
© Archiv Kleinmachnow
Potsdam-Mittelmark: Der Digitalisierung trotzen
Fotoalben, Papier und Stift – die analoge Arbeit des Kleinmachnower Archivs historischer Alltagsfotografie
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Kleinmachnow - Drei Familiengeschichten liegen ausgebreitet auf dem Küchentisch von Susann Hellemann und Lothar Binger. Das Leben gebannt in Schwarzweißfotografien. Die Alben sind Teil des Archivs historischer Alltagsfotografie. Seit 30 Jahren sammeln die beiden Kulturhistoriker aus Kleinmachnow Aufnahmen fremder Menschen. Die Fotoalben finden sie auf Berliner Trödelmärkten.
„Da es in Berlin viele Zugezogene aus dem Umland gibt, finden wir historisches Bildmaterial über den Alltag in Brandenburg“, erklärt Lothar Binger. Die beiden Kulturhistoriker organisieren damit Ausstellungen und geben Bücher heraus. Sie sortieren die Bilder unter Themengruppen wie Kinderspielzeug, Silvesterbräuche, Bräute oder Balkone. In ihrem Kleinmachnower Keller stapeln sich die Erinnerungen: Mittlerweile haben sie über 2000 Alben und 300 000 private Fotografien von 1860 bis in die Gegenwart. Pro Jahr kommen 50 neue Alben dazu.
Doch wie wird ihre Arbeit in Zukunft aussehen? Verreist heute jemand über das Wochenende nach Paris, werden die Bilder auf Facebook gepostet. Schnell ist das Handy gezückt – das Foto verschwindet in den Tiefen der unendlichen großen Speicherkarte. „Unsere Arbeit wird sich in den nächsten zwanzig Jahren nicht ändern“, ist sich die 55-jährige Kulturwissenschaftlerin sicher. Zwar gebe es mit der Digitalisierung eine Inflation von Bildern. „Aber besondere Momente werden noch immer auf Papier ausgedruckt und in irgendetwas ein- oder aufgeklebt“, ergänzt ihr Lebensgefährte, der 71-jährige Lothar Binger.
Beide Sammler beobachten an ihrer 23-jährigen Tochter und deren Freunden, dass Fotografien in Papierform nicht in Vergessenheit geraten. „Natürlich wird nicht mehr so oft etwas ausgedruckt – aber bei ausgewählten Bildern macht man sich schon noch die Mühe“, so Lothar Binger. Meist würden die Alben oder Fotokalender dann verschenkt. Zudem gebe es in Kaufhäusern und in Discountern nach wie vor Fotoalben auf den Wühltischen. „Wenn dafür gar keine Nachfrage bestehen würde, wären die nicht ständig im Sortiment“, sagt der Mann mit den grauen Locken.
Von Digitalisierung ist auch in ihrem Archiv nichts zu spüren. Die drei Fotoalben auf dem Küchentisch, ihre neuesten Funde, haben jeweils einen kleinen weißen Zettel im Einband. Darauf stehen Stichwörter: Schultüte, Schule, Oldenburg. Neben den Stichwortlisten der Alben, legen die beiden Kulturhistoriker auch thematische Listen an. Darauf werden dann die Nummern der Alben mit den passenden Fotos verzeichnet.
„Wenn wir unser ganzes Archiv digitalisieren wollten, müssten wir jemand einstellen, der sich nur damit beschäftigt“, sagt Susann Hellemann. Doch dafür reicht das Geld nicht. Vor Jahren hat sich das Paar von Berlin abgewendet: „Da gibt es kaum noch Projektgelder für unsere Ausstellungen.“ Ihr Fokus liegt mittlerweile im Land Brandenburg, seit Kurzem arbeiten sie auch mit Polen zusammen und zeigen dort ihren Fundus. „Unser Aufwand lohnt sich nur, wenn wir Wanderausstellungen konzipieren“, erklärt Susann Hellmann.
Von der Idee bis zur fertig gestalteten Ausstellung – um alles kümmern sie sich selbst. „Meist wird vor der Ausstellungseröffnung durch die lokale Presse oder das Museum dazu aufgerufen, dass auch die Bewohner passende Ausstellungsstücke abgeben sollen“, sagt Lothar Binger. Bei einer ihrer Ausstellungen seien dadurch 15 Brautkleider zusammen gekommen. „Wir wollen, dass die Menschen nicht nur den Alltag wertschätzen, sondern auch mitausstellen“, erklärt Susann Hellmann. Eva Schmid
Zurzeit werden ihre Fotografien zum Kinderspiel in Brandenburg noch bis 13. Oktober im Freilichtmuseum Altranft gezeigt. Eine Ausstellung zum ersten Schultag läuft bis 1. September in der Burg Storkow. Bücher, unter anderem zu Brandenburgs Hochzeitsbräuchen, können für 22,50 Euro unter Tel. (033203) 77788 bestellt werden.
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