Kaum hat er den „Tatort Potsdam“ betreten, schon beginnt er in seiner satirischen Spätschicht eine kurzatmige Jagd auf politische und gesellschaftliche Missetäter. „Ich bin hier der Schichtleiter und Sie sind die Unterschicht“, sagt Martin Buchholz und schaut auf das „soziale Elend“, das sich am Sonntag im Kabarett Obelisk reichlich zu seinen Füßen versammelt hat. „Sie lachen der demografischen Katastrophe Hohn“, setzt er nach, und registriert, dass ihn, wie bei den „Wühlmäusen“, immer mehr dritte Zähne angrinsen.
Der scharfzüngige Linksdenker schlägt Bögen, schaut wachsam nach rechts, verteilt starke Geraden: mitten hinein in die Riege der Koalitionäre. Auf Ulla, dem Mensch gewordenen Lachsack, auf die alte Werte neu beschwörende von der Leyen, die sich mit ihren sieben eigengezüchteten Kindern ins Guiness-Buch der Rekorde hineingebärt hat. Oder auf die unheilige Dreifaltigkeit Stoiber, Koch und Wulf. Sollte eine Oper „Angela“ die Köpfe von den Dreien rollen lassen, würde es ihn vielleicht doch noch zum Glauben bekehren. Doch solange das nicht geschieht, wird er getreu seines Programm-Mottos „Dialeckt mich am Patriarsch“ weiter argusäugig auf die von SPD und CDU sich mehrenden Reformhaufen schauen: „Die Kakophonie ist schwer am Dampfen“.
Nein, Martin Buchholz zieht sich nicht aus, pinkelt auch nicht auf das Kabarettbrettl – „was sonst auf avantgardistischen Bühnen passiert“ – er überzeugt recht hemdsärmlig mit einem Striptease der Worte. Da gibt es ganz unaufgeregte Kalauer: „Berlin ist pleite wie Kalkutta, doch Wowi bleibt die Landesmutter“, mit dem Nachsatz: „Die ganze Stadt steckt in Schwulitäten, das finde ich gar nicht so sexy.“ Doch Buchholz geht weiter, seziert die Worte, findet neue Zugänge, hebt lateinische Ursprünge, labt sich an Sinn-Verdrehungen. Und dabei ertappt er eben die Politiker immer wieder, wie sie Phrasen dreschen, die ihm am Ar... vorbei gehen.
Wie das Gedöns nach alten Werten, heim ins Reich der Familie. Zurück in den Mief der 50er. Auch Eva Herman gibt eine treffliche Steilvorlage, sie zeige, wie gefährlich es ist, wenn die Gebärmutter ins Hirn wuchere. „Die ordentliche Stammbuchführung hat’s offenbart: Jede Frau wirft statistisch 1,3 Kinder ab, aber jedes dritte ist nur teutonisch. Die Ossin bringt durchschnittlich 0,7 Kind zur Welt, will aber für diese Mangelware hundert Prozent Kindergeld.“ Die Deutschen sterben aus, aber es gehe eben zu langsam.
Und Buchholz erinnert an Merkels Aufforderung, kein Gammelfleisch liegen zu lassen. „Das wurde in der Charité offensichtlich falsch verstanden.“ Gern schippert der Berliner mit der kratzigen Stimme und der wiederkehrenden Hände -vors -Gesicht-Geste an der Grenze des guten Geschmacks, ohne aber den schnellen Schenkelklopfer zu bedienen. Er macht den masochistisch veranlagten Ossis den Wessi, schaut sich in Meck-Pomm um, wofür ihm das rechte Verständnis fehlt. Sein Blick schweift ebenso ins flachbrüstige Hessen, das seinen Roland immer noch nicht losgeworden ist. In seinem Rundumschlag zieht es ihn auch an den Hindukusch, wo es die deutsche Leitkultur zu verteidigen gilt. „Wenn die Afghanen ihre Schädel überall herumliegen lassen, müssen unsere Totenkopf-Kommandos ran und für Ordnung und Sauberkeit sorgen. Und keiner soll sagen, unsere Soldaten sind blöde.“ Für solche Einsätze brauche man die Unterschicht. Nicht uneitel zitiert er eine Kritik, die ihn als Dinosaurier der politischen Satire lobt. Noch wirkt er sehr frisch, weiß als Geschichtenerzähler Fäden zu spinnen, die ihn von der Deutschen Oper bis an den See Genezareth führen, wo Jesus, Mohammed und Moses altersweise auf ihre Jünger schauen. So wie Buchholz auf die „Unterschicht“ in Potsdam, die ihn herzlich feiert. Heidi Jäger
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