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Von Gerold Paul: DDR: Ein Käfig voller Narren

Kitzinger Wanderausstellung zur ostdeutschen Karnevalsgeschichte im Kunstgeschoss Werder

Stand:

Werder (Havel) - Die DDR ist weder am Sozialismus noch an der Stasi krepiert, sondern an ihrer Humorlosigkeit. Von der Richtigkeit dieser These kann man sich derzeit in Werders Stadtgalerie überzeugen. Es war für die Veranstalter so verlockend wie naheliegend, eine in Kitzingen bei Würzburg konzipierte und nur in Westdeutschland gezeigte Wanderausstellung über das DDR-Narrenwesen exklusiv ins „Kunst-Geschoss“ zu holen, zumal der Werderaner KCW sein fünfzigstes Jubiläum vorbereitet.

Hier an der Havel organisierte witzigerweise ein katholischer Pfarrer den ersten Rosenmontagsball im heutigen Inselhotel. So ganz geheuer war dieses Treiben den Oberen damals nicht, man tat es mit „Resten bürgerlicher Dekadenz“ ab, ignorierte es, oder verbot die Gründung eines Karneval-Vereins, wie 1955 in Wismar. Damals hätte ein „Flüsterwitz“ dieses Kalibers fast noch den Kopf kosten können: „Was ist der Unterschied zwischen der DDR und einem Kulturhaus? Im Kulturhaus sind die Fluchtwege ausgeschildert “ Solche Bonmots hält die Ausstellung dutzendfach bereit, wie flüchtige Botschaften an alle Wände gepinnt. Inhaltlich geht es um sieben Schwerpunkte. Sie betreffen Berührungspunkte des Karnevals mit dem Brauchtum „in den Landschaften der DDR“, seine Stellung zur Staatsideologie und sozialistischer Gesellschaft, zu Stasi und Planwirtschaft, zu sich selbst.

Eigentlich, sagte Hans Schubert vom Berlin-Brandenburgischen Karnevalsverband zur Eröffnung am Donnerstagabend, sei der Karneval als Bewegung „von unten“ entstanden. „Ohne Genehmigung“. Als die Behörden die zahlenmäßig rasch anwachsenden Kongregationen nicht länger ignorieren konnten, versuchte man, sie zu kanalisieren. Nach dem Krieg hatten zuerst Gastwirte und Mittelständler ein nachvollziehbares Bedürfnis an einer „Förderung von Geselligkeit“, nach 1953 rückte „das Interesse am Brauchtum“ in den Vordergrund, staatliche und betriebliche Kulturhäuser und Dorfklubs kümmerten sich bis 1970 um Neugründungen. Später sollen nicht nur „private Interessengruppen“ entstanden sein, auch Funktionäre und Parteigruppen packte der Kollege Karneval. Mitte 1988 gab es 1322 registrierte Klubs mit siebzigtausend eingetragenen Mitgliedern – ein Schalk, wer die DDR einen „Käfig voller Narren“ nennen mochte!

Ihr Beitrag zur Alltagskultur war kolossal: Über 6,5 Millionen Besucher auf 120 000 Veranstaltungen! Eine Gratwanderung, wie die Autoren des gleichnamigen Buches („Fasching, Fastnacht, Karneval in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik“) zur Ausstellung befinden. Allzu lockeren Zungen konnte schon mal Parteiausschluss, Berufsverbot oder private Behinderung drohen.

Loyalität verlangt ja jedes System. Andererseits nahm sich „der Staat“ dieser Massenbewegung auch materiell an: Nachdem die Klubs zur Volkskunst erhoben wurden, hatten ihre Trägerbetriebe Räume und Geld bereitzustellen. Staatliche Stellen ermöglichten ihnen durch „Einstufungen“ sogar Einnahmen für ihre Veranstaltungstätigkeit. Nicht schlecht, räumte auch Hans Schubert ein. Die inhaltliche Seite war ohnehin ein Katz-und-Maus-Spiel mit der Macht, echte Volks-Kunst! In den Achtzigern hatte keiner mehr etwas ob des folgenden Witzes zu fürchten: „Der Kapitalismus ist die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. Im Sozialismus ist alles genau umgekehrt.“ Mit solchem Narren ist die Obrigkeit nicht mehr fertig geworden!

Die Ausstellung wurde als Rundgang gestaltet. Neben übermannshohen Schau- und Lesetafeln zu den Schwerpunkten findet man überall Puppen in traditionellen Kostümen der Umgebung, die von Leegebruch via Brandenburg bis nach Cottbus reicht. Fahnen, alles mögliche Utensil ist zu sehen, die Klubs generierten zu ihrer Versorgung bald eine eigene Kleinindustrie: ein Hersteller produzierte Bierdeckel und Klub-Embleme, fünf im Lande Mützen und Kappen, zwei hatten sich auf Orden, Abzeichen und Plaketten spezialisiert. Trotz manch gestelzter („die ehemalige DDR“) Formulierung wird man von der Fülle des Materials weitergetragen. Auch die Optik stimmt: Alles so bunt und schön, wie klug und witzig, ein idealer Ort zur Schlüsselübergabe am 11.11.!

Was kein „Ungelernter“ wissen kann: Die schärfsten Witze kamen von ganz weit oben: Was Kommunismus sei? Wenn jeder von allem genug hat! Werder ist die letzte Wanderung dieser Schau. Sie muss dann nach Kitzingen zurück, in die Motten-Kiste.

bis 14. November in der Stadtgalerie, Uferstr. 10, Do., Sa. und So. 13 - 18 Uhr

Gerold Paul

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