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Kultur: Welt- und Zeitreisende

Chor der Humboldt-Universität Berlin in der Friedenskirche

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Chor der Humboldt-Universität Berlin in der Friedenskirche Von Sonja Lenz Sie sind Weltreisende. Und auch Zeitreisende. Zwischen Spanien und Litauen, dem 16. und 21. Jahrhundert sind die neugierigen Sänger vom Kammerchor der Humboldt-Universität unterwegs. Einen bunten, exotischen Musikstrauß hatten sie für die Sommermusikreihe in der Friedenskirche zusammengestellt. Da gab es Weltliches und Geistliches, Populäres und viel Unbekanntes aus aller Herren Länder. Eine Stunde lang führte das Chorprogramm kreuz und quer durch den Notengarten. Interessant, aber auch ein bisschen beliebig. Vital und temperamentvoll bejubelten sie mit Thomas Morley den strahlenden Mai. Aus der englischen Madrigalschule brachten sie noch ein zweites Stück mit. Das hübsche Schäferlied „Fair Phyllis I Saw Sitting“ gehört zu den beliebtesten Stücken des späten 16. Jahrhunderts, auch wenn der Komponist John Farmer heute nur noch Fachleuten bekannt ist. Schnell setzte der Berliner Chor nach Frankreich zu dem launigen „Il est bel et bon“ von Pierre Passereau über. Auch dieses Madrigal ist das einzige, das sich von dem alten Meister bis heute im Chorrepertoire erhalten hat. Warm und homogen gestalteten die Sänger den spanischen Beitrag: ein Marienlied von Tomás Luis da Victoria, der überzeugt davon war, dass die Aufgabe der Musik der Lobpreis Gottes sei. International ist nicht nur das Programm, sondern auch der Universitätschor selbst. Die Sänger kommen aus allen Teilen Deutschlands, Europas und aus den USA. Vor 22 Jahren haben sie sich zusammen geschlossen, um außergewöhnliche Chormusik aufzuführen. Reiselustig sind sie nicht nur auf dem Notenpapier. Gerade sind sie wieder von einer Konzertreise aus Italien zurückgekehrt. Diesmal haben sie beim Internationalen Chorwettbewerb in Riva del Garda einen Sonderpreis und ein Golddiplom bekommen. Vielleicht liegt es ja an den Erfolgen in Italien – mit einem italienischen Komponisten hatten sie auch in Potsdam besonderen Erfolg. Carlo Gesualdo di Venosas schmerzliches, melancholisches Liebeslied mit seinen chromatischen Seufzern und seiner ausdrucksstarken Farbigkeit zählte zu den Höhepunkten des Chorprogramms. Der italienische Fürst gehört zu den schillerndsten Persönlichkeiten der Musikgeschichte. Er ist nicht nur als Komponist, sondern auch als Doppelmörder berühmt geworden. 1590 hat er seine junge Ehefrau und ihren Liebhaber in flagranti ertappt und erdolcht. Die gerichtliche Untersuchung blieb ohne Folgen. Die meisten seiner Musikwerke hat er erst später geschrieben. Ob die schrille Expressivität, die unerwarteten Tonartenwechsel und die Darstellung innerer Zerrissenheit in dem Chorlied auch mit seiner bewegten Vergangenheit zusammenhängen? Jung und frisch klingen die Stimmen. Engagiert gestalten sie ihre Reise durch die Chorliteratur. Nicht immer sitzt jeder Ton am rechten Fleck. So ein Laien-Kammerchor ist ein mutiges Unternehmen. Da gehen die Stimmen nicht wie üblich in der Klangfülle einer Hundertschaft auf. Jede einzelne ist gefragt. Chorleiter Rainer Ahrens versteht es, die Sänger stilkundig und differenziert durch die Epochen zu führen. Mendelssohn, Wolf, Poulenc und Duruflé fliegen vorbei. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert fühlen sich die Sänger weniger zu Hause. Die Zeitgenossen dagegen haben sie von Anfang an in Großbuchstaben auf ihre Fahne geschrieben. Das gemäßigt moderne Wallfahrtslied von Vytautas Miskinis klingt schillernd und klangsinnlich. Seine ungewöhnlichen Klangeffekte, etwa ein Glockenläuten aus Stimmen, fordern einen Sonderapplaus heraus. Von den „Shakespeare-Songs“ des jungen Finnen Jaako Mäntyjärvi gefiel vor allem das humorvolle Hexenlied mit „Zaubertopf“ und „Giftgekrös“. Die Welt- und Zeitreise endete mit den „Begünstigten Tieren“ von dem Berliner Ernst Pepping. Ohne Zugabe ließen die Potsdamer die Sänger nicht ziehen. Der Kammerchor gab mit dem Konzert sein Debüt in der Friedenskirche. Die Hälfte der Einnahmen wird für den Neubau der Orgel verwendet.

Sonja Lenz

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