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Kultur: Warten – eine verschwendete Zeit?

Seit sieben Jahren sitzt Egon Günther auf seinem Nietzsche-Projekt, „dabei ist die Zeit so kostbar“

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Seit sieben Jahren sitzt Egon Günther auf seinem Nietzsche-Projekt, „dabei ist die Zeit so kostbar“ Von Heidi Jäger Eigentlich ist der Film fast fertig. Szene für Szene klopfte Egon Günther immer wieder ab und malte sich jede Situation haarklein aus. Selbst die Besetzung sieht er im Kopf deutlich vor sich: mit August Diehl in der Hauptrolle. Seit sieben Jahren trägt der gestandene und experimentierfreudige Regisseur sein Nietzsche-Projekt mit sich herum. Was ihn anfangs mit Haut und Haar ergriff, wird inzwischen immer mehr zur Last. Denn natürlich will er „ausspucken“, was ihn jahrelang umtreibt. Doch etwas Entscheidendes fehlt, um sein überreifes Szenarium endlich in die Kinos zu bringen. Das Geld! Was könnte es sein, dass Produzenten so zögerlich werden lässt, und auch einen Mann mit dem Renommee Egon Günthers in die Riege der No-Names verbannt. „Alle, die das Drehbuch lesen, sind begeistert“, versucht sich der Groß Glienicker selbst zu trösten und hat dabei die Worte von Entertainer Harald Schmidt noch wohltuend im Kopf, der sein Nietzsche-Manuskript als das Dollste, was er bislang gelesen habe, bezeichnete. Man spürt die unbändige Lust Egon Günthers, endlich wieder loszulegen, den Schreibtisch zu verlassen, um das papierne Wort mit Schauspielern zu beseelen. „Was macht einen Filmemacher schließlich lebendig? Das Drehen. Ich vermisse es ungeheuer“, möchte Egon Günther seine Traurigkeit gar nicht erst verhehlen. Noch ein zweites Projekt schmort in seinem Schreibtisch: „Betty“, „eine Liebesgeschichte der sehr komplizierten Art“, die er nun versucht, auch in Prosa zu fassen. „Beide Stoffe ließen sich auf der Stelle filmisch umsetzen und beides könnten Erfolge werden. Es ist kein Leichtsinn dabei.“ Egon Günther glaubt inzwischen, dass es vielleicht am Alter oder aber an dem hohen künstlerischen Anspruch liegen könnte, der Produzenten vor seinen Vorhaben zurückschrecken lasse. „Heute herrscht doch der absolute Jugendwahn. Und die Filme werden bei der Jagd nach Erfolgen und klingender Kasse immer niveauloser. In der Literatur würde man hingegen auf das Alterswerk eines Autors nicht verzichten“, meint Egon Günther, der trotz seiner 77 Jahre keineswegs müde wirkt. Da schiebt sicher auch die siebenjährige Tochter Anna einen Riegel vor. Eigentlich sei er nicht dafür gemacht, nach hinten zu schauen oder sich gar in seinen einstigen Erfolgen zu sonnen. „Es interessiert mich beinahe nicht mehr. Die Filme sind vergangen und waren für ihre Zeit gemacht.“ Aber doch schwappen beim Erzählen immer wieder Erinnerungen hoch. Schon ein Blick aus seinem Fenster holt die durchlebte Geschichte hervor. Noch vor 14 Jahren versperrte die Mauer mit der davor gezogenen Hundetrasse eine freie Sicht vom Wohnzimmer auf den See. Und wie die Mauer aus Stein war es auch die Mauer in den Köpfen, die ihn schließlich Ende der 70er Jahre aus dem Lande trieb. „Dabei hätte ich in DEFA-Zeiten meinen Nietzsche-Film vielleicht durchaus machen können“, ahnt er heute. „Es ist schon komisch, heute preise ich die Dinge, und damals bin ich abgehauen.“ Aber einen Film wie „Abschied“ durfte er eben machen, selbst wenn er schnell aus den Kinos zurückgezogen wurde. In dieser Literaturverfilmung des gleichnamigen Johannes-R.-Becher-Romans schaffte Günther durch eine weitgehende Stilisierung Distanz zum historischen Stoff von 1914 und gedankliche Parallelen zum Protest der DDR-Jugend, was die Schüler massenweise ins Kino trieb und die politischen Entscheider nervös werden ließ. Der Kritiker Heinz Kersten bescheinigte ihm 1968: „Seit langem wieder einmal ein DEFA-Spielfilm, der internationalen Maßstäben gerecht wird.“ Genau als „Abschied“ abgesetzt wurde, schickte man den beargwöhnten Regisseur zu den Festspielen nach Oberhausen und nach Algier. „Zeitgleich verhaftete man meinen 17-jährigen Sohn aus der Oberschule heraus.Vielleicht wollte man mich mit der Reise aus der Schusslinie bringen. Ich weiß es nicht.“ Seine Stasi-Akte, die ihm vielleicht Aufschluss geben könnte, wolle er „um Gotteswillen“ nicht lesen. „Mich interessiert es nicht, wer aus meinem Team berichtete. Auch im Westen wurden mir durch einen Produzenten Spitzel auf den Hals gejagt.“ Einschüchtern ließ er sich dennoch nicht, und auch seine Art des Drehens behielt er bei. „Schon immer bin ich am Experimentieren und am Expressionismus interessiert gewesen, und immer wieder versuche ich, die Form zu zerbrechen. Dafür steckte ich oft Prügel ein. Aber das ist nicht schlimm.“ Das war bei „Wenn du groß bist, lieber Adam“ so und auch bei „Die Schlüssel“. Egon Günther ließ oft Realität und Fiktion zu einer neuen filmischen Realität verschmelzen. „Doch dieses Anzetteln von Happenings und das Lösen vom Drehbuch war nichts für die Bürokratiekultur der DDR. Sie wollten ihr Kleinklein und ihre Überschaubarkeit.“ Als er bei Dreharbeiten in Krakau durch Zufall eine Prozession filmen konnte und den ehemals inhaftierten unbequemen Primas Stefan Wyszynski dabei mit im Bild hatte, musste er ihn nach der Filmabnahme rausschneiden. „Das bereue ich zutiefst, es war schon ein Verbiegen. Ich hätte ein Totalverbot riskieren müssen.“ Während bei all“ seinen Filmen das Experiment das Drehen bestimmte, blieb er bei „Lotte in Weimar“ historisch haften, „wohl aus Ehrfurcht vor Goethe und den großen Schauspielern Martin Hellberg und Lilli Palmer. Es war mein konventionellster Film, aber auch der, der die meisten Millionen einbrachte. Allein das ,tolle“ Lob, dass er genau so viel einspielte wie die Indianerfilme, zeigte das wirkliche Interesse. Dennoch war man der DEFA nicht so stringent verpflichtet, dass Filme um jeden Preis ihr Geld auch wieder einspielen mussten. Diesen Vorteil habe ich damals nicht kapiert oder als selbstverständlich angesehen.“ So wie die DDR nicht für das Experimentelle gemacht war, sei es auch die Bundesrepublik nicht gewesen. „Einen Film ohne Drehbuch anzugehen, war auch im neugierigen Westen nicht möglich. Es gibt aber eigentlich keinen Vergleich Ost und West. Es war überall gleich schlecht. Aber was die DDR ermöglichte, war schließlich doch ein Gesamtwerk: Man konnte auch über Niederlagen gehen. Im Westen heißt es hingegen: Jeder Regisseur ist so gut wie sein letzter Film. Mit dieser Prämisse wagt man letztlich nichts mehr. Wenn das Risiko fehlt, fängt die Kunst an, sich selbst zu skalpieren.“ Zwölf Jahre habe er sich in der Emigration befunden, wie Egon Günther sein Leben in München heute bezeichnet. „Ich ging nicht von Deutschland nach Deutschland, sondern in eine fremde Welt mit sehr anderen Verhaltensweisen. Zwar hatte ich schon eine gewisse Sesshaftigkeit, aber zur Heimat wurde mir Bayern nie.“ Dabei sei sein Anfang durchaus von größter Neugier und Aufmerksamkeit begleitet worden. „Die ersten Jahre wurde ich durch die Bavaria und Ufa sehr gepriesen. Dort waren großartige Leute. Aber die anderen überwogen und es folgten größte Enttäuschungen. Vielleicht hatte ich in der DDR auch zu früh das Handtuch geworfen.“ So ganz nabelte er sich denn auch nicht ab. Immer mal wieder fuhr er in sein Haus am Glienicker See. Der DDR-Pass ließ ihn DDR-Bürger bleiben und auch sein Mietverhältnis löste er nicht. „Um den Pass behalten zu können, musste ich allerdings dem damaligen Chef der DEFA-Studios Hans Dieter Mäde schriftlich quittieren, dass ich kein Arbeitsverbot habe.“ Als er 1990 wieder in die Heimat zurück kehrte, „standen die Kollegen am Tor, als wäre ich nie weg gewesen. Gemeinsam drehten wir ,Stein“, das letzte Werk der DEFA mit seiner letzten Million. Damals erhofften wir uns alle bessere künstlerische Möglichkeiten. Doch dann kamen immer Neue und andere gingen. Von uns wurden alle rausgedrängt. Es wurde mir bald klar, dass das Studio dicht machen wird. Es ist einfach auf dem Markt zu viel“, ist sich Egon Günther sicher. Auch seinen letzten Film „Die Braut“ - mit Veronica Ferres als Christiane Vulpius und Herbert Knaup als Goethe – drehte er in Babelsberg. Das war vor fünf Jahren. „Doch die Studios sind mir inzwischen fremd geworden.“ Wie das Drehen überhaupt für ihn in die Ferne gerückt ist und sich das Warten breit gemacht hat. Warten auf die Entscheidung, wie es mit dem Haus weitergeht, auf dem Rückgabeansprüche lasten, „warten, dass die Welt sich bessert, was ohnehin nie passiert“, warten, dass sich doch noch ein Geldgeber für sein Nietzsche-Film findet „Warten – eine verschwendete Zeit: Dabei darf man gerade mit Zeit nicht liederlich umgehen.“ Egon Günther hat sich in Friedrich Nietzsche, dem Außenseiter der Philosophie, „der fast im Wortsinn ein verzetteltes Werk anstiftete“, geradezu verbissen. „Nietzsche ist ein so spannender Mann: Er schrieb ununterbrochen, hungerte, verzehrte sich und blieb zeitlebens erfolglos. Schließlich ging er an der ,Nichtigkeit“ der Liebe zugrunde.“ Diese Liebesgeschichte ist es auch, die Günthers Film hauptsächlich durchziehen und trotz aller Tragik zu einem heiteren Werk werden lassen soll. Und es gibt durchaus auch eine Gemeinsamkeit zwischen Nietzsche und Günther: die Liebe zum Reiten. Eigentlich hätte auch Egon Günthers Leben durchaus das Zeug, darüber zu schreiben. Doch noch winkt der Regisseur und Autor ab. „Ich bin vielleicht zu demütig, um mit einer Autobiografie auf den Putz zu hauen und mich so aufzustellen. Auch fehlt mir eine gewisse Unerschrockenheit. Wenn, dann müsste man es vielleicht so romanhaft wie ,Asche meiner Mutter“ anlegen. Aber vielleicht habe ich auch einfach noch nicht genug Absagen zu Nietzsche, um mich auf etwas Neues einzulassen. Noch ist Nietzsche für mich nicht ausgestanden.“

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