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Kultur: „Wir werden wie weiße Raben sein“

Filmgespräch über einen eindrucksvollen Tschetschenien-Dokumentarfilm im Filmmuseum

Filmgespräch über einen eindrucksvollen Tschetschenien-Dokumentarfilm im Filmmuseum „Als wir mit dem Film begonnen haben, war das ein Krieg, der totgeschwiegen wurde.“ Und deshalb haben sich die Filmemacher Tamara Trampe und Johann Feindt dazu entschlossen, einen Dokumentarfilm über den Tschetschenienkrieg zu drehen: „Wir wollten sehen, wie der Krieg in die Nation zurückkommt, die ihn führt.“ Drei Jahre fuhren sie immer wieder nach Russland und sprachen mit jungen Männern, die, versehrt an Körper und Seele, aus dem Krieg heimgekehrt waren und nun aus der Gesellschaft herausfielen, wie „weiße Raben“. Sie sprachen mit Eltern, deren neunzehnjähriger Sohn Arm und Bein im Krieg verlor und mit einer jungen Krankenschwester, die in Tschetschenien im Einsatz war. Sie besuchten das Komitee der Soldatenmütter Russlands, die einzige Bürgerinitiative, die sich gegen den Krieg wehrt. Entstanden ist ein beklemmendes Dokument. „Weiße Raben – Alptraum Tschetschenien“ lief bereits auf der Berlinale und ist beim Festival Cinéma du Réel in Paris ausgezeichnet worden. Der Filmverband Brandenburg stellte nun den Film im Filmmuseum Potsdam vor. Im Anschluss sprach der Journalist Knut Elstermann (Radio Eins) mit den Machern. Wie ein Krieg die Menschen verändert, dass sei für sie, deren Eltern den Zweiten Weltkrieg erlebten, schon lange ein Thema, erzählte Tamara Trampe, die 1942 in der Ukraine geboren wurde. Die jungen Männer, mit denen sie in Russland sprach, können über das, was in und an ihnen geschah, was sie in Tschetschenien erlebten, kaum sprechen. Ihre schönen, fast noch kindlichen Gesichter werden über die Jahre immer regloser, die Augen bleiben erloschen. Um diese Sprachlosigkeit zu kompensieren, haben die Filmemacher zum einen Filmmaterial eines russischen Kriegsjournalisten aus dem Jahr 2000 und zum anderen Gespräche mit Sergej, einem Afghanistan-Veteran, hinzugenommen. Sergej erzählt über das, was er im Krieg getan hat: „Die Last trage ich seit Afghanistan und sie wird schwerer und schwerer.“ Die Filmaufnahmen zeigen das zerstörte Grosny, wo nur ältere Menschen durch den Matsch waten und brutale Säuberungen, denen die Jungen zum Opfer fallen. Das Besondere an dem Film ist, dass er seine Protagonisten über Jahre begleitet und dass es den Filmemachern gelungen ist, erschütternd offene Gespräche mit den Familien zu führen. Es sind keine intellektuellen Familien, für sie ist es normal, dass ein junger Mann zur Armee geht. Meist spielen materielle Notlagen mit hinein: die Armee verspricht viel Geld, wenn man nach Tschetschenien geht. Widerstand erschöpft sich in hilflosen Beschuldigungen: „Sie waschen dort Geld und wir leiden hier.“ Das sagte die Mutter von Kiril. Ihr Sohn hatte sie nicht einmal mehr erkannt, als er aus dreimonatiger tschetschenischer Gefangenschaft heimkehrte. Zwei Jahre später saß er im Gefängnis: Einbruch und Vergewaltigung. Kirils Mutter starb kurz nach der Urteilsverkündung. Mittlerweile gebe es erste Ansätze, den Einsatz in Tschetschenien oder den Kriegsdienst insgesamt zu verweigern, erzählte Tamara Trampe. Doch bei einer Vorführung des Filmes in Moskau, an der die Filmemacher aufgrund der politischen Verhältnisse lieber nicht teilgenommen haben, lehnte ein Teil des Publikums die Dokumentation komplett ab. Es gab jedoch auch Stimmen, die froh waren, dass endlich über das Thema berichtet wurde und den Film als Anstoß sahen, selbst aktiv zu werden. In Deutschland wird der Präsident, der den Krieg zu verantworten hat, freundlich empfangen: „Ich sehe in Deutschland niemanden, der aufsteht und schreit, niemanden,“ sagte Tamara Trampe.Dagmar Schnürer

Dagmar Schnürer

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