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Erinnerung: Die Geschwister Karola Linow, Klaus-Dieter und Hans-Joachim Kube.

© Andreas Klaer

Potsdam-Mittelmark: Die Urne kam per Post

Trost für die Angehörigen: Stelen erinnern jetzt an die Maueropfer Karl-Heinz Kube und Peter Mädler

Stand:

Teltow - Unbeschwert Weihnachten feiern, das kann Karola Linow nicht mehr, seit sie sechs Jahre alt war. Denn damals, 1966, war kurz zuvor, am 16. Dezember, ihr Bruder Karl-Heinz Kube bei einem Fluchtversuch von Grenzsoldaten der DDR erschossen worden.

„Die Angehörigen sind selbst auch Opfer“, sagte Berlins regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) gestern bei der Einweihung einer Gedenkstele am Teltower Zeppelinufer. Sie erinnert an den Ruhlsdorfer Karl-Heinz Kube und den am 26. April 1963 ebenfalls auf dem Grenzstreifen getöteten Peter Mädler. Die beiden hätten etwas aus ihren Leben machen wollen und stünden damit exemplarisch für die 136 überwiegend jungen Menschen, die zwischen 1961 und 1989 an der Berliner Mauer starben, so Wowereit. Die Veranstaltung fand stellvertretend für insgesamt 29 Standorte statt, an denen im Berliner Umland an 50 Todesopfer der Mauer erinnert werden soll.

Alles Erinnern könne zwar das Leid der Familien nicht lindern, er hoffe aber, dass die Stelen wenigstens ein bisschen Trost und Genugtuung vermitteln könnten, sagte Brandenburgs Ministerpräsiden Matthias Platzeck (SPD). Die staatlichen Stellen seien oft unmenschlich mit den Angehörigen umgegangen. Wichtig sei heute vor allem, das Geschehene an die nachfolgenden Generationen, die ohne Erinnerung an das Leben hinter der Mauer aufwachsen, weiterzuvermitteln. Junge Menschen sollten sich aber nicht nur aktiv erinnern, sondern sich auch selbst in die Demokratie einbringen, mahnte Platzeck. „Das ist der sicherste Schutz vor einer neuen Diktatur.“

Auch wenn die Gründe für die Flucht bei Kube und Mädler recht unterschiedlich waren, haben sie doch eines gemeinsam: Sie wollten ein Leben in Freiheit führen. Peter Mädler, der bei Adoptiveltern in Hoyerswerda aufwuchs, wollte vermutlich seine leiblichen Verwandten in Westdeutschland suchen. Karl-Heinz Kube sei ein politisch unangepasser junger Mann gewesen, dem sogar die Einweisung in den Jugendwerkhof – eine Art Jugendgefängnis – gedroht habe, so Platzeck.

Er wehrte sich gegen den Zwangseintritt in die FDJ und gegen Spenden für den kommunistischen Vietcong. Seine Frisur auf dem Foto an der Stele lässt zudem Kubes Liebe zu den Beatles erkennen. Bei den DDR-Oberen war die britische Rockband als „Gammlertruppe“ verpönt. Mit „jugendlicher Naivität“ hätten Kube und sein Freund Detelf S. die Flucht über den Teltowkanal geplant, sagte Platzeck. So kurz vor den Feiertagen, glaubten die beiden, wären die Grenzposten nicht so dicht besetzt – ein tödlicher Irrtum. Nachdem die Freunde Stolperdrähte und Stacheldraht bereits überwunden hatten, eröffneten die Grenzer das Feuer, Karl-Heinz Kube wurde an Kopf und Bauch getroffen, Detlef S. wurde festgenommen. Den Eltern teilte die Stasi die genauen Todesumstände ihres Sohnes nie mit, eine Urne mit seiner Asche bekamen sie per Post. „Bei Grenzschüssen hat sich immer sofort die Staatssicherheit eingeschaltet, um zu verhindern, dass allzu viel über die Hintergründe an die Öffentlichkeit gelangt“, erklärt Maria Nooke, stellvertretende Direktorin der Stiftung Berliner Mauer. Zudem setzte man die Angehörigen unter Druck, nicht über die Vorfälle zu sprechen. „In manchen Fällen haben sich die Behörden sogar hanebüchene Legenden ausgedacht, um die Ermordung von Republikflüchtlingen zu verschleiern“, so Nooke.

Der Sohn habe sich „provokatorisch an einem Grenzdurchbruch beteiligt, sei dabei verletzt worden und seinen Verletzungen erlegen, heißt es in der dürren Nachricht, die Helmut und Marta Kube nach dem Tod ihres Sohnes erhielten. „Nicht zu wissen, wie Karl-Heinz starb, darunter hat meine Mutter bis an ihr Lebensende gelitten, am schlimmsten war es an Weihnachten“, erinnert sich Karola Linow. Mit nur 54 Jahren platzte ihrer Mutter eine Ader im Gehirn, sie starb am 22. Dezember 1983 – wenige Tage nach dem Todestag ihres Sohnes. Karola Linows Brüder Hans-Joachim und Klaus-Dieter zogen ihre eigenen Konsequenzen aus dem Tod von Karl-Heinz Kube. Sie verweigerten den Dienst an der Waffe. Hans-Joachim Kube war 16, als sein Bruder starb, vor seiner Flucht hatte der ihn noch gebeten, ihm, sobald er 18 sei, in den Westen zu folgen. Dazu kam es nicht, stattdessen mussten sich die Geschwister immer wieder Provokationen durch den Staat gefallen lassen. So wurde der Frau von Hans-Jürgen versichert, man würde sie bei einer Scheidung unterstützen, sollte ihr Mann sie mit kapitalistischen oder anti-sozialistischen Ideen behelligen.

All diese Bemühungen des Staates, die eigenen Verbrechen zu vertuschen, haben nach Ansicht von Teltows Bürgermeister Thomas Schmidt (SPD) nichts genützt: „Opfer wie Peter Mädler und Karl-Heinz Kube haben die DDR–Bevölkerung aufgerüttelt und schließlich zur friedlichen Revolution und der Wiedervereinigung geführt“, ist er überzeugt.

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