Kultur: Zügelloser Zyniker
Premierenjubel für Mozarts „Don Giovanni“ im Schlosstheater im Neuen Palais
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Premierenjubel für Mozarts „Don Giovanni“ im Schlosstheater im Neuen Palais Von Peter Buske Über ihn gehen die Meinungen kaum auseinander. Er ist ein Lustmensch, wie er im Buche (von Lorenzo da Ponte) und in den Noten von Wolfgang Amadeus Mozart steht. Dieser Don Giovanni, Titelheld einer der meist gespielten Opern des österreichischen Komponisten, geht tatsächlich über Leichen (die des Commendatore), um in sportlichem Jagdeifer an seine Ziele zu gelangen. Hat er dabei moralische Skrupel? Keineswegs. Exzessiv lebt er seine unersättliche Liebesleidenschaft aus. Hundert Liebesaffären habe er in Frankreich gehabt, neunzig in Persien; in Deutschland seien 230 seinem Charme erlegen, in Spanien dagegen 1003. Steht jedenfalls in dem von Giovannis Diener Leporello akribisch geführten Register. Die köstlichste Milch Dass die beiden in ihrem maßlosen Sexbegehren, in gemeinschaftlicher Überheblichkeit und blankem Zynismus einander sehr ähnlich sind, gehört zu den mannigfaltigen Vorzüglichkeiten der sich heutigem Zeitgeist anbiedernden Inszenierung von Ralf-Günter Krolkiewicz, mit der der scheidende Intendant des Hans Otto Theaters seine Mozart-Trilogie im Schlosstheater im Neuen Palais komplettiert. Die Premiere gestaltet sich zum anhaltend bejubelten und bravogespickten Potsdamer Ereignis. Angesichts dessen vermag sich der Opernfreund kaum vorzustellen, dass dies möglicherweise die letzte musiktheatralische HOT-Produktion an dieser einzigartigen Spielstätte gewesen sein könnte. Sollen all die operalen Erfolge vom Barock bis zur Wiener Klassik vorbei sein? Welcher vernünftig und ökonomisch denkende Landwirt schlachtet eigentlich jene Kuh, die die köstlichste Milch gibt? Gesungen wird in dieser Gemeinschaftsproduktion mit dem Brandenburger Theater natürlich in Italienisch. Zurück zu den beiden Protagonisten und der inszenatorischen Sichtweise auf sie. Da agieren keine abgetakelten Vertreter der Generation 50 plus, die es noch einmal wissen wollen, sondern höchst stramme Mannsbilder voller Saft und Kraft. In der ähnlichen Figurenanlage liegt allerdings auch die Gefahr, dass dem „Don Giovanni“ ein Stück Mozart/da Pontescher Sozialkritik an der Feudalherrschaft des Josephinischen Österreichs verloren geht. Da Leporello ähnlich wie sein Herr ist, ebnet sich der konflikthafte Kontrast von Aristokrat und dem des niederen Standes entstammenden Diener leider ein. Ist Zerlina noch Bäuerin oder ein sozial aufstiegsgeiles Partygirl, von denen es in dieser Aufführung nur so wimmelt? Schließlich holt der Regisseur das „verstaubte“ Dramma giocosa in die Gegenwart, die von coolen Typen einer maßlosen Spaßgesellschaft nur so wimmelt (Neuer Kammerchor Potsdam / Einstudierung: Ud Joffe). Zu Menuettklängen (Heirat von Zerlina und Masetto) wird sich im Discosound gruppendynamisch verrenkt (choreografische Mitarbeit: Marita Erxleben), auch wenn es zur Musik passt wie die Faust aufs Auge. Auf der anderen Seite stehen mit Donna Anna und ihrem Verlobten Don Ottavio zwei Bewahrer des Establishments. Zwischen diese Fronten gerät die von Giovanni betrogene und verlassene Donna Elvira, die nicht vom Verführer lassen kann und ihn in sadomasochistischer Intensität wieder für sich gewinnen will. Judith Kuhn bewältigt die stimmlichen und gestalterischen