Von Henry Klix: Die „Tele-Grafen“ von Glindow
Zum Wiederaufbau der Telegraphenstation auf dem Fuchsberg wird zurück und nach vorn geschaut
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Werder (Havel) / Potsdam - Ein „Glindower Telegraphen-Tröpfchen“ vom Obsthof Wels, von der Glindower Ziegelei gebrannte Keramik-Stationen und ein Telegraphen-Radweg über den Fuchsberg, der mit dem Havelradweg einen Rundkurs bilden könnte – in Glindow wachsen die ersten Ideen, wie sich die alte Telegraphenstation touristisch vermarkten lässt. Am 8. Mai soll auf dem Fuchsberg eine Attrappe des einstigen Telegraphenmastes eingeweiht werden – ein geschichtsträchtiger Akt: Der Fuchsberg war die fünfte von 62 Stationen auf der Telegraphenstrecke Berlin-Koblenz, die zwischen 1833 und 1849 für einen schnellen militärischen Nachrichtenaustausch zwischen der Hauptstadt und der Rheinprovinz gesorgt hatte.
Am Dienstagabend war Manfred Menning von der Potsdamer „Interessengemeinschaft optischer Telegraph“ zu Gast beim Glindower Gewerbeverein. Die Interessengemeinschaft, die voriges Jahr den Telegraphenmast auf dem Potsdamer Telegrafenberg neu aufbaute, forscht nicht nur zur Geschichte der kompletten Telegraphenstrecke. Sie lotet auch die touristischen Chancen aus, die mit einer Wiederbelebung bestehen.
Menning sprach von einem „einzigartigen, kulturellen Band, das Berlin mit Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz verbindet“. Zehn der früheren Stationen seien in Form von teils funktionstüchtigen Stationen oder Attrappen schon wieder errichtet worden, in den kommenden Jahren sollen es deutlich mehr werden. Ein Viertel der Telegraphenstrecke sei als Radwanderweg bereits in den Internetauftritt der Interessengemeinschaft eingestellt, wobei die Strecken nicht immer genau zwischen den Stationen verlaufen: Sehenswürdigkeiten wie zum Beispiel das Otto-Lilienthal-Denkmal in Derwitz werden einbezogen. Menning sprach von einem „Selbstläufer“, und nicht nur er glaubt, dass ein geschlossenes Wegenetz von Station 1 bis 62 von touristischem Interesse sein könnte – auch in Glindow wuchs am Dienstagabend diese Hoffnung. Denn die Telegraphenstrecke führt nicht nur durch schöne Landschaften – von vielen der Stationen gibt es bemerkenswerte Geschichten zu erzählen.
Vom Telegraph auf dem Fuchsberg in Glindow wurde das aus Potsdam kommende Signal nach Schenkenberg weitergeleitet. Die beiden Telegraphisten hatten eine tägliche Dienstzeit von sechs anstrengenden Stunden, in denen sie wenigstens alle 15 Sekunden durchs Fernglas die Nachbarstation fixieren mussten. Im Schnitt hatten die Stationen einen Abstand von zehn Kilometern. Menning: „Das ging richtig über die Augen.“ Jedes ankommende Zeichen musste protokolliert und dann weitergegeben werden. Schließlich mussten sich die Telegraphisten davon überzeugen, dass die Nachbarstation auch richtig verstanden hatte. Bei Übertragungsfehlern drohten drakonische Strafen.
Etwa zwei Signale pro Minute konnten weitergegeben werden. Jedes Signal entsprach einem Wort, einer Silbe oder einem Buchstaben – eine 30 Worte lange Depesche dauerte bei guter Sicht etwa anderthalb Stunden von Berlin nach Koblenz. Wesentlich schneller als Pferdeboten, die dafür 3 bis 4 Tage benötigten. „Bis zur Einführung des elektromagnetischen Telegraphen in England 1846 war das die schnellste Verbindung der Welt“, so Menning. Ihre Schwäche: Bei schlechter Sicht und Dunkelheit war keine Nachrichtenübertragung möglich.
Die Franzosen waren mit der Einführung des Telegraphen zwar fast 40 Jahre schneller als die Deutschen: Dafür war die preußische Technik ausgefeilter. Dass ein Graf von Monte Christo in Alexander Dumas’ Roman den Telegraphen für Börsenmanipulationen missbraucht, wäre in Preußen als unrealistischer Quatsch deklariert worden: Ein Antrag der Berliner Kaufmannschaft um Freigabe der Linie für die Übermittlung von Börsenkursen wurde 1835 per Kabinettsorder abgelehnt. Der Nachrichtenweg stand hier ausschließlich für die Staatskorrespondenz zur Verfügung und mit den dazu genutzten 2200 Zeichen waren die Nachrichten so gut codiert, dass sie selbst von den erfahrensten Telegraphenwärtern nicht verstanden werden konnten. Die Codebücher sind seit dem Zweiten Weltkrieg verschollen.
