
© Camera Work (2), Billhardt
Fotograf Thomas Billhardt über seine autobiografische Ausstellung: „Ich bin mir treu geblieben“
Der Fotograf Thomas Billhardt erklärt vor seiner neuen Ausstellung, warum Sozialismus nicht funktioniert und Kinder die schönsten Menschen der Welt sind.
Stand:
Kleinmachnow - Klein diese Wohnung in einer nicht ganz neuen Reihenhaussiedlung, klein das Arbeitszimmer mit Schreibtisch, Computer und Liege. Deckenhohe Regale bergen Ordner und Verwahrschachteln für die Lebensdokumente. Auch der Schnupperhund an der Besucherwade ist nicht eben groß. Fotodrucke und Plakate an der Wand. Eines aus grauer Vorzeit zeigt Kreml-Chef Breshnew am Rednerpult eines DDR-Parteitages, wie er sich nach getanem Werk selbst applaudiert. Die deutsche Führungsgilde hinter ihm gebiert stehend Ovation. „Besoffen!“, kommentiert Thomas Billhardt dieses Dokument einer politischen Idylle trocken, „der war doch immer blau“.
Lebens-Erinnerungen an den Wänden und in den Labyrinthen des Gehirns. Und Billhardt fügt hinzu: „Ich bin ein Fotograf, der erzählen muss, was dahinter ist“, was ja soeben geschah. So hat es der 1937 geborene Chemnitzer ein Leben lang getan, mit Büchern und Bildern, die den Erdball umrunden, mit Vorträgen, Gesprächen und Beteiligung an Film-Dokumentationen. Vor allem natürlich durch Ausstellungen, wie auch jene, die am Freitag im Hause der Linken unter dem Titel „Immer nah dran“ eröffnet wird. Sie zeigt („viele werden das wiedererkennen“) politische Plakate aus der DDR-Zeit zu Palästina, Vietnam, Nicaragua, Chile, aber auch neuere Fotos aus Asien, als Langzeit-Fotograf des Kinderhilfswerkes Unicef erst vor wenigen Jahren gemacht. Fotos von Kindern, das Leben da und dort, wie er es eh festgehalten hat – Elend und Freude, doch immer mit der Idee vom „Fortschritt“ verbunden, was Intention und Hoffnung betraf. Denn bei seinen unzähligen Reisen rund um die Welt, von Chile bis nach Korea, von Nordamerika und Cuba bis Vietnam und Kampuchea, wurde ihm klar, dass die allermeisten Menschen der Welt im Elend leben, und dass Hunger und Krieg die schlimmsten Seuchen der Erde seien. Sozialismus als Alternative? Billhardt formuliert das fast salomonisch: „ein Traum, funktioniert leider nicht!“
Immerhin ist der diplomierte Fotograf und Foto-Designer 1968 wegen seiner Vietnamkriegserfahrung – stets dichter ran an die Front! – in die SED eingetreten. 1989 dann wieder retour. Die Stasi mühte sich zweimal um ihn, er war sogar als Maulwurf im BND vorgesehen, doch sein zweifaches Nein ist dokumentiert. Sie wollten ihn, weil er so weltgewandt war, so smart, und einen Faible für die schönen Frauen hatte. Denen sah er schon 1961 nach, als ihn der Zentralrat der FDJ zusammen mit zwei Schriftstellern nach Cuba schickte, unverheiratet, parteilos. Im Transitland Kanada stand die Tür „for Immigrants“ weit offen.
Er flog dann doch dem hitzigen Atem der Revolution entgegen. Die zügige Alphabetisierung, eine Begegnung mit Raul Castro, die Begeisterung der Massen elektrisierte ihn. Er fotografierte und fotografierte, und kommentiert das Cuba-Erlebnis heute: „Ich war naiv, noch nicht politisch.“ Nun, er gesteht, dass er von Anfang an Gedanken ans Abhauen hatte. Vielleicht wäre er beim US-Magazin „life“untergekommen, aber sein Karma wollte es anders. Im Westen hätte er jene Konkurrenz zu fürchten gehabt, die ihn dann ab 1989 doch noch erreichte, als er „nach drüben“ ging, um sein wertvolles Bild-Archiv zu retten. In der DDR hatte er jederzeit freie Fahrt, bekam Aufträge von und für Überall, arbeitete für West-KP’s und für Unicef, und ließ seine Fotos in Westberlin oder der BRD entwickeln und drucken, weil die Qualität dort besser war.
Was hätte so einem denn gefehlt? Thomas Billhardt war schier überall, und das bereits zu DDR-Zeiten. Mehr als 50 Mal Sowjetunion, 13 Mal in Vietnam, mehr als 20 Mal in Italien, sonst Mosambique, Nicaragua, Nord- und Südkorea, Neuguinea, China, et cetera pp. Er war der erste („und allein“) Reporter in Pnom Penh, nachdem Pol Pot aus der „toten Stadt“ verjagt worden war, er sah Süd-Vietnam gleich nach dem Sieg des Nordens, besuchte sogar Süd- von Nordkorea aus, „was für ein Kontrast!“ Auch die Zahl seiner Ausstellungsorte ist imposant: Von Santiago de Chile bis Kiew, New York und Hanoi, Florenz und Manila, Ost- wie West-Berlin war so ziemlich alles (auch er) dabei, und ein Ende ist für den agilen Senior nicht in Sicht, denn viele Fotos warten noch auf Veröffentlichung, und auf das, was Billhardt dazu zu sagen hat.
Jetzt bei den Linken zum Beispiel. Erlebtes en gros auch für eine Autobiographie: von den Kindern in den Elendsvierteln Südafrikas, wie er für Unicef in Manila Kinder („die schönsten Menschen der Welt“) fotografierte und als Dank zu einer Rundreise eingeladen wurde. In einem hauptstädtischen Slum, den eine klapprige Bahn durchquert, erzählte ein Lokführer, er hätte bereits acht Leute totgefahren, die unachtsam oder besoffen auf den Gleisen lagen.
Als Fotograf stand Billhardt der politischen wie der künstlerischen Fotografie gleich nahe, als Zeitgenosse erkannte er seine Chance. Er scheute nicht die Nähe zur Macht, hatte bei einem Parteiverlag sogar ein eigenes Studio – und sei sich doch stets „treu geblieben“, wie er sagt.
Vielleicht erwischte er auch nur eine verdammt günstige Biografie. Eine, die alle Scheelsucht ausbremst, besonders bei Spät-DDR’lern. Sein Ritterschlag („mein größtes Glück“) kam, als die berühmte Fotogalerie Camera Work 1999 sein Archiv kaufte. Weltfahrer Billhardt wusste sich nun in den Zirkel der weltbesten Fotografen aufgenommen. So gesehen, lohnt ein Besuch bei den Linken allemal. Wo der Geadelte zu Hause ist? Na in jenem Reihenhaus, wo jüngst der Schneemann stand!
Vernissage am 29. Januar um 17 Uhr, Alleestraße 3 in Potsdam
Gerold Paul
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