Potsdam-Mittelmark: Abschied nach einem halben Jahrhundert
1952 wurden acht junge Werderaner in Moskau hingerichtet – gestern wurden sie in Werder beigesetzt
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Werder (Havel) - „Rauskommen! Folgen, schnell schnell! Kopf herunter!“ – mit schmerzvollem Gesicht zitierte Sigurd Blümicke jene Worte, die seine Freunde kurz vor ihrem Tod gehört haben – auf Russisch. 56 Jahre ist es her, als in Moskau acht junge Menschen aus Werder zum Tode verurteilt und erschossen wurden. Ihre Namen sind jetzt an die Havel zurückgekehrt: Mit einer symbolischen Beisetzung auf dem Friedhof der Heilig-Geist-Kirche gedachten gestern Mitglieder damaliger Oppositionsgruppen, Angehörige und Freunde den acht Toten und mahnten einen kritischen Umgang mit der DDR-Geschichte an.
Johanna und Karl-Heinz Kuhfuß, Günther Nawrowcki, Wilhelm Schwarz, Joachim Trübe, Ingeborg Wolff, Heinz Unger, alle aus Werder, sowie Günter Beggerow aus Mecklenburg: acht junge Menschen, kaum älter als 20, die für ihr Freiheitsstreben mit dem Leben bezahlt haben. „Das Wort Widerstand haben wir nie benutzt“, erinnerte sich Blümcke. „Wir waren keine geschlossene Gruppe, keine Saboteure oder gar Terroristen. Statt dessen waren wir fröhlich, immer verliebt, und sehr sensibel.“ Mit kleinen Zetteln riefen sie zum Wahlboykott auf, forderten freie Wahlen, die Besinnung auf christliche Werte und die Abschaffung der Zonengrenze. In Potsdam wurden Plakate gegen den Abriss beschädigter historischer Gebäude wie dem Stadtschloss geklebt.
„Nach dem braunen Hemd der Hitlerjugend wollten wir uns nicht auch noch das blaue Hemd der FDJ überstreifen lassen“, sagte Blümckes Mitstreiter Werner Bork in seiner Ansprache. Dass man etwas Verbotenes getan habe, hätten die jungen Leute gewusst, „aber wir konnten ja nicht ahnen, wie unmenschlich die Justiz war“, so Sigurd Blümcke. In der DDR verhaftet und nach Moskau deportiert, wurden ihre acht Freunde 1952 hingerichtet. „Erschießung, Einäscherung – all das passierte immer nachts und hinter hohen Mauern.“ Die Angehörigen haben nie erfahren, was geschehen ist, konnten nur vermuten. „Die Toten sollten vergessen werden und wurden vergessen – bis 1997.“ Da fassten Blümcke und Bork den Entschluss, ihre Freunde zurück nach Werder zu holen. Im vergangenen Jahr entnahmen sie Erde aus dem Massengrab auf „Feld 3“ des Moskauer Donskoi Friedhofs und brachten sie nach Werder.
Zu den Rednern am Sonntag gehörte auch Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU), er zollte den Toten und den Überlebenden Anerkennung. „Diese Gruppe war kein intellektueller Zirkel, sie war auch nicht homogen.“ Der Widerstand sei aus der Mitte der Gesellschaft gekommen, und so dürfe auch das Gedenken daran nicht länger am Rande stehen. „Es gehört in die Schulen, ins Fernsehen und in die Gespräche innerhalb der Familie.“ Der Innenminister gab sich besorgt über das beschränkte Wissen heutiger Schüler über die damalige DDR und erschrocken über die Ergebnisse der jüngsten Forsa-Umfrage zur Deutschen Wiedervereinigung: Demnach hätten neun Prozent der Brandenburger gern die Mauer wieder.
Auch Werders Bürgermeister Werner Große (CDU) verurteilte solche Haltungen, die DDR dürfe nicht auf das Ampelmännchen reduziert werden. Werder habe jetzt seine Gedenkstätte – zur Erinnerung und Mahnung. Für Sigurd Blümicke ist mit der Beisetzung ein langes Kapitel endlich abgeschlossen: „Da schmorte immer noch etwas“, sagte er. Nun erfülle ihn Zufriedenheit. Thomas Lähns
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