Auf dem Berliner Marstall, wo sich heute die Staatsbibliothek befindet, war Mast Nummer Eins montiert, der letzte auf dem Südturm des Koblenzer Schlosses. Die Kirche in Dahlem war eine von drei Kirchen auf der Strecke, die für diese Zwecke genutzt wurde. Auf dem Berliner Schäferberg, wo heute der weithin sichtbare Fernmeldeturm steht, auf dem Potsdamer Telgrafenberg und auch in Glindow standen derweil Funktionsbauten: Aus dem Stationsgebäude ragte ein sechs Meter hoher Mast mit drei Holz-Doppelarmen auf, die in je drei Signal-Positionen gestellt werden konnten. Unten konnten die beiden, gutbezahlten Telegraphisten, im Volksmund wegen ihrer schmucken Uniformen auch „Tele-Grafen“ genannt, übernachten.
Der Luftkurort Straßenhaus, in dem sich die Station 57 befand, hat den Telegrafen sogar im Ortswappen – am Ortseingang steht eine Holz-Attrappe der Station. Die höchste Station befand sich im sauerländischen Breckerfeld auf dem 440 Meter hohen Wengeberg. Station 9 befand sich in Zitz: Eine in der Zitzer Kirche gefundene Gedenktafel erinnert an Premier-Leutnant Heinrich Carl Lindner vom Ingenieurscorps, der am 29. November 1832 bei den Bauarbeiten für die Station verunglückte, wohl als der Telegrafenmast bei der Aufstellung umkippte.
Hier findet sich auch eines der seltenen Zeugnisse, wie der Telegraph für den unverschlüsselten dienstlichen Austausch genutzt wurde: Prediger Wilhelm Ludwig Rauch zu Zitz wurde am 7. September 1938 zum 50. Dienstjubiläum gratuliert – Telegraphiedirektor Franz August O’ Etzel war mit Rauch befreundet und ließ von Koblenz übermitteln: „Den herzlichsten Glückwunsch, durch Gottes freie Luft gesendet, von dem Verehrer patriarchalischer Sitte.“
Wichtigstes Zeugnis der Glindower Station ist eine Karte von 1839, auf der sie eingezeichnet ist. Als im Herbst das Fundament für die Attrappe ausgehoben wurde, wurden hier oben noch einige Ziegelsteine gefunden, die vom Stationsgebäude stammen könnten. Auch auf dem Fliederberg in Schenkenberg soll jetzt eine Attrappe aufgestellt werden. Von der Station Nummer 7 auf dem Marienberg in Brandenburg (Havel) gibt es eine der wenigen erhaltenen Darstellungen einer Station: Klempnermeister Bott hat sie um 1840 gemalt.
Die Ruine der Station 50 in Köln-Flittard war die erste, die 1970 wiederhergestellt wurde. Das Museum, das es hier bis vor sechs Jahren gab, ist allerdings geschlossen. Dafür wurde vor neun Jahren eine Ausstellung zur preußischen Telegraphie in der Station 18 in Neuwegersleben (Sachsen-Anhalt), die 1995 ebenfalls nur noch eine Ruine war, eröffnet. Das Stationsgebäude hatte früher jahrelang als Wohnung gedient, ohne dass die Bewohner von der Geschichte wussten. Zur Museumseröffnung wurde auch der Telegraphenmast wieder aufgestellt. „Neuwegersleben ist heute das Glanzstück der Strecke“, so Menning. Auf dem Hungerberg bei Marienmünster wurde neben dem früheren Telegrafen, heute Kapelle, vor zwei Jahren ein 26 Meter hoher Aussichtsturm aufgestellt.
In Glindow wurde man angesichts solcher Aktivitäten hellhörig, zumal sich der hiesige Telegraph direkt am touristischen Obstpanoramaweg befinden wird. Gewerbevereinschef Dieter Dörflinger fachsimpelte von einer „Achse des Fortschritts“. Bei der Eröffnungsfeier des vom Heimatverein initiierten Telegraphenmastes will sich der Gewerbeverein einbringen. Ob dann schon ein „Glindower Telegraphen-Tröpfchen“ kredenzt werden kann, blieb am Dienstagabend offen.
Weitere Informationen unter:
www.optischertelegraph4.de
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