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Potsdam-Mittelmark: Eine Frage des Mundgefühls
Seltener Einblick: Die Werderaner Condio GmbH produziert Stabilisatoren für die Lebensmittelindustrie
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Werder (Havel) - Sahnig, vollmundig, prickelnd oder faserig - bei Condio dreht sich alles um das Mundgefühl. Das Werderaner Unternehmen entwickelt und produziert Stabilisatoren für die Lebensmittelindustrie, und das sehr erfolgreich: Ein Fertig-Schinkenrührei, dass im Toaster zubereitet werden kann, gehört zu den jüngsten Schöpfungen der Firma. Oder ein Fleischsalat in Schnittwurstform, ein Fruchtquark als Riegel, ein Energydrink mit 1,5 Kilokalorien pro Milliliter – bald so viel wie dänische Vanillesauce. Auch ein bekannter Apfelketchup wurde hier mit den Auftraggebern erdacht.
In den vierzehn Jahren seit der Gründung habe sich die Condio GmbH in Werder zu einem der fünf Branchenführer entwickelt, erzählt Condio-Mitbegründer Paul Ingenpass. 50 Leute erwirtschaften hier inzwischen einen Jahresumsatz von 26 Millionen Euro, außerdem gibt es noch Dependancen in Spanien, Russland und Südafrika. Am Dienstagabend gab es die seltene Gelegenheit, einen Blick auf das streng abgeschirmte Werderaner Firmengelände zu werfen. Der Bundesverband Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften lud die Presse zu einem „Hintergrundkreis“ ein.
Seit einem Jahr gibt es diese informativen Runden, in denen es um Formen und Wirkungen von Unternehmensbeteiligungen geht. Beim jüngsten Termin wurde das Konzept der Mittelständischen Beteiligungsgesellschaft Berlin-Brandenburg GmbH, MBG, vorgestellt, ein stiller Gesellschafter bei Condio. Das schnelle Wachstum habe es gegenüber Geschäftspartnern erforderlich gemacht, die Eigenkapitalquote zu erhöhen, so Condio-Chef Ingenpass. Die MBG, die mit Geldern öffentlicher und privater Banken agiert, konnte helfen – wie auch rund 200 anderen mittelständischen Unternehmen aus Berlin und Brandenburg, an denen sie mit insgesamt 45 Millionen Euro beteiligt ist.
Fast spannender als die finanzwirtschaftlichen Hintergründe war, was der Condio-Geschäftsführer am Dienstag vom Firmenalltag berichtete. Da war die Geschichte eines Auftraggebers aus Nischni Nowgorod, ein Mayonnaise-Hersteller mit einem besonderen Wunsch: Mayonnaise ist in Russland überall dabei, ein Vielfaches anderer europäischer Länder wird hier verbraucht. In der Fastenzeit vor Ostern verzichten streng religiöse Russen jedoch schweren Herzens darauf - wegen der Eier. Condio entwickelte für die Bedürfnisse an der Wolga eine Mayonnaise ohne Eier – ein Verkaufsschlager.
Um in solch diffizilen Situationen helfen zu können, hat das Unternehmen in Werder ein Technikum mit Kolloidmühlen, Kuttern, Mischturbinen und Schabewärmetauschern, mit kompletten Produktionsstrecken im Miniaturformat: eine Molkerei, eine Wurstfabrik oder eine Speiseeisfabrik – alles findet sich hier zum Experimentieren mit Zusatzstoffen in verkleinerter Form. Mit Pektin, Guarkernmehl, Johannisbrotkernmehl und anderen Zusatzstoffen werden Lebensmittel in die gewünschte Konsistenz gebracht.
Ingenpass ist sich darüber im Klaren, dass die E-Nummern auf Lebensmittelverpackungen nicht überall gut ankommen. Ob die Fertigprodukte gut oder schlecht sind, will er nicht bewerten, weiß aber: „Sie werden gebraucht, weil es unsere Zeit erfordert.“ Die Diskussion über den Analogkäse habe der Branche überhaupt nicht geschadet. „Sogar Milch will jetzt ein Kunde als Fingerfood haben.“ Junge Menschen hätten kaum noch die Muße zum Essen, es darf nicht kleckern, muss einfach und schnell zuzubereiten sein.
Lebensmittel dürften auch nicht viel kosten. „Die Bissfestigkeit bleibt auch bei hohen Wasseranteilen bestehen“, wird entsprechend offen in einem Condio-Prospekt geworben. Günstige Ware, die trotzdem eine gute Qualität hat, wäre ohne die Zuarbeit von Unternehmen wie Condio heutzutage nicht zu produzieren, weiß Ingenpass. Das gelte auch für Bioprodukte. Anderseits sei es nicht so neu, Konsistenzen zu verändern: Ohne den Milchpudding, den irische Fischer einst mit einer gewissen Rotalge kochten, wäre der Zusatzstoff Carageen wohl nie entstanden.
Kontrastprogramm am Abend: Nach dem Condio-Besuch war die zweite Station des Hintergrundkreises das Potsdamer Restaurant „Am Pfingstberg“, das ebenfalls von einer stillen Beteiligung der MBG profitiert hat. Wild aus dem Fläming, Neuzeller Bauernschwein, Kartoffeln von Bauer Ruden aus Fahrland und frisches Gemüse aus der Mark - das Mundgefühl war dann doch ein anderes. Henry Klix
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