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Schauspielerin Martina Gedeck.

© Doris Spiekermann-Klaas

Interview mit Martina Gedeck: „Wir sind alle übersättigt“

Die Schauspielerin Martina Gedeck spricht vor ihrer Potsdamer Lesung über ihre Weihnachtstraditionen, die besondere Resonanz beim Vorlesen und ihre positive Einstellung zum eigenen Körper.

Von Sarah Kugler

Frau Gedeck, Sie lesen im Nikolaisaal verschiedene weihnachtliche Texte unter dem schönen Titel „Himmlische Boten“. Was ist denn für Sie die ultimative Weihnachtsbotschaft?
Weihnachten hat für mich mit dem Kindsein zu tun. Es ist doch eigentlich unglaublich, dass im Mittelpunkt dieses Festes ein kleines Kind, ein Baby ist. Das gibt es in keiner Religion. Und das Neugeborene verkörpert ja den menschlichen Urzustand. Das Ausgeliefertsein, die Unschuld, die Ohnmacht, Aber eben auch die tiefe Verbundenheit mit dem Leben. Und dazu kommt, dass im Normalfall bei jedem Lebewesen Freude über eine Geburt herrscht. Man ist dann voller Liebe, normalerweise jedenfalls. Und das Weihnachtsfest soll eigentlich daran erinnern, dass diese Geburt, diese Gottesgeburt in jedem Menschen stattfindet und damit die Chance auf eine neue Zuversicht, eine Zukunft.

Also ist Weihnachten für Sie auch ein Neuanfang?
Es ist eine besinnliche Zeit für mich, ja. In der ich mit der Familie zusammen bin, zu Hause bin, Weihnachtsvorbereitungen treffe und auch Dinge zu Ende bringe. In unseren Breitengraden passt ja auch das Wetter dazu, der Winter, die tiefe Nacht. Ein Kreis schließt sich und für mich geht auch etwas zu Ende. Es ist eine Zeit des Ausatmens, des Aufatmens für mich.

Ist es denn in Ihrem Beruf wirklich möglich, durchzuatmen?
Naja, Sie sehen ja, in der Weihnachtszeit ist viel zu tun, wie jetzt das Adventskonzert, meistens ist fantastische Musik dabei. Es ist schon eine aktive Zeit, aber Dreharbeiten beginnen erst wieder im neuen Jahr. Ehrlich gesagt, bin ich bei einem Adventskonzert lieber auf der Bühne als im Zuschauerraum und genieße das richtig.

Tatsächlich lesen Sie häufig öffentlich. Was reizt sie daran?
Beim Sprechen von Texten entsteht eine ganz andere Resonanz im Körper als beim stillen Lesen. Die Geschichte findet viel stärker statt, die eigene Phantasie wird angeregt. Das Vorlesen ist eine Form des Dialogs, Gedichte spreche ich meist auswendig. Die Rezitation ist quasi die Urform, aus der Theater entstanden ist. Früher haben die Leute auf dem Marktplatz oder in Griechenland eben auf der Agora das erzählt, was passiert ist. Und das ist das, was Verbindung schafft.

Martina Gedeck liebt opulent geschmückte Weihnachtsbäume.
Martina Gedeck liebt opulent geschmückte Weihnachtsbäume.

© Doris Spiekermann-Klaas

Zwischen Ihnen und dem Publikum?
Die Menschen haben oft eine große Freude daran, etwa Gedichte zu hören. Wer liest heute noch für sich allein ein Gedicht? Dabei öffnen sich Räume, die man lange nicht betreten hat. Die Zuhörenden können zu sich kommen. Dazu kommt die Sprache, meist ist sie besonders schön, und man erfreut sich daran.

Vielleicht auch, weil es an die Kindheit erinnert?
Ja, in der Kindheit wurde abends vorgelesen und das war der Übertritt in die Traumwelt, in die Innenwelt. Die wird auch bei Erwachsenen angesprochen und es ist schön, wenn eigene Bilder entstehen und man nicht fremden Bildern und Vorstellungen folgen muss. Das kann nämlich auch anstrengend sein. Wir sind alle übersättigt von den vielen Medien, den Bildern, mit denen wir ständig konfrontiert sind.

Auf welchen Text des Programms freuen Sie sich besonders?
Ich habe ein kleines Märchen von Selma Lagerlöf dabei, das mein liebstes ist. Es ist ein kurzes Märchen, das von einer Großmutter handelt, die immer Geschichten erzählt und die jetzt gestorben ist. Und damit all ihre Geschichten auch mitnimmt. Aber der erwachsene Enkel erinnert sich an eine ihrer Geschichten, in der ein Mann für seine Frau, die gerade ein Baby bekommen hat, Feuerholz sucht. Das ist ein sehr schöner Text und mein Lieblingsmärchen zur Weihnachtszeit.