Herausforderungen der Rolle mit jugendlich-dramatischer Sopranbravour. Natürlich singt sie in dieser Potsdamer Aufführung, einer Mischung aus Prager Uraufführung (1787) und Wiener Fassung (1788), ihre Szene „Mi tradi quell''alma ingrata“ (Mich verriet der Undankbare) mit Aplomb, zerrissen in ihren Gefühlen, den purpurnen Mantel Giovannis an ihren Körper pressend als sei er jener. Giovanni gestaltet Raimund Nolte sehr überzeugend als einen zügellosen, zynischen Fies- und Wüstling, pendelnd zwischen plebejischem Grande und erotisierendem Süßholzraspler. Kein Wunder, dass ihm die Damenwelt zu Füßen liegt. Selber schuld, möchte man ihnen zurufen, und: Hände weg von dem. Doch er sieht nicht nur sexy aus, sondern kann auch ebenso singen. Allerdings geht ihm das baritonlyrische Schmachten ein wenig ab. Nicht weniger gestaltungsintensiv legt Björn Larsson (Bass) seinen Leporello an: ein schlaksiger Zweitcasanova in Springerstiefeln, der seinen Unterleib oftmals in Zuckungen bringt und den Weibern sehr direkt an die Wäsche geht. Er wirkt trotz allem sympathisch, weil er – anders als Raimund Nolte – den Charakter Leporellos zu differenzieren versteht. Seine Registerarie singt er eher verhalten, und auch sonst drückt er nicht vordergründig auf die Buffotube. Erfreulich jung zeigt sich die weitere Personage. Sarah Buder vermag der pagenkopffrisierten Zerlina allen stimmlichen Soubrettenschmelz mit auf den Weg zu geben, während ihr Liebhaber Masetto in Timm de Jong einen stimmlich noch unfertigen Baritoneleven an ihrer Seite hat. Als Donna Anna erscheint die ausstrahlungsschwache Lyrikerin Yong Jiang stimmlich etwas überfordert, die sich mit Macht die Hochburg des dramatischen Soprans erobern will. Ihr zur Seite Lothar Odinius als höhenleichter, kraftvoll auftrumpfender, zuweilen jedoch glanzloser und unsauber singender Don Ottavio, der seine beiden Arienhits solide abliefert. Leicht verhoben Die auf Äußerlichkeiten setzende, zwischen Aktionismus und hölzernem Gehabe nebst Rampensingen pendelnde, die Bühnenlicht-Verhältnisse der nicht unwichtigen 24-Stunden-Dramaturgie des Geschehens total außer Acht lassende Regie klügelt sich für den Commendatore (bassgewaltig: Yue Liu) eine merkwürdige Auffassung aus. In der stilisierten, von seitlich gestaffelten Versatzstücken bestimmten Einheitsszene (Marianne Hollenstein) wird er erstens kindisch gemeuchelt, marschiert er zweitens im steingrauen Anzug (Kostüme: Marion Hauer) auf dem Friedhof herum, um drittens mit Giovanni am Tisch Karten zu spielen, ehe dieser von Sexgirls bis auf dem Slip entkleidet und abgeschleppt wird. Diesem Finale, bei dem die Darsteller schließlich aus dem Stück aussteigen und die Moral per Blatt auf Notenständer (wie ulkig) vortragen, fehlt alles Bedrohliche und Dämonische. Davon versucht das musikalische Engagement der Kammerakademie Potsdam unter Leitung von Andreas Spering einiges zu retten. Sie spielt einen schlanken Mozart, erzeugt geschärfte, straff artikulierte und vibratoarme Klänge, geht zügig zur Sache, phrasiert genau. Und kann sich doch nicht auf einen unerlässlichen Mozartklang einigen, der von Anfang an zu fesseln verstünde. Beim Versuch, den vielschichtigen „Don Giovanni“ zu stemmen, hat man sich auch diesmal wieder leicht verhoben. Nächste Aufführungen: Am 10. und 11. April, 19 Uhr, in italienischer Sprache, Schlosstheater im Neuen Palais.
Peter Buske
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