
© privat/ Christine Fenzl
Von Heidi Jäger: Warmherzig und streitbar
Ein Abend mit Jutta Wachowiak im Filmmuseum anlässlich ihres 70. Geburtstages
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Sie ist Komödiantin und Tragödin, junges Mädchen und weise Frau. Vor allem aber sie selbst. Wenn Jutta Wachowiak über ihr reiches Leben erzählt, verwandelt sich ihr Wohnzimmer auf Hermannswerder mit dem freien Blick aufs Havelwasser in eine Bühne. Alle Großen der DDR-Schauspielkunst nehmen Platz an ihrem Tisch der Erinnerung, den sie mit einzigartigen Theater-Erlebnissen ebenso wie mit Enttäuschungen deckt. Die Zeit nach der Wende hat ihr zugesetzt. Sie ist das beherrschende Thema in dem gut zweistündigen Gespräch. Jutta Wachowiak, die 13 Jahre die Maria Stuart am Deutschen Theater war, die jeder Zuschauer aus Film und Fernsehen kannte, fühlte sich auf einmal unsichtbar. Und lange Zeit konnte sie nicht darüber reden. Den Wunsch auf ein Interview ließ sie vor fünf Jahren noch unbeantwortet.
Heute weiß Jutta Wachowiak wieder Auskunft über sich zu geben, ist nach den Wirren und Verwirrungen der Wende wieder in ihre Mitte zurückgekehrt. Jutta Wachowiak ist sich jedoch sicher, dass dieser Moment schnell durch das Leben irritiert, wieder aus dem Gleichgewicht gebracht werden kann. Diese Unsicherheit aber braucht sie: „In puplauen Gewässern würde ich vor Unlust vergehen“, sagt sie, die in dieser Woche in einem Mammutprogramm ihren 70. Geburtstag feiert.
Während sie am vergangenen Montag an die hundert Gäste in der Berliner Akademie der Künste um sich versammelte, unter ihnen einstige Kollegen vom Deutschen Theater, folgte gestern das Anstoßen nach der Vorstellung von Voltaires „Candide“ mit den Kollegen am Schauspielhaus Bochum, ihrer jetzigen Wirkungsstätte. Und bevor sie sich mit der großen privaten Familie an den Tisch setzt, mit den beiden Töchtern, der 12-jährigen Enkelin und den zwei Kindern ihrer späten Liebe, Pfarrer Martin Bartels, ist am morgigen Donnerstag der Empfang im Filmmuseum: In Potsdam, der Stadt ihrer ersten Schritte als Schauspielerin – und ihrer ersten Niederlage. Denn als die Absolventin der Filmhochschule Babelsberg zum Hans Otto Theater kam, hatte sie nichts zu lachen. „Ich kam mit Flausen im Kopf und die mussten ausgeräumt werden. Das tat natürlich weh.“ Dennoch war ihr erstes Engagement ein Glücksgriff, denn der damalige Intendant Gerhard Meyer erkannte sehr wohl ihr Talent und nahm sie mit nach Karl-Marx-Stadt. Mit Bühnenpartner Christian Grashof überzeugte sie in „Kabale und Liebe“ auch den Intendanten des Deutschen Theaters, Wolfgang Heinz, der die beiden zu sich nach Berlin holte: hinein in das Haifischbecken, in dem jeder Schauspieler mitschwimmen wollte. Jutta Wachowiak, die große Wandlungsfähige mit den leisen, nachhallenden Tönen, dem unverbrauchten Frohsinn, der tragischen Tiefe, spielte bedeutende Rollen, verlieh auch zahlreichen DEFA-Filmen Glaubwürdigkeit. Nicht nur als „Verlobte“, der ihr 1982 den Darstellerpreis einbrachte.
Dass sie nun 70 geworden ist, verursacht ihr keinerlei Bauchschmerzen. „Der Übergang hin zur alten Frau war schwieriger. Inzwischen ist mir die Freiheit zugewachsen, dass ich nicht mehr auf jeder Party tanzen, nicht mehr jeden Kampf gewinnen muss.“ Das Abgehetze und Gezerre nach Anerkennung ist einer entspannten Neuorientierung und einem wiedergewonnenen Selbstbewusstsein gewichen. „Ich habe das Privileg, dass ich einen Kreis von Leuten um mich habe, die noch mit mir arbeiten wollen.“
Genau das vermisste sie nach der Wende. „Ich hatte mich intensiv für Veränderungen eingesetzt, doch die, die kamen, hatte ich nicht gemeint.“ Jutta Wachowiak wollte es nicht akzeptierten: das vergröberte Einordnen von Schauspielern in Schubfächern. „Ich war wirklich auf Qualität aus: dachte, so wie ich bin, was ich kann, was ich sage, ist von Interesse.“ Aber alle seien damals verrückt gewesen, aus ihrer Mitte geraten. Das Wetteifern um Kritiken im großen Feuilleton setzte ein und davor sei auch ihr Freund, der Nachwende-Intendant Thomas Langhoff, nicht gefeit gewesen. „In meiner eigenen Hilflosigkeit hatte ich nicht konstatiert, dass auch er hilflos war.“
Arglos, leichtgläubig und untrainiert seien sie gewesen, nicht gewohnt, Kämpfe aufzunehmen, in denen sie sich genau das Gegenteil vom Erwarteten zu sagen trauten. „Zu der gesellschaftlichen Veränderung kam hinzu, dass ich gerade 50 wurde, ein Alter, wo du als Frau beginnst, langweilig für die Männer zu werden, ja unsichtbar. Auch für die Autoren, die kaum Rollen für dieses Fach schrieben. Das ist heute anders.“
Dieser deutliche Umbruch zerrte an ihren Kräften. Sie igelte sich ein. „Wenn es richtig läuft, dann sage ich mir immer: Verkenne nicht, dass jetzt eine gute Zeit ist.“
Jutta Wachowiak setzte der inneren Zerrissenheit äußere Aktivität entgegen: Sie fuhr viel Fahrrad, schwamm, strickte kilometerlange Schals – und baute ein Haus. Ganz klein, nur für sich, mit Walmdach, wie sie es mag. Es fand sein Plätzchen zwischen der großen Birke und Kiefer. Hier auf Hermannswerder kommt sie zur Ruhe, vor allem wenn sie in ihrem Strandkorb sitzt, der jetzt unter einer blauen Haube verschwunden ist. Aber sie mag auch den Winter mit dem weiten Blick. Und dann gibt es ja noch Usedom, wo ihr Lebensgefährte ein altes Haus ausgebaut hat. Sie pendeln zueinander, wollen ihre Eigenständigkeit jedoch bewahren. Und zwischendrin reist Jutta Wachowiak mit dem Zug zu ihrer Arbeit nach Bochum. Inzwischen als Freiberuflerin, so dass sie mit entscheiden kann, welchem Regisseur sie folgt.
