Potsdam-Mittelmark: Kunst in der Klinik
40 Studenten aus zwölf Nationen lassen sich von den alten Beelitzer Heilstätten inspirieren
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Beelitz - Niek Peters und Hugo Rocci bereiten sich seit Wochen auf ihren großen Auftritt vor. Noch in Amsterdam haben sich die zwei jungen Männer aus Frankreich und den Niederlanden grüne Hemden gekauft. Auf den Schultern bunte Abzeichen – am Ärmel haben sie Aufnäher angebracht, darauf steht Beelitz-Heilstätten. So ausstaffiert erkunden sie nun als Pfadfinder die zum Teil leer stehenden und gespenstisch wirkenden Beelitzer Heilstätten. Ihr Rucksack, das Fernglas, ihre Fundstücke – das alles ist Teil ihrer Performance. Sie sind ihre eigenen Kunstwerke, Beelitz-Heilstätten ihr Atelier.
Seit Mitte August beleben 40 Kunststudenten aus zwölf Nationen die frühere Männer-Lungenklinik. Sie kommen unter anderem aus der Türkei, Kanada, Großbritannien, Frankreich, den Niederlanden und den USA. Jeder der Studenten hat in den ehemaligen Patientenzimmern sein eigenes kleines Atelier. Dort wird gemalt, gefilmt, performt, gesägt und gefräst. Bereits zum zehnten Mal findet die Europäische Austauschakademie in Beelitz statt, zu der renommierte Kunsthochschulen ihren talentierten Nachwuchs schicken.
„Kein Handyempfang, kein Internet, keine Ablenkung – man muss sich hier wirklich mit seiner Arbeit auseinandersetzen“, erzählt die 21-jährige Sanne Valstar, die im niederländischen Groningen studiert. Das Thema der diesjährigen Akademie ist „Foreign Affairs“, auswärtige Angelegenheiten also. „Unsere Arbeiten können, müssen aber nicht mit dem Thema zu tun haben“, erzählt die junge Frau, die mit einer Tasse Kaffee und einer selbstgedrehten Zigarette interessierte Besucher durch die Räume führt. Wichtig sei, dass am Ende der vierwöchigen Arbeitsperiode jeder etwas zu der Abschlussausstellung beitrage. Sanne Valstars Projekt: Mit viel Liebe zum Detail hat sie in ihrem modrig riechenden Raum einen Miniaturzirkus für Käfer aufgebaut. Auf einem roten Teppich vor dem Zirkuszelt liegen tote Asseln und Borkenkäfer. „Ich muss dringend neue Artisten suchen“, sagt die Holländerin mit einem Lachen. Gleich nebenan mischt Irem Kahyaoglu Farben in alten Joghurtbechern zusammen. Die 27-jährige Frau aus Istanbul spritzt Rot, Gelb und Grün mit einem Ventilator an die Wände ihres provisorischen Ateliers.
Im Erdgeschoss wird laut gehämmert und gelacht. In einer der alten großen Hallen ist ein kleines Podest aufgebaut, darüber steht „Whitney Houston“. Vor dem Podest malt eine Künstlergruppe Schilder, um den Besuchern, die am kommenden Wochenende erwartet werden, den Weg zu weisen.
Ihr Arbeitstag beginnt früh: Um 7 Uhr steht das Frühstück auf dem Spargelhof in Kloster Lehnin, wo die Studenten übernachten, auf dem Tisch. „Wer dann noch nicht aus den Federn ist und den Bustransfer zur Klinik verpasst, kann sich alleine den ganzen Tag langweilen“, erzählt der 25-jährige Lukas Matuschek aus Wien. Kurz vor sechs Uhr abends geht es zurück auf den Spargelhof. Nach dem Abendessen geben Künstler Seminare. „Bei dem Austausch geht es darum, einander zu zeigen, wie man arbeitet und denkt“, sagt der niederländische Kunstprofessor Harry Heyink. Vor mehr als 20 Jahren hat er die Europäische Austauschakademie aus der Taufe gehoben. Das so viele Kunststudenten aus verschiedenen Nationen aufeinandertreffen, gebe es nach wie vor sehr selten. In diesem Jahr beteiligen sich unter anderem die italienische Academia Albertina Torino, die Glasgow School of Art sowie das Oberlin College of Art and Conservatory aus Ohio am Austausch mit. „Wenn wir am Ende eine tolle Ausstellung haben, dann ist das schön, der Prozess dorthin ist uns aber wichtiger“, betont Heyink.
Das Krankenzimmer der Pfadfinder-Künstler wird derweil immer voller. Drei ausgeschnittene Rasenquadrate mit langen Gräsern bedecken den Boden. Auf einem liegt eine alte Schuhsohle, auf den anderen Knochen und der Kiefer eines Tiers, wahrscheinlich eines Rehs. „Jeden Tag finden wir hier Absurdes“, erzählt Rocci. Jeden Tag haben die zwei Künstler ein neues Rätsel zu lösen und das mitten in einer wild wuchernden Natur. Das lässt ihr Pfadfinderherz höher schlagen und macht ihre Performance authentisch.
Die Abschlussausstellung findet am 7. September von 15 bis 18 Uhr und am 8. September von 10 bis 17 Uhr im Klinikgebäude B3 in der Dr.-Hermann-Straße in Beelitz-Heilstätten statt.
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