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Kultur: Von der Romanze ins Dramatische

Die Wilhelmshorster Schauspielerin Anja Kling spielt in „Wo ist Fred?“ / Sonntag ist Kino-Premiere

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Sie ahnt schon, was bei der Premiere ihres neuen Kinofilms „Wo ist Fred?“ am Sonntag auf sie zukommen könnte. Auf dem letzten Pfiff wird sie von ihrem Dreh in einem Gefängnis zum roten Teppich eilen, ihre Knastklamotten abwerfen und sich völlig ungestylt in die Masse werfen. „Dabei habe ich mir bei meiner letzten Kinopremiere geschworen: Das nächste Mal trage ich die schönste Frisur und das tollste Kleid. Damals hatte ich meine beiden Kinder mit. Alea war gerade fünf Monate und ich musste mehrmals in die Tiefgarage zum Stillen. Der fünfjährige Tano saß nervös auf meinem Schoß und zerknautschte meine Seidenhose. Als ich auf die Bühne musste, war alle Schönheit dahin.“

Doch wenn es ums Drehen geht, muss die Eitelkeit in den Schatten treten. Zumal auf dieser ZDF-Komödie – die von „Ein Unglück namens Emma“ in „Liebe auf Bewährung“ umbenannt wurde – ein Fluch zu lasten scheint. Erst verunglückte im Sommer ein Stuntmen tödlich und dann brach sich Anja Kling ihr Sprunggelenk gleich mehrfach. Seit drei Monaten liegen die Dreharbeiten auf Eis. Und nun sollen sie eben ausgerechnet am Premierentag von „Wo ist Fred?“ in den Kasten.

Diese Komödie von Anno Saul wurde bereits im Sommer vorigen Jahres abgedreht. „Bei einer internen Schauspielervorführung konnte ich ihn schon mal vor der Premiere sichten. Und ich finde ihn total lustig. Bei manchen Szenen musste ich Tränen lachen.“ In dem Film geht es um Fred, der seiner Freundin Mara seine Liebe beweisen will. Dafür muss er ihrem verzogenen Sohn den größten Wunsch erfüllen: einen Basketball von Alba Berlin, unterschrieben von Superstar Mercurio Müller. Nach jedem Punkterekord wirft Mercurio einen Ball auf die Behinderten-Tribüne. Also beschließt Fred, sich als stummer Rollstuhlfahrer auszugeben. „Anfangs dachte ich, die verarschen damit behinderte Menschen. Aber das ist überhaupt nicht der Fall. Am Ende geht es um ein Miteinander.“ Anja Kling spielt in dem Film die Mara: „eine angezickte, ein bisschen einspurige Frau, die letztlich nicht Freds Auserkorene bleibt. Es war durchaus spannend, dieses Überdrehte darzustellen.“ Und vor allem war auch die Freude groß, wieder mit Till Schweiger arbeiten zu können. „Wir haben uns schon bei ,(T)Raumschiff Surprice’ super verstanden und mögen uns auch privat.“

Überhaupt laufe es beruflich im Moment sehr gut, sagt die Wilhelmshorsterin und klopft dabei auf das Holz ihres großen Esstisches in der gemütlichen Wohnküche, in der schon ein Pfefferkuchenhaus und kugelrunde Holzweihnachtsmänner die kindliche Vorfreude schüren. Die Zwangspause mit ihrem verletzten Bein habe sie genutzt, um wieder ihr Klavierspiel aufzufrischen, Gesangsunterricht zu nehmen und um ein Kinderbuch zu schreiben, das im Februar herauskommen soll: „Meine kleine Großfamilie“, gespickt mit erfrischendem Kindermund.

Anja Kling tat sich lange schwer, den Schauspielerberuf für sich als endgültigen Lebensplan anzunehmen. „Aber gerade durch den Unfall – wo es anfangs hieß, dass ich vielleicht gar nicht mehr richtig laufen kann – habe ich gemerkt, wie wichtig er mir ist.“ Eigentlich wollte sie immer Ärztin werden – und bis heute trauert sie dieser verpassten Chance etwas nach. Doch vor fast 20 Jahren griff der Film nach ihr: „Ich war gerade 17 und ging mit meinen Freundinnen zum Casting: frisch gelockt und mit dicker Schminke.“ Herrmann Zschoche erkannte darunter offensichtlich dennoch die Begabung und wählte sie zur Hauptdarstellerin in „Grüne Hochzeit“.