Jutta Wachowiak, die leidenschaftliche Theatergängerin, fragte sich oft nach der Wende, warum sie die Signale, die von der Bühne kamen, oft nicht erreichten. Bis heute findet sie die Rigorosität befremdlich, mit der vor allem junge Regisseure über Figuren hinweg gehen. „Sie bringen zwar eine überbordende Fantasie ein, mit Qualm, Trommelwirbel und fallenden Buchsen. Aber wo ist der Fokus, was wollen sie erzählen?“ Ein Spektakel, nur um aufzufallen, das wollte sie nie. „Doch die Kritik behandelt einen unverschämten, auffälligen, extremen Abend freundlicher als eine konventionelle Erzählweise, selbst wenn die Inszenierung schöner gespielt, genauer gemacht ist. Das wissen die Regisseure.“ Sie mag es fantasievoll, klug und streng, vor allem aber warmherzig. „Und das ist das Allerletzte, was die Jungen wollen.“ Dennoch schlägt sie auf den Proben ihre Figuren vor, so wie sie sie sieht. „Warum soll ich mich blöder stellen als ich bin und meine Figur zur Disposition stellen?“ Sie hat wieder die Kraft und den Ehrgeiz, mitzureden und spürt, dass man ihr mehr und mehr zuhört.
Wütend ist sie auf die DDR, die mangelndes Selbstwertgefühl geprägt und so gewollt hatte und sich dadurch mitschuldig machte, dass so viele nach der Wende untergepflügt wurden.
Nun arbeitet die gebürtige Berlinerin, die ihrer Mundart alle Ehre macht, in der „DDR-rischten Stelle der BRD“: im Ruhrpott, bei einem Menschenschlag, den sie mag, auch wenn der seelisch festverpackte Zahnarzt im Stadttheater Essen schwieriger zu kriegen sei als einst der arglose Bauarbeiter bei der Kollektivvorstellung im DDR-Theater. „Doch in Bochum ist es ganz anders als im Essener Stadttheater, wo alles so unangefochten von gesellschaftlichen Umbrüchen blieb. In Bochum, gibt es ein tolles Theater, in dem auch Leander Haußmann seine Spuren hinterließ.“ Sie hofft, dass sich in der jetzigen Intendanz von Anselm Weber der Kreis zu Gerhard Meyer schließt, mit dem alles für sie so gut begann. „Ich habe die neuen Spielregeln kapiert und schaue genau hin, welche ich als Mutter, Frau und Schauspielerin bereit bin, einzugehen.“ Ihr Weg ist direkt am Leben ausgerichtet und der führt auch in die Nachbarschaft, wo zum Beispiel behinderte Menschen von der Hoffbauerstiftung betreut werden, die sie mit unterstützt. Immer wieder wirbt sie um finanzielle Hilfe, auch auf ihrem Geburtstagsempfang.
Von der Schauspielerin Jutta Wachowiak ist in Potsdam leider wenig zu hören. „Das finde ich auch schade, aber wenn keiner fragt?“ Dabei verwandelt sie sich aus dem Stehgreif in Fontanes „Stine“ oder in Goethes „Iphigenie“, ihre Soloabende, die auf das Wort der Dichter vertrauen. In wenigen Sätzen umreißt sie die Figurenverstrickungen und lässt die Protagonisten sogleich an ihrem Holztisch aufleben.
Wenn die 70-Jährige im Filmmuseum gefeiert wird, trifft sie sicher viele alte Bekannte auch aus DEFA-Zeiten. „Das Filmmuseum hat für mich die Einladungen rausgeschickt. Ich muss bloß noch meine Gäste erkennen.“ Und ihr Geburtstagswunsch? Jutta Wachowiak hält inne und legt für einen Moment die Hände über die Augen: „Dass der Abbau der eigenen Kräfte möglichst in normaler Kontinuität verläuft und ich mich allmählich darauf einstellen kann. Das klingt bescheiden, ist aber ein ganz unverschämter Wunsch.“
Zu ihrem Geburtstagsabend im Filmmuseum läuft am morgigen Donnerstag um 18 Uhr Jutta Wachowiaks Wunschfilm „Lust auf Anderes“. Anschließend gibt es einen Empfang
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