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Von Alexander Fröhlich: „Einer der traurigsten Fälle“

Lebenslange Haft nach Mord an Eltern: Landgericht Potsdam verurteilt 28-Jährigen, der Mutter und Vater getötet und zerstückelt hat

Stand:

Potsdam/Rathenow - Er hat seine arglosen Eltern getötet und später mit einer Kettensäge zerstückelt. Nun verurteilte das Landgericht Potsdam René S. (28) zu lebenslanger Haft wegen zweifachen Mordes. Für den Vorsitzenden Richter Frank Tiemann ist es dennoch „einer der traurigsten Fälle, mit denen wir es hier je zu tun hatten“. Das Urteil sei „nicht unbedingt als befriedigend zu empfinden, konnte aber nicht anders ausfallen“, sagte Tiemann.

Dabei war es der 28-Jährige selbst, der mit einem detaillierten Geständnis maßgeblich zur Aufklärung des Falls beigetragen hat. Laut Urteil hat er im Juni 2010 erst seinen Vater (67) erstochen und dann seine Mutter (60) mit einem Hammer erschlagen. Den Taten voraus ging das, was der Richter „traurig“ nannte. Ein Psychologe sprach in dem Prozess von einem Leben voll „Hoffnungslosigkeit auf ein selbstbestimmtes Leben“.

S. kam mit Klumpfüßen zur Welt, die dominante Mutter behütete ihren Sohn über alle Maßen. Statt ihn in den Kindergarten zu schicken, betreute sie ihn daheim – arbeitete dies akkurat nach der Fachliteratur für Erzieher ab. Freunde hatte er nie, es war ihm auch nicht wichtig, ständig waren die Eltern um ihn. Selbst als er erwachsen war, begleiteten sie S. zum Hausarzt. „Er ist isoliert aufgewachsen“, in einem „ganz eigenartigen Mikrokosmos“, in einer „beklemmenden Atmosphäre“, sagte Tiemann. Ein Gutachter nannte es ein Leben in einer „paranoiden Festung“ und bescheinigte S. eine schizoide Persönlichkeitsstörung – ein Mensch ohne Gefühlsregung, aber mit zwanghafter Detailversessenheit. Die Schuld milderte das nicht, es ist keine Krankheit.

René S. war ein Schüler mit Bestnoten, Informatiker oder Chirurg wollte er werden. Doch die ehrgeizigen Eltern, die nach der Wende arbeitslos wurden, sich als Verlierer der Wende sahen, selbst keine Freunde hatten, wollten, dass er Jura in Potsdam studiert. „Es wurde ihm nicht aufgezwungen, aber es wurde nicht darüber geredet“, erklärte der Richter. S. hätte „die Chance gehabt, selbstständig zu leben, aber er kannte es nicht anders. Er ist nicht ausgebrochen, was ihm möglich gewesen wäre.“

Mit dem Jura-Studium aber kam der Sohn nicht klar, verstrickte sich in Lügen und versuchte sich im November 2009 umzubringen. Der Vater hielt ihm vor, nicht mal einen Selbstmord bekomme er richtig hin. Es folgten Monate der Sprachlosigkeit, Weihnachten, Silvester, gar die Geburtstage wurde nicht gefeiert – weil die Mutter enttäuscht war. Die Eltern hielten ihm stets vor, er sei ein Versager. „Sehr liebevoll ist die Familie nicht miteinander umgegangen“, so der Richter.

Im Juni 2010, R. setzte eine letzte Hoffnung auf ein Bewerbungsgespräch zum Finanzwirt in Hamburg, kam es zur Katastrophe. Es war der Tag, an dem er sich endlich von den übermächtigen Eltern lösen wollte. Die machten ihm wieder einmal Vorhaltungen, er rastete aus. „Das kann man menschlich durchaus nachvollziehen“, sagte Tiemann. Einen Monat lang war er dann damit beschäftigt, die Leichen akkurat mit der Motorsäge zu zerstückeln. Die Leiche des Vaters verbrannte er, nur Knochenreste blieben übrig. Aus Furcht, die Nachbarn könnte etwas bemerken, versteckte er die Leichenteile der Mutter in Tonnen in einem Schuppen. Mitte Juli 2010 alarmierten besorgte Nachbarn schließlich die Polizei.

Die Tötung des Vaters könne noch als Affekttat gesehen und strafmildernd gewertet werden, sagte der Richter. Strafmildernd wertete das Gericht dabei vor allem das umfassende Geständnis des Angeklagten, ohne das eine Rekonstruktion der Tat und die daraus folgende Verurteilung wegen Mordes nicht möglich gewesen wären. Die Taten hatte der Beschuldigte „mit einer befremdenden Rationalität“ geschildert, wie der Gutachter festgestellt hatte. Für die Tötung des Vaters verhängte die Kammer eine Freiheitsstrafe von zehn Jahren. Die Tötung der Mutter wertete das Gericht dagegen zweifelsfrei als Mord aus Heimtücke, strafmildernde Umstände seien in diesem Fall nicht ersichtlich. Das Verhalten nach der Tat, das Zersägen der Leichen und das Verbrennen der Überreste des Vaters wertete die Kammer aber als strafverschärfend.

Das Gericht folgte im wesentlichen dem Strafantrag der Staatsanwaltschaft. Die Verteidigung hatte neun Jahre Haft für Totschlag im minderschweren Fall gefordert. Anwalt Jürgen Schindler-Clausen will nun prüfen, ob er Rechtsmittel einlegt. Es gebe aber bereits Gespräche über eine psychologische Betreuung seines Mandaten. Der schmächtige junge Mann starrte bei der Urteilsverkündung regungslos ins Leere. Nach 28 Jahren, eingesperrt in einer Festung von Familie, wartet nun lebenslange Haft auf ihn.

Und ihm bleibt wohl nichts. Denn dem Gesetz nach ist er mit dem Urteil erbunwürdig geworden. Auf den Nachlass der Eltern hat es ein Onkel, der Bruder der getöteten Mutter, abgesehen. Beide hatten sich Anfang der 1990er Jahre zerstritten und keinen Kontakt mehr. Im Prozess trat der Onkel als Nebenkläger auf und hatte wegen des Erbes bereits einen Zivilprozess in Gang gesetzt.

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