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Kultur: Was Bilder erzählen

Peter Walther über das Projekt „Kindheit in Brandenburg. Wir suchen Ihre Fotos und Erinnerungen“

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Herr Walther, „Kindheit in Brandenburg. Wir suchen Ihre Fotos und Erinnerungen“ heißt ein Gemeinschaftsprojekt vom Brandenburgischen Literaturbüro und dem Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte für eine geplante Ausstellung. Was steckt dahinter?

Es geht darum, Kindheit und Jugend, wie sie zu unterschiedlichen Zeiten in Brandenburg erlebt wurden, in literarischen und fotografischen Bildern auszuleuchten. Die Zeitspanne reicht vom Ende des 19. Jahrhunderts bis dicht an die Gegenwart heran. Früheste fotografische Überlieferungen, die Kindheit und Jugend illustrieren, haben wir erst ab dem späten 19. Jahrhundert. Das hat zum einen technische Gründe. Die Belichtungszeiten waren damals noch zu lang, um Alltagsszenen einzufangen. Und es hing auch mit dem Blick auf Kinder zusammen. Die schienen jenseits der rituellen Anlässe, die es so gab, nicht wichtig genug, aufgenommen zu werden. Mit Ausnahmen natürlich.

In Ihrem Vorhaben suchen Sie auch die Verbindung von Kindheit und Jugend in Brandenburg mit der Literatur. Was hat es in diesem Zusammenhang mit der Literatur auf sich?

Die Darstellung der ländlichen Lebenswelt Brandenburgs in der Literatur hat eine zeitlang eine wichtige Rolle gespielt, Brandenburg war so etwas wie eine Sehnsuchtslandschaft, in die alle positiven Vorstellungen vom unbeschwerten Aufwachsen hineinprojiziert wurden. So etwa in den Büchern von Tamara Ramsay oder auch von Ehm Welk. Tamara Ramsays „Geschichten und Abenteuer der kleinen Dott“ ist seit den 30er Jahren ein Kultbuch, das in der Prignitz spielt und auch heute noch aufgelegt wird. „Die Heiden von Kummerow“ und „Die Gerechten von Kummerow“ von Ehm Welk wurden in den 60er Jahren sogar als deutsch-deutsche Koproduktion verfilmt. Einige Schriftsteller, vor allem Dichter wie Peter Huchel, haben ihre eigene Kindheit lyrisch verklärt. Das hat sich im selben Zeitraum abgespielt, für den es auch möglich ist, das Medium der Fotografie nach diesem Thema zu befragen.

Also wollen Sie überprüfen, ob es zwischen diesen Kinderbüchern, dieser lyrischen Verklärung, und der auf den Fotografien abgebildeten Wirklichkeit Parallelen gibt?

Das ist die Idee, dass es gelingt, mit den geeigneten Text- und Bildzeugnissen einen Assoziationsraum zu schaffen, in dem die literarischen Bilder eine Entsprechung in der Fotografie finden – und umgekehrt.

Wirken diese Fotografien auch wie Sehnsuchtsbilder?

Sie funktionieren auf andere Art als die Literatur, durch ihren Abstand zum Alltag und durch die Differenz zum Alltag von heute. Manche Fotografien zeigen Orte, die heute zubetoniert sind, oder Spielzeuge, an die sich vielleicht gerade noch die ältere Generation erinnern kann. Das erzeugt beim Betrachter auf andere Weise Empathie als in der Lyrik, wo innerliterarische Mittel eine Rolle spielen. Dabei spielen ganz unterschiedliche Dinge eine Rolle. Die gegenständlichen Zeugnisse des Alltags, wie Kleidung oder die Wohnumgebung – ab wann gab es überhaupt Kinderzimmer? Dann die Frage, ob es Spezifika gibt für das Aufwachsen in der Region hier und womit die zusammenhängen. Darauf erhoffen wir uns eine Antwort.

Gibt es schon jetzt Arbeitsthesen?

Eine Arbeitsthese ist beispielsweise, dass bestimmte Dinge, die in anderen ländlichen Räumen wie der Lüneburger Heide oder in Thüringen keine so große Rolle gespielt haben, hier verschärft zu beobachten sind. Dies könnte daran liegen, dass Brandenburg und Berlin lange im Brennpunkt der Zeitgeschichte gelegen haben. Wir haben das historische Erbe von Preußen, sichtbar in Kadettenanstalten und Kindern in Uniformen, und den starken Kontrast zwischen Großstadt und Land. Dann natürlich ab 1945 die unterschiedlichen politischen Systeme, ab 1948 mit der Währungsunion und 1961 mit dem Mauerbau zunehmend eine Auseinanderentwicklung, sodass Kinder im Abstand von fünf Kilometern aufwachsen konnten und durch die Präsenz der Mauer in völlig unterschiedliche Lebenswelten hineingewachsen sind.

Sie suchen auf der einen Seite also die Bilder und versuchen gleichzeitig ein Abbild zu schaffen, wie Kindheit in dieser Zeit ausgesehen hat?

Genau. Es geht ganz häufig um das Beiläufige auf den Fotos. Auf einem Bild aus den 20er Jahren sieht man im Gegenlicht durch eine Tür hindurch ein Kind, erst beim zweiten Hinsehen fällt auf, dass es barfuß läuft. Oder ein anderes Bild, das ein Gebüsch und im Hintergrund einen DDR-Grenzsoldaten zeigt, aufgenommen im August 1961 in Kohlhasenbrück. Auch hier fällt erst auf den zweiten Blick auf, wie sich im Gebüsch ein kleines Mädchen versteckt hält, das verstört auf die Stacheldrahtszene schaut. Das sind natürlich Glücksfälle, wenn man solche Aufnahmen findet. Alle ausgestellten Fotos werden übrigens auch im Katalog präsentiert, zusammen mit vier Essays von Autoren wie Antje Rávic Strubel und Martin Ahrends.