Haben Sie aus Ihrer Kindheit selbst besondere Erinnerungen an Ihre Großmutter und das gemeinsame Weihnachtsfest?
Meine Kindheitsweihnachten waren immer Doppelweihnachten, weil wir eben immer erst zuerst zu Hause gefeiert haben und dann zur Großmutter gefahren sind. Das war auf dem Land, eine halbe Stunde weg von der Stadt, in der wir gewohnt haben. Und da sind wir dann am Abend immer mit dem Auto hingefahren. Ich habe die Christbäume gezählt, die erleuchtet waren. Das war für mich das Tollste, die ganzen Glitzersachen, die bunten Kugeln am Baum. Meine Großmutter hat den Baum auch immer sehr verschwenderisch geschmückt mit vielen Lämpchen und Sachen. Bei uns zu Hause war der Baum immer puristisch und elegant. Das war für mich dann natürlich immer ein wahnsinniger Augenschmaus.

Und der Weihnachtsmann? Hat der Sie auch beeindruckt?
Bei uns kam immer das Christkind, was auch ganz wichtig für mich war, weil das eben ein Kind war und ich mich dadurch als Kind plötzlich selbst erhöht gefühlt habe. Durch diese Anwesenheit eines Wesens, das nicht sichtbar, aber trotzdem da ist. Das einen auch beschützt. Ich habe das schon wahrgenommen als kleines Kind, habe auch Engel gesehen oder was immer es denn war.

Martina Gedeck 2017 zu Gast im Thalia-Kino Babelsberg zum Berlinale-Kiezkino.
Martina Gedeck 2017 zu Gast im Thalia-Kino Babelsberg zum Berlinale-Kiezkino.

© Manfred Thomas

Das klingt sehr mystisch und auch traditionell. Wie feiern Sie heute Weihnachten?
Tatsächlich sehr traditionell. Der Baum ist bei mir genauso überbordend wie bei meiner Großmutter (lacht). Ich habe viele schöne Kugeln und liebe das. Die Kinder bekommen Geschenke und es ist sehr gemütlich.

Die Erwachsen bekommen nichts geschenkt?
Seit einiger Zeit nicht mehr. Das haben wir so verabredet, weil wir uns über das Jahr Dinge schenken und aneinander denken. Ich schenke gerne schöne Sachen, aber eben auch nur, wenn ich etwas Passendes finde. Meine Mutter bekommt zum Beispiel dieses Jahr etwas Schönes geschenkt von mir.

Haben Sie denn besondere Bräuche, etwa einen Weihnachtsfilm zu schauen?
Ehrlich gesagt, schaue ich selbst fast keine Filme mehr. Den ultimativen Weihnachtsfilm habe ich ja bereits 1998 mit „Single Bells“ gedreht (lacht), aber ansonsten ist das gar nicht so mein Thema. Mir ist auch die Zeit zum Filmegucken oft zu schade, weil ich sie eher mit Begegnungen füllen könnte. Ich schaue beruflich viele Filme und bin dann auch einfach gesättigt. Oder schlimmer noch: ärgere mich über schlechtes Schauspiel oder schlechte Drehbücher.

Bei Ihnen stehen im nächsten Jahr hingegen sehr interessante Projekte an. Sie spielen etwa am Hamburger Theater in „Gefährliche Liebschaften“ und haben eine Miniserie über das Oktoberfest abgedreht.
Ja, es geht um die Entstehung des Oktoberfestes. Ich spiele eine Bierbrauerin, was sehr spannend ist, da geht es richtig zur Sache. Es gibt Intrigen und Machtkämpfe und all das.

Sie sind in Bayern aufgewachsen, haben Sie Erinnerungen an das Oktoberfest?
Das Bier hat in meiner Kindheit zum Glück keine Rolle gespielt. Allerdings bin ich dort gerne wegen des Kettenkarussells hingegangen. Heute mag ich Bier aber tatsächlich sehr gerne.

Sie spielen außerdem in Karoline Herfurths vierter Regiearbeit, dem Spielfilm „Wunderschön“ mit, der nächstes Jahr ins Kino kommen wird.
Ja, das ist ein Film, in dem es um den weiblichen Körper in all seinen Formen geht.

Gerade für Sie als Schauspielerin ist der Umgang mit dem eigenen Körper wahrscheinlich ein wichtiges Thema. Stichwort „Body positivity“.
Ich kann nur sagen, dass mein Körper mir sehr gute Dienste leistet, weil er Kraft hat und das perfekt für mich ist. Ich kann mir keinen besseren Körper für mich vorstellen. Und natürlich ist er wichtig für das Spielen, weil ich mit ihm empfinde und mich ausdrücke. Das ist das wichtigste beim Schauspiel und ich bin da mit gutem Grundmaterial ausgestattet.

Das klingt ganz wunderbar selbstsicher.
Das ist auch wichtig. Es ist gut seinen Körper zu mögen und eine positive Einstellung zu ihm zu haben und nicht ständig zu versuchen, ihn zu ändern. Man muss ihn pflegen, das ja. Aber das Schöne und das Besondere ist, dass jeder von uns ganz eigen ist und anders aussieht. Und ich meine wirklich vollkommen anders. Das ist das Wunderbare.

>>„Himmlische Boten“ mit Martina Gedeck, am 12. Dezember um 20 Uhr im Nikolaisaal

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