zum Hauptinhalt

Kultur: Zurücklassen, um Neues zu wagen

Patrick Scully verließ Minneapolis und arbeitet nun in der fabrik Potsdam – ein Forschungszentrum im Visier

Stand:

Patrick Scully verließ Minneapolis und arbeitet nun in der fabrik Potsdam – ein Forschungszentrum im Visier Von Heidi Jäger Zwölf Jahre sind es her, als Patrick Scully das erste Mal in der Potsdamer fabrik gastierte. Eine Begegnung, die sich tief in die Erinnerung eingrub. Der Tänzer aus Minneapolis brachte damals ein bewegendes Trauerstück über verlorene Freunde auf die Bühne. Es war die Zeit, in der er sich als öffentlicher Schwuler und politisch bewusster Künstler sehr mit dem in den USA verpönten Thema Homosexualität und Aids auseinander setzte. Selbst HIV positiv wollte er zeigen, dass man trotz Infizierung gesund sein und ein erfülltes Leben führen kann. Mut zur Veränderung Patrick Scully gibt in seinen Tanzgeschichten immer auch ein Stück seiner eigenen Biografie preis. Derzeit ist das Agieren auf der Bühne allerdings in den Hintergrund getreten. „Ich schreibe viel und glaube, dass neue Stücke, die kommen werden, noch in einer unbewussten Arbeitsphase sind. Ich genehmige mir die Zeit dafür.“ Wenn er über die vergangenen zehn Jahre nachdenkt, war es vor allem der Tod der Eltern, der ihn bewegte. „Aber auch, dass ich aus meinem Land ausgewandert und im Sommer vergangenen Jahres hier in Potsdam angekommen bin. Ich habe den Mut gefunden, eine große Wende zu machen.“ Als Patrick Scully im vergangenen Jahr bei den Internationalen Tanztagen in Potsdam gastierte, erhielt er das Angebot, das fabrik-Team organisatorisch zu stärken. Er zögerte nicht lange, denn er war ohnehin auf der Suche nach neuen Herausforderungen. „Zudem hatte ich mich in einen Brasilianer verliebt, dem es nicht gelang, in die USA einzureisen. Also entschlossen wir uns, in Deutschland zusammen zu sein. So wie mein Ururgroßvater vor 150 Jahren aus Deutschland in die USA einwanderte, zog es mich jetzt zur Wiege meiner Familie zurück.“ Das Wichtigste, was er in die fabrik einbringen könne, sei die Perspektive von außen. „Ich habe ähnliche Erfahrungen als Theaterleiter gemacht wie das fabrik-Team. Doch meine Frage hier lautet: Was wollt ihr in zehn Jahren? Um neue Horizonte auszumachen, muss man sich schon heute darum kümmern.“ Und Patrick Scully brachte die Idee eines Forschungszentrums für zeitgenössischen Tanz ein. „Wir haben in der fabrik eine Bühne, Studios, ein Festival, Workshops, viele Beziehungen. Pfunde, mit denen man wuchern muss und die gerade deshalb nach Neuem rufen. Es gibt viele Fragen, die man stellen und erforschen sollte. Zum Beispiel, welche Rolle der Tanz künftig im Jugendtheater spielen könnte. Ich möchte den Raum schaffen, in dem die Fantasie der anderen sprießen kann. Durch meine Erlebnisse ist mir klar geworden, dass eine zukunftsgreifende Planung sehr entscheidend ist. Mir ist es auch persönlich wichtig, immer zu fragen, was mache ich weiter. Und es sollte nicht nur das sein, was mir bereits bekannt ist.“ Wichtig in der heutigen Welt sei es, nicht nur auf Angst zu reagieren und nicht das Wohlsein auf Sicherheit zu begrenzen: „Es gibt keine Sicherheit. Sicherheit ist nur ein Gefühl. Mir macht es zum Beispiel große Freude, Sachen zu schaffen, die noch nicht existieren, ob es ein neues Stück ist oder eben ein Forschungszentrum für Tanz.“ „Sturmfreie Bude“ Im Moment beschäftigt sich der Künstler und Germanist aber zuvorderst mit der „Sturmfreien Bude“, zu der ab kommenden Wochenende die fabrik erklärt wird. Während die fabrik Company auf Reisen ist, können sich Choreografen aus aller Welt in der Schiffbauergasse tummeln - ganz ohne Eingriff eines Kurators. Dieses demokratische Prinzip regierte auch auf Patricks Bühne in Minneapolis. Angefangen hat alles ganz klein und mehr aus Zufall. „Um mich als Tänzer zu finanzieren, gab ich nebenbei immer Unterricht an einer armen katholischen Grundschule, die aber sehr fortschrittlich war. Sie hatte kein Geld, mich zu bezahlen und ich hatte kein Geld für einen Probenraum. Also stellten sie mir ihre Turnhalle zur Verfügung und ich ihnen meinen Unterricht.“ Dann kam die Idee, diesen Raum für eine informelle Show zu nutzen. Patrick Scully hatte dafür zwar einige Stücke parat, konnte aber nicht den ganzen Abend damit füllen. „Also holte ich mir Freunde dazu – Künstler verschiedenster Couleur, denn ich mag es, wenn auf ein experimentelles Wagnis ein Cellokonzert folgt. Der Zulauf und die Begeisterung waren groß, und am Ende stand die Frage: Wann machst du das wieder?“ Schließlich funktionierte Patrick Scully seine 270 Quadratmeter große Wohnung um: Jahrelang räumte er an den Wochenenden seine Möbel beiseite, um Platz für Kunst und Besucher zu schaffen. „Jeder, der Lust hatte, durfte auftreten, ob Tänzer, Wortakrobat oder Komödiant. Ich vermied es, den Richter zwischen Künstler und Publikum zu spielen. Sonst wäre immer ein Filter dabei gewesen. Ich glaube aber, man erreicht mehr, wenn die Künstler selbst die Verantwortung tragen. Das einzige Kriterium, was ich vorgab, war die Zeit. Dennoch gab es eine sehr lange Warteschleife.“ Schließlich bekam Patrick im gleichen Haus eine andere Wohnung, und somit war die Bühne des öfteren verfügbar. Zehn Jahre dauerte dieses quicklebendige Spiel auf Zeit. Dann kamen die Behörden dahinter. „Wir hatten keine Lizenz, und um eine Betriebsgenehmigung zu bekommen, hätte alles umgebaut werden müssen, einschließlich Notausgänge und Toiletten. Fortan zogen wir als Nomaden durch die Stadt, spielten mal hier, mal dort.“ Dennoch wühlten sie sich, die Hoffnung nicht verlierend, durch die Berge der Bürokratie, wollten an ihr Haus festhalten. „Ich fühlte mich an manch russischen Roman erinnert. Schließlich durften wir tatsächlich zurück kehren, aber nicht unter dem Namen Theater, sondern als Vereinshaus – mit der Begrenzung auf 50 Zuschauern.“ In Sammlung des Schwulenarchivs Um diesen Rahmen zu sprengen, hätten sie das Haus kaufen und in ihrem Sinne umbauen müssen, „was wir durch Spenden auch fast geschafft hätten. Denn - wundersame Zufälle – eines Abends saß eine Frau in der Vorstellung und bot mir ihre finanzielle Hilfe an. Sie war eine ehemalige Taxifahrerin und hatte einen reichen Mann geheiratet. Aber das Geld hatte sie nicht glücklich gemacht. Deshalb wollte sie ihren Kindern zeigen, dass man sein Geld auch abgeben sollte. Bei mir wollte sie damit anfangen.“ Patrick fühlte sich wie ein Sieger im Lotto, ohne je einen Lottoschein gehabt zu haben. Das Geld war nun da, doch plötzlich machte der Besitzer des geliebten Hauses einen Rückzug. Patrick Scully musste sich nach einem neuen Refugium umsehen und verliebte sich in die alte Feuerwache seiner Stadt. Der Kauf sollte indes eine Viertel Millionen Dollar kosten. Und tatsächlich zog die reiche Mäzenin auch da mit, sie hatte sich ebenfalls schon lange in die Feuerwache verguckt. „Sofort bauten wir eine super Tanzfläche ein und noch während der Sanierung fanden die ersten Gastspiele statt. Nach drei Jahren wurde mir indes klar, hier bist du fertig. Ich hatte alles gelernt, was ich lernen sollte. Jetzt musste etwas anderes kommen.“ Also übergab er die Federführung an einen Vereinskollegen. Das war im Oktober 2001. „Ich bin weggegangen, ohne zu wissen, was kommt. Gerade dieses Abschied nehmen ist wichtig, um für Neues offen zu sein.“ Er entwickelte wieder Stücke, schob Projekte an und mitten in der persönlichen Zäsur, wurde ihm auch von außen ein Nachsinnen über seine bisherige Arbeit angetragen. Das Schwulen-Archiv an der Universitätsbibliothek in Minnesota wollte, dass ich alle meine Dokumente dem Archiv überlasse: meine künstlerischen und persönlichen, denn es ist schwierig zu trennen, was ist Patrick und was ist sein Theater. Also sortierte und beschriftete ich Tausende von Fotos, stellte fest, dass ich schon manches geschafft habe. Das Weggeben fand ich nicht schwierig, nun muss ich es nicht mehr aufbewahren und mich auch bei einem Umzug nicht damit belasten. Das Zurückschauen war auch ein Aufbruch.“ Manchmal überfällt Patrick – nunmehr Berlin-Potsdam-Pendler – die Sehnsucht nach Hause, an den Riesenfreundes- und Kollegenkreis. „Es braucht Zeit, anzukommen. Ich weiß noch nicht, wie lange ich bleibe.“ Aber noch gibt es für ihn in Potsdam die Freude, Sachen zu schaffen, die noch nicht existieren. Und solange wird es ihn sicher auch halten. Auch das Thema Aids liege ihm nach wie vor am Herzen, und es sei ihm wichtig, dass Stimmen wie seine, nicht vergessen werden. „Aber es müssen neue dazu kommen, aus Russland oder Südafrika. Wir aus der ersten Welt können uns gute, wirksame Medikamente leisten. Ich selbst nehme zwei Mal täglich meinen ,Cocktail’ und fühle mich gesund. Aber was nützt das jemanden in Indien, der diese Medikamente nicht bezahlen kann. Insofern ist es noch mein Thema.“ Patrick Scully will Motor sein, Neues anschieben. Jetzt konzentriert er sich auf die fabrik, auf die „Sturmfreie Bude“ ebenso wie auf das Forschungszentrum – die Ziele von morgen nicht aus dem Auge lassend. Dennoch fühlt er sich als Gast. „Minneapolis war eine Stadt mit festen Regeln. Aber als Einheimischer ist es einfacher, Regeln zu brechen. Das war dort meine Rolle. Als Gast eines Landes ist man vorsichtiger.“ Dennoch wird sich Patrick Scully durch diese Vorsicht sicher nicht allzu sehr eingrenzen lassen. Dazu scheint seine Neugier aufs Leben zu groß.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })