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KulTOUR: Lächeln, wenn man traurig ist

Zum „Ade“ des Kleinmachnower Kultur- und Kunstvereins gab’s Tucholsky

Stand:

Kleinmachnow - Als es noch Exil-Chilenen in der DDR gab, hörte man gelegentlich: Wenn Südamerikaner traurig sind, dann lachen sie! Kurt Tucholsky (1890-1935) schien dieses für Mitteleuropäer eher paradoxe Lebensgefühl zu teilen. Der gebürtige Berliner kämpfte mit seiner alten Schreibmaschine nicht nur höchst vergeblich gegen weltpolitische Entwicklungen an, sondern auch gegen seine Depressionen. Wenn schon Probleme, dann wollte er sie lachend dargestellt wissen. Wie die Chilenen.

Ob er an seinen letzten beiden Lebenstagen in Schweden, welches ihm zwar Gastrecht gab, aber das Asyl verweigerte, auch noch lachen konnte, ist unbekannt. Wenige Tage vor Weihnachten starb er an einer Überdosis Tabletten. Mit einer ostentativen Gala zum 120. Geburtstag eben dieses Schriftstellers und Publizisten verabschiedete sich am Freitag der traditions- und kampfesreiche „Kultur- und Kunstverein Kleinmachnow“, Nachfolger des berühmten „Joliot-Curie-Klubs“, nach zwanzig wichtigen Jahren von der Bühne der Welt.

Einiges ist im Gedächtnis geblieben, besonders die streitbare Reihe „res publica“ 2006, als es um die wundervollen Texte von Robert Menasse oder um die sanftfleischliche Alltäglichkeit deutscher Banker ging. An verschiedenen Stätten des Ortes öffentlich gemacht, wollte man bewusst an die intellektuelle Regsamkeit früherer Jahre erinnern, als Clubmitglieder noch prominente „Kulturschaffende“ mit überregionalem Ruf waren. Gefehlt, das neue Bekenntnis wurde eigentlich nie so richtig zu einer Öffentlichen Sache,was das lateinische Wort ja bedeutet, den Einsatz für’s liebe Gemeinwesen.

Wenn man „fehlenden Nachwuchs“ als Grund für das Vereins-Begräbnis mitdenkt, wird man auch fragen müssen, warum es in zwanzig Jahren nicht möglich war, geeignete Leute zu finden, welche den Geist dieser Kultur, jene Unruhe, weiterzutragen wollten? Unbestritten taten das dann ja mehr Leute aus dem nahen Berlin. Kleinmachnow reagierte mit „Hie ruhen, dort wirken“ eher reziprok. Hat der Verein im Verständnis der „res publica“ denn Bürgerstuben gestürmt oder brennende Straßenlaternen angezündet? Nein, er hat lediglich „Aufklärung“ versucht.

Ausgerechnet an ihr und den dazugehörigen Realitäten ist er dann auch gescheitert – genau wie der „missratene“ Bankierssohn Kurt Tucholsky. Sogar das Wort „Freitod“ wäre beiden vergleichbar: Er dachte, mit Schreiben ginge es besser, der Verein dachte, mit dem „Vereint-Sein“ im Geiste der res publica ginge es besser. Beide sind, vom Finale her, grandios ins Leere gelaufen. In die Leere der Zeit, der eigenen Intellektualität.

Ausgerechnet Kleinmachnow, wo für viele einst die Creme der Creme wohnte, gab ihnen den Laufpass. Und wie der Verein sich durch „Löschung“ verabschiedend, so darf der Schlafort mit bösem Lächeln antworten: Ich bleibe! Was nun, „Kunst und Kultur“? – Wolltest leben und kamst nicht dazu? Es wird die eine oder andere Veranstaltung noch geben, aber mit ganz anderem Geist

Zum Ade wurde ein Porträt Tucholskys projiziert, eine Litho von Ernst Strupp, 1926. Axel Elter und Christian Lau, langjährige Gefährten des Vereins, spielten moderne Werke kürzerer Art, Eric Satie, Igor Strawinski, andere. Etwa sechzig Letztbegleitende saßen im Saal. Manchen der Ex-Mitglieder gefiel es noch, Texte des Jubilars vorzutragen, da schwang enttäuschtes, tapferes Gefühl oft mit, auch Trotz. Marianne Schmidt würdigte das Leben des jüdischen Schriftstellers und Publizisten viel zu ausführlich. Keine Kritik an ihm und seinen Irrungen. Keine Selbstkritik vom Verein.

Mit dem Wunsch, dass es weitergehen möge mit der Kultur vor Ort, hauchte derselbe sein Seufzen aus. Schon „danach“, gab es ein Getränk gratis für lachende und feuchte Augen. Jedes Ding hat einen Anfang, und sein Ende! Bis bald!

Gerold Paul

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