gefragt und auch nicht fotografiert werden, bei diesem Presserundgang zu seiner Werkschau, die ab dem heutigen Donnerstag in der Villa Schöningen zu sehen ist. Deshalb muss Michael Werner, Lüpertz’ langjähriger Freund und Kurator der Schau, erklären. Und verraten, wie Lüpertz die Ausstellung gefällt: „Er ging gestern lange hier herum, schwieg – und sagte schließlich nur: Brutal.“ Es ist klar, dass das als Lob gemeint war. Einer wie Lüpertz schätzt nicht das Gefällige, das Leichte.

Und Werner ist da ganz bei ihm. Wie schon bei seiner ersten Schau für die Villa Schöningen, einer Immendorf-Ausstellung, verzichtet er auf Erläuterungen, Erklärungen, alles, was sich Museumsbesucher so gemeinhin wünschen, um die ach so schwere Kunst zu begreifen. Dabei, findet Werner, ist es doch gar nicht so kompliziert: „Inhalt gibt es nicht“, sagt er, was es gibt, sind Bilder, und die müsse man eben angucken. Das Sehen, das Hinsehen aber, das hätten die meisten heute verlernt – verwöhnt von den Museen, deformiert von einem Schul- und Bildungssystem, das fordert, dass die Botschaft beim ersten Hinschauen schon extrahiert werden kann. „Akkumulation von Unfähigkeit“ nennt Werner das. Was aber, wenn es im Kosmos der Malerei gar keine einfache Botschaft gibt? Muss es überhaupt eine geben? Oder anders gefragt: Wenn man eine Botschaft verbal formulieren könnte – warum müsste man dann noch malen?

Malen - von Anfang an

Malen aber, das wollte Lüpertz, der sein Atelier in Teltow hat, von Anfang an. Der Anfang, das waren für den 1941 im böhmischen Liberec Geborenen etwa 1960. Das Dogma damals – vor allem im Westen – lautete: Die Bilder sind abgeschafft. Figürlich malen, das ging gar nicht, in Deutschland – noch im Schock der Nazi-Zeit, als alles Moderne, Abstrakte als entartet verbannt wurde – schon gar nicht. Aus den USA schwappte Pop-Art herüber, in Europa bildete sich das Informel heraus, eine künstlerische Haltung, die das klassische Form- und Kompositionsprinzip ebenso ablehnte wie die geometrische Abstraktion. Formlosigkeit als Prinzip.

Lüpertz suchte einen Ausweg, er suchte nach seinem Beitrag, um das Problem der Malerei zu klären. Nach einer Möglichkeit, trotzdem malen zu können. Sein Kollege Georg Baselitz stellte seine gegenständlichen Bilder einfach auf den Kopf. Lüpertz wählte einen anderen Weg: Die Moderne zweifelte an der Tradition – er griff sie auf. Ein ganzer Kanon klassischer Motive finden sich auch in der Villa Schöningen. Die drei Grazien, das Kindermord-Thema, bei dem er den französischen Barockmaler Poussin zitiert, seine Serie „Männer ohne Frauen – Parsifal“, in Anspielung auf den Helden aus der Wagner-Oper. Und immer wieder stehen bestimmte Motive sich gegensätzlich gegenüber: Krieg und Frauen etwa. Was, das kann man schon kritisch anmerken, von Lüpertz unbedingtem Willen zum Anti-Modernen zeigt. Lüpertz blieb also gegenständlich – und erklärte zugleich: „Ein Bild ist immer abstrakt“, so zitiert ihn Werner. Klingt paradox? Nun ja.

Kunst begreift man nicht immer

„Alle Leute erwarten immer, dass man Kunst versteht“, sagt Werner. Und schiebt hinterher, dass auch er selbst nicht jede von Lüpertz’ Arbeiten begreift. Die kleine Skulptur aus dem Jahr 1983 etwa, bei der ein kleiner menschlicher Totenschädel – die Augenhöhlen schwarz ausgemalt – auf einem zusammengekauerten Klotz von einem Körper sitzt. Wie eine Sphinx wirkt sie, die blaue und rote Bemalung erinnert an die von der klassischen Moderne so gerne zitierte indigene Kunst Afrikas.

Wobei – die Moderne, das ist ja gerade das, was Lüpertz nicht interessiert. Aber das ist ja gerade das Schöne an der Kunst: dass sie einen Platz schafft in der Gesellschaft, gerade in der von Vernunft und Zweckmäßigkeit durchdrungenen Gegenwart, für das Irrationale, das Unerklärbare, Unnütze. Der Krieg, sagt Werner, ist auch irrational, nicht begreifbar, trotzdem existiert er, gehört er zur Geschichte der Menschheit. Nun könnte man einwenden, der Krieg, das ist immer Aktion und Reaktion, da gibt es Ursachen und Folgen – aber das meint Werner wohl nicht, sondern eben den unerklärbaren Rest, das, was einen fassungslos zurücklässt, wenn man etwa die detaillierten Beschreibungen sinnloser Grausamkeit bei Remarque oder dem Potsdamer Autor Edlef Köppen aus dem Ersten Weltkrieg liest.

Auf Lüpertz’ ebenfalls unbetiteltem Bild eines Soldaten von 2008 geht es nicht um die alten, die vergangenen Kriege, sondern um die heutigen, sagt Werner. Denn natürlich hat die Moderne den Menschen mit all ihrer Vernunft nicht gezähmt, natürlich gibt es noch Kriege. Hier brennen und qualmen Panzer im Hintergrund, das Gesicht des Soldaten scheint mit einem fleischroten Tuch umwickelt – vielleicht ist es auch tatsächlich das nackte Fleisch, an das er den Betrachter hier erinnern will – und wo der Mund sein müsste, klafft nur ein rundes Loch.

Aber ist das nun Kriegs-Kritik? Lüpertz war ein Anti-68er, natürlich fühlten sich viele damals von seinen Stahlhelmen provoziert. Und klar kann man sein Beharren auf der Tradition, der Malerei, auch als Zugeständnis an das Deutsche lesen. Verkannt aber kann man Lüpertz – bei all seinem Anti-Zeitgeist – nicht nennen. Er gilt als einer der bedeutendsten deutschen Maler der Gegenwart, war von 1988 bis 2009 Rektor der renommierten staatlichen Kunstakademie in Düsseldorf. Und nicht zuletzt: Dafür, dass die Moderne die Bilder angeblich abgeschafft haben soll, hängen in der Villa Schöningen gerade ganz schön viele. Über 60 sind es, plus sieben Skulpturen. Und wenn man sie ohne all die politischen und ideologischen Fragen im Hinterkopf betrachtet, entwickeln sie eine eigene, von intellektuellen Diskursen losgelöste, irrationale Wucht.

Die Werkschau zu Markus Lüpertz ist ab dem heutigen Donnerstag und bis zum 26. Juli in der Villa Schöningen, Berliner Straße 86, zu sehen

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