Geltow: Kampfwestenanprobe und Liveschaltung
In Geltow werden alle deutschen Auslandseinsätze koordiniert – die Bundeswehr gewährte Einblick.
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Geltow - „Sperrzone“ steht in großen, roten Buchstaben auf der Panzertür. „Diese Tür öffnet sich nicht jedem“, sagt Oberstleutnant Robert Habermann bedeutungsvoll. „Sie betreten jetzt das Herz des Einsatzführungskommandos, die Operationszentrale.“ Hinter der Stahltür befindet sich eine Schleuse mit einer ebenso massiven Tür, dahinter schließlich ein großer, abhörsicherer Raum mit vier langen Computerpultreihen und einem meterhohen Wandbildschirm, auf dem unter anderem eine Karte des Mittelmeers flackert. Acht Soldatinnen und Soldaten sitzen hier an den Rechnern, neben einem steht eine halbvolle Mateflasche.
Die rund 20 Besucher, die im Rahmen der rbb-Serie „Meine Entdeckung“ durch den Bundeswehrstandort geführt werden, schauen sich mit fragenden Gesichtern um: Schwer vorstellbar, dass von diesem Raum aus die insgesamt 15 Auslandseinsätze der Bundeswehr koordiniert werden. Aber egal, ob Soldaten verschickt, Ausrüstung ersetzt oder Verwundete in die Heimat transportiert werden müssen – hier wird es organisiert.
„Die Vorstellung, dass von hier aus Panzer hin und her kommandiert werden, ist falsch“, korrigiert Habermann, das Einsatzführungskommando ist nicht für taktische, sondern für operative und planerische Entscheidungen da. „Wir haben hier auch weder Panzer noch Fregatten oder U-Boote in der Kaserne“, fügt Habermann fast entschuldigend an. Damit es nicht ganz so abstrakt ist, dürfen die Gäste im Laufe der Führung aber auch ein paar echte Kampfwesten und Helme anprobieren. „Heben Sie ruhig mal an“, ermutigt Habermann die Gäste, die schnell unter der 17 Kilo schweren Weste ächzen. Als Anschauungsobjekt hat Habermann sogar seine eigenen Stiefel aus dem letzten Einsatz mitgebracht: „Da ist noch etwas roter Staub aus Mali dran.“
Der sympathische Mittvierziger mit der korrekt gebügelten Uniform, der heute durch die Kaserne führt, hat mehrere Auslandseinsätze hinter sich, vor allem in Afghanistan. Er gibt zu, zu Beginn noch sehr optimistisch über die Entwicklung in Afghanistan gewesen zu sein: „Zum Ende des ISAF-Einsatzes 2014 dachte ich aber schon: Was haben wir eigentlich erreicht?“ Soldaten allein würden eben nicht reichen, damit ein Land stabil wird, so Habermann.
Etwas wirksamer scheint die Arbeit der Bundeswehr im Nordirak zu sein, wo deutsche Ausbilder die kurdischen Peschmerga-Milizen in ihrem Kampf gegen den IS unterstützen: „Die Peschmerga hatten lange nur Handfeuerwaffen wie Kalaschnikows – damit hatten sie gegen die Panzer des IS keine Chance“, sagt Habermann. Erst durch die Ausrüstung mit den deutschen „Milan“-Panzerabwehrraketen konnten die kurdischen Kämpfer dem etwas entgegensetzen. „Es gibt seitdem tatsächlich Peschmerga, die ihre neugeborenen Kinder ’Milan’ genannt haben“, sagt Habermann. Auch in Erster Hilfe wurden die Milizen ausgebildet: „Vorher war es so, dass, wenn jemand verwundet worden war, per Handy ein Taxi gerufen wurde, das den Verwundeten dann ins Krankenhaus gefahren hat“, sagt Habermann.
Per Live-Video-Schaltung können die Besucher die Soldaten vor Ort sogar selbst fragen: Auf einer Leinwand erscheinen ein Mann und eine Frau in Uniform, sie befinden sich im irakischen Stützpunkt Erbil. „Die Peschmerga sind sehr dankbar für die Ausbildung“, bestätigt Hauptmann Claudia Birkholz. „Allerdings sind sie keine normalen Streitkräfte und gehen noch anderen Tätigkeiten nach, deshalb kann es passieren, dass sie mal früher weg müssen oder einen Tag nicht erscheinen.“
Man merkt es Habermann und seinen Kollegen an, dass sie die öffentliche Aufmerksamkeit durch die Besucher und den rbb sehr zu schätzen wissen – eine willkommene Abwechslung zum „freundlichen Desinteresse“, das die Bundeswehr sonst von der deutschen Öffentlichkeit erfährt. Fragen sind ausdrücklich erwünscht: „Ist es wirklich so schlecht um die Ausrüstung der Bundeswehr bestellt, wie man immer hört? Zum Beispiel die Gewehre, die bei Hitze nicht richtig treffen?“, möchte ein Besucher wissen. „Die Ausrüstung ist auf einem guten Niveau“, beruhigt Habermann. „Und mit dem besagten Gewehr habe ich bislang alles getroffen, was ich treffen musste.“ Menschen gehörten glücklicherweise noch nicht dazu, fügt er an.
Nun geht es an einen besonderen Ort, etwas abseits von den Kasernengebäuden: Den „Wald der Erinnerung“. Ein zentraler Gedenkort für alle Soldatinnen und Soldaten, die seit 1990 im Dienst verstorben sind oder getötet wurden. „37 Gefallene gab es seit 1990, 35 davon in Afghanistan“, sagt Habermann. In dem verschneiten Waldstück steht eine Reihe schlichter Stelen, auf denen Metallplaketten mit Namen und Jahreszahl angebracht sind. An einer bleibt Habermann länger stehen; er zeigt auf einen der Namen: „Er hat in der Stube neben mir geschlafen, wir hatten den gleichen Tagesablauf.“ Der Soldat fiel 2011 einem Anschlag zum Opfer, viele andere in diesem Jahr ebenfalls.
Am Ende des Stelen-Weges befindet sich eine kleine Halle mit einem großen eisernen Kreuz. Habermann entzündet eine Kerze und bittet die Anwesenden um eine Schweigeminute. Auch fünf der Besucher nehmen sich eine der bereitgestellten Grablichter und stellen sie auf die Gedenkstelle. „Ich gehe in regelmäßigen Abständen hierher“, sagt Habermann. „Um mir in Erinnerung zu rufen, was wir eigentlich tun.“ Erik Wenk
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