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Kultur: „Zerstört – Entführt – Verschollen“

Der erste Verlustkatalog der Preußischen Schlösserstiftung dokumentiert 3000 vermisste Gemälde

Der erste Verlustkatalog der Preußischen Schlösserstiftung dokumentiert 3000 vermisste Gemälde Es ist ein dicker schwerer Wälzer, den die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg (SPSG) gestern mit einem lachenden und einem weinenden Auge der Presse vorstellte. Zum einen seien mit dem Buch „Zerstört – Entführt – Verschollen“ jahrzehntelange wissenschaftliche Recherchen abgeschlossen worden, zum anderen sei es deprimierend, was als Ergebnis herausgekommen ist, so Stiftungschef Prof. Hartmut Dorgerloh. In dem ersten Verlustkatalog der Stiftung, der sich allein den Gemälden widmet, sind 3000 verschollene Werke aufgeführt und damit 50 Prozent des Vorkriegsbestandes der Schlösser. Von diesen 3000 vermissten Bildern vermutet Gerd Bartoschek, Kustos der Gemäldesammlung, ein Drittel allein in Russland. Für ihn habe eine fundierte Arbeit eigentlich erst mit der Wende begonnen, als sich der Stahlschrank der Generaldirektion öffnete. „Brisante Protokolle, die den Abtransport durch die Rote Armee festhielten, sind zum Vorschein gekommen. Sie waren der Bearbeitung entzogen worden, da sie das Ausmaß mitgenommener Bilder aufzeigten. 1958 bekamen wir 500 Gemälde zurück, abtransportiert wurde ein Mehrfaches.“ Im Vorwort zu dem Katalog beschreibt Schlösserdirektor Dr. Burkhardt Göres noch einmal sehr eindrücklich das Vorgehen der Siegermacht. Gingen die Kultur-„Natschalniks“ noch mit gewissem Respekt an die Trophäen-Auslese, ließen andere Soldaten einfach ihr Auge sprechen und rissen sich vor allem die unbekleideten Damen unter den Nagel. Das war zwar verboten, aber man bediente sich dennoch nach Gutdünken. Auf diesem Wege verschwanden die „Geburt der Venus“ von Rubens und auch das kürzlich in Privatbesitz in Moskau aufgetauchte Frühwerk von Rubens „Tarquinius und Lukretia“ sowie sämtliche anderen Venus-Darstellungen aus der Bildergalerie von Sanssouci. Nach 1945 gelangten die meisten abtransportierten Kunstwerke zunächst in russische Magazine, danach wurden Museen in der ganzen Sowjetunion damit bestückt: von Aserbaidschan bis in die Ukraine, wusste Wolfgang Maurius vom Bundeskulturministerium im Schloss Charlottenburg zu berichten. „Nach der Wende wurde die russischen Seite offener, und es wurde ein Vertrag abgeschlossen, der beide Staaten verpflichtete, alles zurückzugeben. Kommissionen listeten auf, was dem anderen verloren ging.“ Doch dann sei 1994 etwas Emotionales geschehen: „Die Russen erinnerten sich daran, was deutsche Truppen alles in ihrem Land zerstört hatten, und was sie nie wieder zurück bekommen. Als Kompensation dafür wollten sie fortan das deutsche Kunstgut behalten. Es trat dann später das Beutekunstgesetz in Kraft. Auf Grundlage dieses umstrittenen Gesetzes werden während des zweiten Weltkrieges in die Sowjetunion verbrachte Kunstgegenstände Eigentum Russlands. Außer Familienandenken müsse nun nichts mehr zurück gegeben werden, so Maurus. Es dürfte nicht nur für die Nachlassverwalter preußischer Schätze ein beklemmendes Gefühl sein, wenn sie auf der kürzlich angelegten Internetseite des Moskauer Puschkin-Museums nachlesen müssen, dass 98 der dort genannten Gemälde aus den preußischen Schlössern stammen. Doch der Verlustkatalog beschränke sich nicht nur auf die Beutekunst, immerhin seien zwei Drittel der aufgeführten Werke außerhalb Russlands zu suchen, gab Prof. Dorgerloh zu bedenken, der damit auch die Hoffnung verbindet, zahlreiche vermisste Kunstwerke wieder in Empfang nehmen zu können. „Eine Neuauflage des Kataloges sollte merklich dünner ausfallen“, so seine Hoffnung. Immerhin sei es schon jetzt vielfach passiert, dass etwas zurückgegeben wurde. „1975 erhielt die Berliner Schlösserverwaltung ein anonymes Paket mit einer Paris-Ansicht von Eduard Gaertner.“ Mitunter sei es aber auch schwierig, gegen private Begehrlichkeiten vorzugehen. Gerd Bartoschek, der sich seit Jahrzehnten den Odysseen der Kunstwerke verschrieben hat, sah sich vor allem mit dem Problem konfrontiert, dass der Generalkatalog in den Kriegswirren weitgehend vernichtet wurde. Somit musste er auf die einzelnen Inventarverzeichnisse der Schlösser zurückgreifen, doch auch da klaffen Lücken. „Vom Schloss Königs Wusterhausen gibt es zum Beispiel keinerlei Unterlagen mehr: keine Fotos, keine Inventarliste. Da stößt man dann an einem Punkt, wo man einfach nicht weiter kommt.“ Dennoch gelang ihm dank größten Spürsinns ein beachtlicher Wissensspeicher, der die Glanzzeiten Preußens herauf beschwört. „Jedes verschwundene Kunstwerk reißt eine Lücke. Insofern geht es im Katalog auch nicht nur um Spitzenwerke. Jedes Werk ist als Mosaikstein wichtig“, betonte Prof. Dorgerloh. Die Verluste bei den Schlössern seien besonders schmerzlich, da ihr Wert erst aus dem Zusammenklang von Gebäude und Einrichtung richtig zu ermessen sei. Im Schloss Babelsberg und im Flatowturm gingen sogar über 80 Prozent der rund 300 Bilder umfassenden Gemäldeausstattung verloren. Wie die brandenburgische Kulturministerin Prof. Johanna Wanka sagte, seien es insgesamt etwa eine Million Museumsobjekte sowie 4,6 Millionen Bücher und Archivalien aus deutschen Sammlungen, die vermisst oder verschollen sind, aber nachweislich den Zweiten Weltkrieg überlebten. Auch in den preußischen Schlössern und Gärten fehlen Zehntausende Kunstwerke: Skulpturen, Porzellane, Möbel, Musikinstrumente, Uhren, Silber, Grafiken So wird es die Schlösserstiftung auch nicht bei dem einen Verlust-Katalog belassen. Heidi Jäger „Zerstört – Entführt – Verschollen. Die Verluste der preußischen Schlösser im Zweiten Weltkrieg“. Gemälde I, erhältlich in allen Museumsshops der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, 49 €.

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