Potsdam-Mittelmark: „Ich war eingerichtet“
Zeitzeugen berichteten am Wolkenberg-Gymnasium über die DDR – auch Bildungsminister Rupprecht
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Michendorf - Er wollte nur über eine Grenze gehen, von einem Deutschland ins andere. Dafür kam der Rehbrücker Chemiker Lothar Aust 1962 ins Stasigefängnis und anschließend ins Arbeitslager. „Auf einem Flugplatz der Sowjets bei Jüterbog mussten wir eine Landebahn bauen, Schwerstarbeit für jemanden wie mich, der nie körperlich gearbeitet hatte. Dort lernte ich auch andere politische Gefangene kennen: Einer war da, nur weil er einen politischen Witz erzählt hatte.“ Aust kann sich die DDR noch gut vergegenwärtigen: Ein Unrechtsstaat, der seine Bürger bespitzeln ließ, in dem die Menschen alles andere als gleich waren und der irgendwann zusammenbrechen musste. Gestern berichtete er am Michendorfer Wolkenberg-Gymnasium über sein Leben in der DDR – zusammen mit Bildungsminister Holger Rupprecht und Landrat Wolfgang Blasig (beide SPD).
Was wissen Schüler heute noch über die jüngste deutsche Geschichte? Lehrer und Eltern beklagen, dass sie zu kurz kommt; Studien zeigen, dass Schüler aus den alten Ländern mehr über die DDR wissen als ostdeutsche. „Wir müssen noch einmal über die Rahmenlehrpläne nachdenken“, sagte Rupprecht. Zwar sei das Thema dort verankert, doch stelle sich sein Ministerium der Kritik: Ab 2010 soll DDR-Geschichte auch Thema für Abiprüfungen in Brandenburg werden. Das Interesse der Jugendlichen sei vorhanden, das müsse man aktiv würdigen, so Rupprecht, der dies mit Schilderungen aus seinem eigenen Leben in die Tat umsetzte.
Er sei nie ein aktiver Systemgegner gewesen, berichtete der Minister selbstkritisch: „Ich war eingerichtet und zufrieden. Lehrerjob, Familiengründung, Campingurlaub in der Tschecheslowakei.“ Seine Sicht habe sich Mitte der 80er gewandelt, als die Familie eines Freundes unter Repressalien leiden musste: Die des ehemaligen Sängers der Gruppe Karussell, Lutz Salzwedel. Der hatte sich nach einem Konzert in der BRD abgesetzt. Zuhause wurde seine Frau nachts von der Stasi abgeholt und in das berüchtigte Gefängnis Hoheneck gebracht. Die Kinder kamen im Hause Rupprecht unter, bis ihre Mutter von der BRD freigekauft wurde und sie nachreisen konnten.
Lothar Aust hingegen blieb nach seiner misslungenen Flucht und der Haft in der DDR, kam im damaligen Rehbrücker Institut für Ernährung unter – ein Lottogewinn, wie er heute sagt. Dort konnte er sogar promovieren, „es war politisch nicht so durchsetzt“. Einer, der damals ebenfalls anders dachte, ist Landrat Blasig. Dennoch sei auch er geblieben, habe zu seinen Freunden gesagt: „Ihr könnt doch nicht alle gehen – es wird irgendwann anders.“ Allerdings habe er Mitte der 80er noch an eine andere Lösung, eine veränderte DDR, geglaubt. „Die Tür war für kurze Zeit und nur ein Stück weit offen – aber Gott sei Dank ging alles gut.“
Gespannt verfolgten die Gymnasiasten die Berichte der drei Zeitzeugen, stellten Fragen. Der Minister sah sich in seiner anfänglichen Einschätzung bestätigt, nutzte die Gelegenheit für eine dringende Bitte: „Geht an die Uni und studiert, werdet Lehrer in Brandenburg.“ In Zukunft würde man händeringend Pädagogen brauchen – auch für Geschichte. Thomas Lähns
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