Zuvor hatte sich Anja auch schon als Tänzerin ausprobiert: „Meine fünf Jahre ältere Schwester hatte mich überredet, nach der 10. Klasse an die Ballettschule zu gehen. Acht Stunden täglich an der Stange. Ich war sehr ehrgeizig und trainierte hart. Aber in dem Alter ist es nicht mehr zu schaffen, sich in die erste Reihe vor zu tanzen. Und in einem Ballett eines kleinen Drei-Sparten-Theaters in der fünften Reihe aufzutreten, war auch nicht mein Ziel.“ Sie hing zwar die Spitzenschuhe wieder an den Nagel, aber ihr „Ausflug“ blieb nicht folgenlos. Schließlich lernte sie dort ihren Mann kennen und zudem eiserne Disziplin.

Das Abi wurde nun doch noch gemacht, danach bewarb sich Anja an der HFF für die Filmwissenschaft. Und fiel mit Pauken und Trompeten durch. „Ich saß ein bisschen auf dem hohen Ross, meinte, da ich schon einen Film gedreht hatte, nun alles zu wissen.“ Als sie sich dann um eine Lehrstelle als Theaterschneiderin bemühte, gab es die nächste Schlappe. „Mit Abi war ich überqualifiziert.“ Schließlich verdiente sie sich ihr Geld als Moderatorin bei Elf 99. Als die Mauer fiel, gab es plötzlich ein Meer von Möglichkeiten, alle Hochschulen öffneten sich. Sie begann Musikwissenschaften zu studieren, danach Publizistik. Beides war zu trocken. Dann ließ sie sich doch von der Schwester überzeugen, sich ganz dem Schauspiel zu verschreiben, und sie ging an die Busch-Hochschule Berlin. „Parallel zum Studium habe ich immer gedreht, doch diese Zweigleisigkeit funktionierte nicht. Auch fühlte ich mich in eine Rolle gedrängt, in die ich nicht gehörte. Meine Schwester war auch an der Schule und unglaublich beliebt. Alle erwarteten eine zweite Gerit. Und ich versuchte dann, sie zu imitieren, aus mangelndem Selbstbewusstsein. Es hat mich sehr belastet. Wenn ich nach Hause fuhr, war das wie eine Befreiung: Ich konnte wieder Anja sein.“ Filmangebote gab es genug, also schmiss sie das Studium. Es waren vor allem melodramatische Figuren in Rosamunde-Pilcher-Filmen, die sie aber nicht verdammen möchte. „Auch sie finden ihr Publikum. Aber irgendwann wollte ich dann doch andere Rollen spielen, und signalisierte es meiner Agentur und den Casting Studios. Wenn keiner an dich glaubt, kannst du natürlich an deinen Signalen ersticken. Ich hatte aber großes Glück, Max Färberböck las zufällig im Schwimmbad ein Interview mit mir und das machte ihn neugierig. An der Seite von Sylvester Groth spielte ich in seinem hochdramatischen Film ,Jenseits’.“ Auch Matti Geschonneck besetzte sie in zwei Filmen: darunter in „Die Ärztin“. „So konnte ich wenigstens als Schauspielerin für einige Wochen meinen Traum leben.“

Anja Kling spielt alles: Dramen, Thriller, Komödien – „Hauptsache, die Bücher sind gut. Und noch habe ich das Glück, mehr ablehnen zu können, als ich drehe.“ Und wieder klopft sie auf’s Holz. Ende Februar steht ein ZDF-Krimi an. Drehort Berlin. Nicht unwichtig, wenn man kleine Kinder hat, die man abends ins Bett bringen möchte. „Neue Kinoprojekte sind noch nicht in Sicht. Gern würde ich mal in einem Dresen-Film mitwirken.“ Im Internet ist zu lesen, dass sich Anja Kling auch vorstellen könnte, nach Hollywood zu gehen. Doch sie winkt nur ab: „Ich habe mal gesagt, wenn Steven Spielberg an die Haustür klopft, würde ich ihm sicher öffnen. Aber in Amerika wartet man nicht gerade auf mich. Ich habe mir hier einen kleinen Namen erarbeitet und darauf bin ich stolz. Was will ich auch in Hollywood, der Kindergarten ist in Wilhelmshorst.“

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