Kultur: Zwischen Knoblauch und Banja
Der Potsdamer Maler Wolfgang Liebert stellt im Museum Alexandrowka seine Russland-Bilder aus
Stand:
Die Ferne ist so nah. Besonders in Potsdam. Wer zur Alexandrowka spaziert, fühlt sich plötzlich nach Russland verschlagen. Noch immer vermeint man, die Akkorde der eingewanderten Sänger zu vernehmen, die einst in diesen Holzhäusern lebten. Die stimmungsvolle Malerei von Wolfgang Liebert fühlt sich im Gleichklang mit dieser viel beschriebenen russischen Seele. Die 30 Pastelle und Ölbilder, die der Potsdamer Künstler derzeit im Museum Alexandrowka ausstellt, atmen zufriedene Beschaulichkeit, die Idylle in der Unvollkommenheit. Auf seinen Reisen durch das Land von Tolstoi und Dostojewski, die er in den 70er und 80er Jahren unternahm, suchte der 1944 geborene Maler das Verborgene: eine Ahnung vom Miteinander in der einfachen, dörflichen Lebenswelt. Obwohl menschenleer, ahnt man, was sich hinter den schrägen Bretterwänden der Datschen und Hütten zugetragen haben könnte. Die saftig dicken Knoblauchknollen auf dem Fensterbrett erzählen von der Eigenversorgung aus dem Garten, die selbstgebauten Antenne auf dem Dach vom Talent des Improvisierens, die aufgestapelten Holzscheite vom Schwitzen in der Banja.
Die windschiefen Behausungen scheinen förmlich aus dem Wald herauszuwachsen. Kaum Himmel, dafür eine dichte grüne Kuppel. Liebert malte seine Pastelle auf Velourpapier und tauchte sie damit in eine samtige Wärme. Das Licht verfängt sich spielerisch im Dickicht. Gern verweilt man in diesem Karelien, das beim Blick aus dem Museumsfenster auch vor der Haustür liegen könnte.
Im zweiten Raum der kleinen Ausstellung wird das ruhige Verweilen in den Bildern etwas aufgeschreckt. Zu dicht hängen die Werke, die neben der dörflichen Abgeschiedenheit auch das städtische Leben reflektieren. Unter einer Dunstglocke liegt St. Petersburg, riesige Schornsteinschlote ragen wie Zeigefinger in die Höhe. Tolstois Apfelgarten zeigt seinen bizarren Charme noch unter Schnee, lässt aber den Frühling erahnen. Der Blick hinaus auf die Apfelbäume der Alexandrowka gibt indes bereits eine weiße Blütenpracht preis. Es ist ein spannendes Schauspiel, mit den Augen zwischen Drinnen und Draußen zu flanieren.
„Wir nehmen in unseren Wechselausstellungen gern Bezug zur Kolonie und zu Russland“, sagt Museumsleiter Tim Esser. Er leistet sich den kleinen Luxus, alle Schauen mit eigenen Katalogen zu begleiten, die noch tiefer in die Bilderwelten eindringen lassen. Auch für die nächste Ausstellung liegt bereits einer vor: Nach der besinnlichen Atmosphäre, die Wolfgang Liebert herauf beschwört, warten ab 25. Mai die surreal-absurden Fantasien Michail Bulgakows auf den Betrachter. Sein berühmter Roman „Der Meister und Margarita“ wird in den Radierungen von Thomas Kateloe auf subtile Weise aufgeblättert und mit spitzem Stift interpretiert.
In eine recht schlüpfrige Geschichte wird der Besucher in den Sommermonaten verwickelt: Bei einem forschenden Blick in die Vergangenheit der Russischen Kolonie stieß Architekt Thomas Sander auf einen Brand um 1850 sowie auf ein dubioses Gerichtsverfahren. Zwei Soldaten aus Potsdam verführten in einem der Holzhäuser einen Mann in Frauenkleidern. Entrüstet angesichts dieser Täuschung gingen sie in Berlin vor Gericht und erreichten, dass „die falsche Schöne“ wegen Betrugs ins Gefängnis musste. Während der Abwesenheit kam es zum Brand im Haus des Inhaftierten. Die Ausstellung möchte das Leben dieses Transvestiten näher beleuchten und dabei auch das Innere eines Holzhauses der damaligen Zeit simulieren. Tim Esser ist bereits dabei, per Computervisualisierung das Interieur dreidimensional einzufangen. Auch der Mann in Frauenkleidern wird zu sehen sein: „allerdings mit der nötigen Unschärfe, denn es ist kein definierter Charakter überliefert.“
Vorerst geht es aber noch friedlich zu, bringt uns Wolfgang Liebert die Ferne nah, auch wenn die Zeitläufe inzwischen vielleicht ganz neue Töne angeschlagen haben.
Wolfgang Liebert, „Die Ferne so nah“, bis 23. Mai, Russische Kolonie 2, Di bis So von 10 bis 18 Uhr.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: