Potsdam-Mittelmark: „Im Sommerloch stürzen sich alle auf Archäologen“
Über Spekulationen zur steinzeitlichen Astronomie und einem märkischen Schädelrest aus der Zeit um 7000 vor Christus
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Über Spekulationen zur steinzeitlichen Astronomie und einem märkischen Schädelrest aus der Zeit um 7000 vor Christus Von Guido Berg Von „Sensation“ ist die Rede: Das kürzlich entdeckte „älteste Sonnenobservatoriums Europas“ sei ein „Meilenstein in der archäologischen Forschung“. Die 7000 Jahre alte Anlage in Goseck in Sachsen-Anhalt – nur 25 Kilometer vom Fundort der 3600 Jahre alten „Himmelsscheibe von Nebra“ entfernt – gebe erstmals Einblicke in die geistige und religiöse Welt der ersten Bauern Europas, sagte Landesarchäologe von Sachsen-Anhalt, Harald Meller. Sein Brandenburger Kollege vom Landesamt für Denkmalpflege in Wünsdorf, Günter Wetzel, will dagegen den Ball deutlich flacher halten: Auch in Brandenburg existierten kreisförmige Grabenanlagen, die mittels Luftbilder nach der Wende aufgespürt wurden. Auch diese wiesen Tore in verschiedene Himmelsrichtungen auf – in Goseck drei, am brandenburgischen Fundort in Bochow bei Jüterbog (4800 Jahre vor Christus) sind es vier. Aber von wegen „Sonnenobservatorium“: Der astronomische Zweck dieser Anlagen ist laut Wetzel keinesfalls erwiesen und daher „Spekulation“. Vergleiche man die Richtungen der Öffnungen der in Mitteleuropa gefundenen Kreisanlagen, stelle man fest, dass diese differieren und keine exakten Werte liefern. Diese Anlagen haben „irgendetwas mit Kult zu tun“, vermutet auch Wetzel. Knochen, die auf Viehhaltung in einer Art Gatter hindeuten, seien nicht gefunden worden. Einen Grund für die übertriebene Darstellung jüngster Bodenfunde sieht Wetzel in der Themennot der journalistischen Zunft: „Im Sommerloch stürzen sich alle auf Archäologen“. Der märkische Bodendenkmal-Forscher sieht jetzt jedenfalls keinen Anlass, zu Eilgrabungen an den ähnlichen märkischen Fundstätten in Bochow und Quappendorf bei Neuhardenberg aufzubrechen. Die Bochower Anlage, die bereits von der Humboldt-Universität Berlin unter die Lupe genommen wurde, stehe jetzt gut im Mais und sei von der Luft aus zu sehen. Zwar wäre es wünschenswert, dass solche Bodendenkmale in dauerhaftes Grünland umgewandelt werden. Die Bauern hätten aber etwas dagegen. Die Beackerung solcher Flächen gefährden die Fundstelle, erklärt Wetzel. Die Sommerloch-Frage, „ob nicht auch etwas Wichtiges im Brandenburgischen ausgegraben wurde“ bringt es dann aber doch zutage: Wetzel muss den Archäologen-Ruhm der warmen Jahreszeit nicht ganz den Sachsen-Anhaltinern überlassen; ein Schädelrest, gefunden bei Guben-Reichenbach vor rund 30 Jahren (1974) und 1992 erstmals publiziert, konnte jetzt auf um 7000 vor Christus datiert werden und ist also 9000 Jahre alt. Zwar sei das noch nicht „amtlich“, aber entsprechende Ergebnisse der Universität Oxford lägen nun vor. Von Sensation will Wetzel nicht sprechen, aber Skelettreste eines Mittelsteinzeitmenschen seien bei den sauren Böden in Brandenburg schon etwas „ganz Besonderes“.
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