Sie recherchieren vor allem in öffentlichen Sammlungen?

In Museen und Archiven. Dort suchen wir jetzt seit einem halben Jahr. Am Anfang ging es darum, sich einen Eindruck zu verschaffen, was eigentlich überliefert ist. Im Grunde lässt sich eine solche Idee nicht rein gedanklich realisieren, sondern nur vom Material, von der Anschauung her. Die Recherchen waren bisher ermutigend. Es ist jetzt schon eine ganze Reihe von Motiven zusammengekommen, die auch für literarische Bezüge ergiebig sind.

Wo genau sind Sie für Ihre Recherchen gewesen?

In Falkensee im Museum, in Forst im Stadtarchiv, im Bildarchiv der Gedenkstätten Ravensbrück und Sachsenhausen, in den Museen in Potsdam und Lübben und auch in einem kleinen Ort namens Domsdorf. Es wird ja zum ersten Mal in den relevanten öffentlichen Sammlungen nach der Fotoüberlieferung zu diesem Thema recherchiert. Die Fotos aus den öffentlichen Sammlungen werden aber nur eine Quelle für unsere Ausstellung sein. Wir möchten uns darüber hinaus auch an die Brandenburger wenden, in ihren eigenen Fotoalben nachzuschauen und nach Motiven zu sehen, die geeignet sind, das Thema „Kindheit in Brandenburg“ auf originelle Weise zu illustrieren. Willkommen sind auch eigene Kindheitserinnerungen oder die der Eltern und Großeltern. Natürlich werden wir nicht alle Bildmotive und Erinnerungen für die Ausstellung verwenden können. Aber nichts wird verloren gehen, da wir planen, parallel alle eingesandten Fotos und Erinnerungen auf dem Internetportal „Zeitstimmen“ zu präsentieren. Hier kann man dann nach Ort, Zeit und Thema recherchieren und einen Eindruck bekommen, wie sich Kindheit über die Jahrzehnte verändert hat.

Gibt es auch bestimmte Regionen in Brandenburg, aus denen Sie noch kaum Bildmaterial haben?

Der Norden ist noch wenig abgedeckt. Aber es war ein Zufall, dass ich eher im Süden unterwegs war. Wir stehen noch ganz am Anfang. Insgesamt stellt sich die Frage, wo diese Alltagsfotografie landet. Häufig hat man das Problem, dass die Sachen mit dem Ausräumen von Wohnungen verloren gehen. Es gibt Firmen, die sich mit Wohnungsauflösungen beschäftigen, aber die sind aus Datenschutzgründen gehalten, solche privaten Dinge nicht herauszugeben.

Besteht nicht die Gefahr, dass für Sie als Wissenschaftler relevante Bilder verloren gehen, wenn die Leute selbst eine Vorauswahl treffen sollen und glauben, bestimmte Motive sind gar nicht so wichtig, weil die ja nur banale Alltagsszenen zeigen?

Wer etwas einsendet, überlegt sich das im Vorfeld genau. Wir bekommen auch ganze Fotoalben eingesandt, aus denen wir dann selber eine Auswahl treffen. Meistens sind die Menschen ganz zu Recht davon überzeugt, dass Ihre Bilder und Erinnerungen etwas Besonderes sind. Generell möchten wir jeden ermuntern, sich an unserem Vorhaben zu beteiligen, gleich, ob mit Fotos oder Kindheitserinnerungen. Die Idealvariante ist „Ein Bild – eine Geschichte“, also: Ich finde ein interessantes Bild, an das sich eine Erinnerung knüpft, und die schreibe ich auf einer oder zwei Seiten auf.

Die Ausstellung „Kindheit in Brandenburg“ soll ab Herbst 2013 zu sehen sein, mit 250 ausgewählten Bildern und dazu korrespondierenden literarischen Texte?

Genau, wir haben noch ein ganzes Jahr, um Material zusammenzutragen. Bei der Recherche haben sich jetzt schon bestimmte Motivkreise herausgeschält. So sieht man von Beginn an Kinder in Uniformen. Das reicht vom Matrosenanzug über Pfadfinder-, HJ- und Pimpfuniformen, und in der DDR gibt es ganz früh wieder Pionier- und FDJ-Uniformen. Manchmal bekommt man tatsächlich einen Schreck – als hätte es nie einen Krieg gegeben. Es gibt natürlich den Themenbereich „Kindheit und Schule“. Auch hier kann man interessante Beobachtungen machen, bis zu der Frage nach den Bildern an den Klassenraumwänden. Ist es ein „Führerbild“? Oder ist es, in der Zeit der Weimarer Republik, ein expressionistisches Gemälde? Wie bewegen sich die Schüler? Machen sie Gruppenunterricht in den 20er Jahren? Oder sitzen sie brav in ihren Bänken in den 30er und 40er Jahren? An solchen Dingen lässt sich viel ablesen.

Das Gespräch führte Dirk Becker

Weitere Informationen unter

www.zeitstimmen.de/kindheit/

Peter Walther, geb. 1965 in Berlin, ist Germanist und arbeitet im Brandenburgischen Literaturbüro in Potsdam. Er hat Bücher zu Peter Huchel, Thomas Mann und Goethe veröffentlicht.

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