
© Davids
Von Thomas Lähns: Ein Brief im rechten Moment
Bundespräsident würdigte Gabriela Schrader für ihre Arbeit. Bedarf an Fürsorge in Beelitz ist gestiegen
Stand:
Beelitz – Es gibt Momente, da droht selbst das größte Herz zu brechen: Wenn Kinder mit verschlissenen Schuhen herumlaufen, weil die Eltern ihnen keine neuen kaufen wollen. Oder wenn bei der Lebensmittelausgabe Neid laut wird, sich die Leute um ein paar Apfelsinen streiten. Manchmal denke sie da schon ans Aufhören, räumt die Beelitzerin Gabriela Schrader ein. Dann aber passiert wieder etwas, das ihr neue Kraft gibt: Wenn ihr frühere Schützlinge erzählen, dass sie es geschafft haben. Wenn Spenden an Weihnachten Kinderaugen leuchten lassen. Oder wenn ein Brief ins Haus flattert, in dem steht, dass sich der Bundespräsident persönlich bei ihr bedanken möchte.
Die 51-Jährige ist das soziale Gewissen der Stadt Beelitz: Sie sorgt dafür, dass die Armen nicht vergessen werden. Vor zwölf Jahren hat die vierfache Mutter den Verein „Kindersorgen-Sorgenkinder“ gegründet, der Sprösslinge aus sozial schwachen Familien betreut. Der Verein betreibt mittlerweile auch die Beelitzer Tafel und eine Kleiderkammer. Alt-Bürgermeister Thomas Wardin nannte Schrader einst die „Mutter Courage von Beelitz“. Nun hatte sie Bundespräsident Christian Wulff vor kurzem ins Schloss Bellevue zum Neujahrsempfang geladen – eine Anerkennung, die nur den Wenigsten zuteil wird. Schrader war schon zum zweiten Mal dort: Vor drei Jahren durfte sie bereits dem damaligen Staatsoberhaupt Horst Köhler die Hand schütteln.
Unnachgiebig trommelt der Schneeregen gegen die Fenster des Vereinshauses der „Sorgenkinder“. Das Gebäude befindet sich in der Virchowstraße gegenüber der Beelitzer Neubausiedlung – direkt am Brennpunkt, möchte man sagen. Drinnen jedoch ist es anheimelnd: An den Wänden hängen selbstgemalte Bilder und Fotos, hier und da steht Spielzeug. Heute sind die Räume fast leer: Die zwölf regelmäßigen Gäste tragen das Amtsblatt aus. Zur Belohnung für solche Leistungen bekommen sie Punkte, erläutert Gabriela Schrader. Wer genug gesammelt hat, darf mit ins Kino, in den Zoo oder zu McDonalds. Bei zehn Punkten winkt die Fahrt ins Ferienlager. „Ich leiste etwas, dafür bekomme ich etwas“, ist die Botschaft, die dahinter steckt. Manche Kinder kennen das nicht von zuhause. Und einige erfahren nicht einmal, was Wärme oder Zuneigung sind. Deshalb kommen sie her.
„Früher wollte ich alle Eltern ändern – heute begnüge ich mich mit denen, die das auch selbst wollen“, sagt Gabriela Schrader. Allein auf die Kinder komme es ihr an. Ihr Credo: Erwachsene können ihr Leben selbst in die Hand nehmen – ihre Sprösslinge können das nicht. Diese Haltung macht auch vor der eigenen Haustür nicht halt: Bis vor wenigen Jahren hatte sie immer wieder auch Pflegekinder aufgenommen, sieben waren es insgesamt. Die Familie unterstützt, wo sie kann – selbst im Verein wird mit Hand angelegt.
Ein kleines Mädchen, das im Nebenraum gespielt hatte, wirft sich den Schulranzen über und macht sich auf den Heimweg. „Tschüss, Gabi“, ruft sie im Hinausgehen. Schrader winkt zum Abschied und lächelt. In solchen Momenten ist sie froh, hier zu sein. Der Bedarf an Fürsorge ist – wie überall – auch in Beelitz gestiegen, erzählt sie weiter. Das sehe man an den Schlangen bei den Lebensmittelausgaben. Drei mal pro Woche werden Spenden der örtlichen Supermärkte an Bedürftige ausgegeben. Kamen die Leute früher erst ab der dritten Woche im Monat, seien sie jetzt durchgängig da. 30 Kunden pro Tag, doch dahinter stehen zum Teil ganze Großfamilien.
Solche Entwicklungen und der Versuch, dagegen anzukommen, sind es, die Gabriela Schrader und ihre freiwilligen Helfer immer öfter an ihre Grenzen bringen – körperlich und seelisch. Auch die Tatsache, dass längst nicht jeder Hartz-IV-Betroffene durch Dankbarkeit glänzt, mache es manchmal schwer. „Ich habe mich gefragt: Wer wusste bloß, dass Du schon wieder kurz davor warst, alles hinzuschmeißen?“, erinnert sie sich an die Einladung aus dem Präsidialamt. Der Brief kam genau im richtigen Moment, sagt sie. Und obwohl Gabriela Schrader gern etwas Verantwortung abgeben würde, um sich an anderen Ecken der Stadt zu engagieren, wird sie wohl noch eine Weile die „Mutter Courage von Beelitz“ bleiben. Denn im Moment will offenbar niemand in ihre Fußstapfen treten.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: