Potsdam-Mittelmark: Die Eroberung des Nachmittags
Wie die Saarmunder Grundschule gegen manche Widrigkeit als erst in der Region in ihr Ganztagsprojekt gestartet ist
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Wie die Saarmunder Grundschule gegen manche Widrigkeit als erst in der Region in ihr Ganztagsprojekt gestartet ist Von Volker Eckert Nuthetal - Ute Gehrmann betritt mit ihrem Namenszettel den Klassenraum im zweiten Stock. 13 Fünft- und Sechstklässler müssten laut der Liste hier gerade die erste Französischstunde ihres Lebens haben. Es ist zwei Uhr am Nachmittag, draußen brennt die Sonne bei 32 Grad, ein Junge in der dritten Reihe wedelt sich eine wenig Wind zu. Ute Gehrmann wundert sich: Statt 13 sitzen 16 Kinder im Klassenraum. Gehrmann ist die Leiterin der Saarmunder Grundschule, an der in dieser Woche der Ganztagsunterricht begonnen hat. In Potsdam-Mittelmark ist sie damit eine von zwei Grundschulen, die nach der Initiative der Bundesregierung die Anerkennung als Ganztagseinrichtung bekommen haben. Der Start ist nicht einfach. Ute Gehrmann hat in diesen Tagen viele Meter in den Fluren des sanierten Plattenbaus zurückgelegt, meist mit einer Wasserflasche in der Hand. In dem engen Besprechungsraum neben ihrem Büro hat die 45-Jährige einen ganzen Stapel mit Unterlagen vor sich liegen, die sich im vergangenen Jahr angesammelt haben. Am 5. August 2003 – das Datum hat sie sofort parat – war bekannt geworden, dass sich auch Grundschulen für das Programm bewerben können. „Für uns war das eigentlich schon vorher interessant“, sagt Ute Gehrmann. Zum einen wegen der Hausaufgabenprobleme: Viele Kinder würden sie nämlich nicht machen. Das sei schwer in den Griff zu bekommen, zumal die Eltern nicht immer mitzögen. Zweitens habe es schon vorher Zusammenarbeit mit Partnern von außen gegeben, die nun eine noch größere Rolle spielen werden. Und drittens habe die Schule viele Fahrkinder aus den umliegenden Dörfern. Der Weg nach Potsdam ist weit, die Angebote in und um Saarmund sind begrenzt, sagt Ute Gehrmann. Viele hätten wohl schon nachmittags vor dem Fernseher gesessen. Von 145 Schülern sind 136 von ihren Eltern für das freiwillige Zusatzangebot angemeldet worden. Damit haben sie sich aber verpflichtet, für den Rest des Schuljahres teilzunehmen. Mutter Heike Hoffmann hat im gleichen Zuge ihren Sohn vom angegliederten Hort abgemeldet. So spart die selbstständig Berufstätige rund 100 Euro im Monat. Allerdings ist der Hort jetzt auch nicht mehr da, wenn der Sohn am Nachmittag mal eine Stunde zwischendurch frei hat: „Das muss dann irgendwie gehen“, sagt Heike Hoffmann. Der Schule ist dieses Verhalten gar nicht recht, da es die Existenz des Hortes gefährdet. Eine stundenweise Betreuung ist in Brandenburg nicht möglich: ganz oder gar nicht. Bei der Auswahl der Angebote wurden auch die Schüler befragt, die Ergebnisse haben die Lehrer überrascht. Weniger Sport als erwartet wurde gefordert, dafür war das Interesse an Tanz und textiler Arbeit groß – auch bei Jungs. Viele Schüler haben sich gewünscht, ihre Aufgaben gemeinsam mit den anderen Kindern zu machen. Religion und Kunst gibt es noch, im Computerraum dürfen die Kinder sich selbstständig am Rechner betätigen. Die meisten surfen im Internet oder machen Spiele. Eine Musiklehrerin gibt Gitarrenunterricht, die Akkordeonklasse wird von einer kommerziellen Musikschule angeboten. Lehrerin Heike Lach lässt die Klasse gerade „Oh, when the saints“ spielen, „im Affenzahn“. Sie hat das im letzten Jahr auch schon mit denselben Kindern in den Räumen der Schule gemacht. Jetzt freut sie sich darüber, dass sie Kooperationspartnerin geworden ist und keine Miete mehr zahlen muss. Und was sagen die Schüler? Vanessa aus der 4. Klasse fand die Idee, die Nachmittage in der Schule zu verbringen anfangs nicht so toll. Jetzt sagt sie: „Ich habe ja hier Beschäftigung. So finde ich das gut.“ Den Satz könnte man mit bösem Willen auch den Lehrern in den Mund legen. Für die bedeutet das Projekt Mehrarbeit, die wohl nicht bezahlt wird. „Die meisten Kollegen sind schon sehr lange hier“, sagt Ute Gehrmann. „Die wissen, dass die Konkurrenz zwischen den Schulen immer größer wird.“ Saarmund hatte vor zehn Jahren, als Ute Gehrmann ihr Amt antrat, noch fast doppelt so viele Schüler. In diesem Jahr hat es kaum für eine erste Klasse gereicht.
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